Herr Hein, Ihre Arbeit ist geprägt von einer distinkten Formensprache - gerade Spiegel tauchen immer wieder auf. Was reizt Sie an diesem Material?
Das erste Mal, dass ich mit Spiegeln gearbeitet habe, ist bestimmt 15 Jahre her. Spiegel beziehen ihre Umgebung unmittelbar mit in das Kunstwerk ein, die Betrachter werden Teil der Arbeit. Von da aus habe ich als Referenz zu Robert Smithsons Spiegelskulpturen mit zerbrochenen Spiegeln gearbeitet. Ich habe diese Skulpturen auch zur Orientierung genutzt – um mich auf den Kopf zu drehen, zu knicken und zu verdrehen. Das war eigentlich eine One-to-One-Übersetzung davon, wie es mir damals innerlich ging.
Die Farbe Blau taucht auch immer wieder auf.
Ganz früh, in den 90er-Jahren in Dänemark, habe ich viel gemalt. Nach meinem Burnout 2009/10 habe ich damit wieder angefangen. Als eine Art Tagebuch meine Aquarell-Serie "I am right here right now" aus über 3000 Zeichnungen. Zu der Zeit habe ich auch mit "My Breath" angefangen, der Serie, in der ich für jeden Atemzug einen Pinselstrich ziehe. Das habe ich in allen möglichen Farben gemacht, aber letztendlich habe ich gemerkt, dass dieses Ultramarin mich besonders trifft und eine totale Ruhe in mir auslöst. Ich habe eine Verbundenheit zu dieser Farbe – der Farbe des Himmels, des Meers und meiner Augen – deshalb benutze ich sie immer wieder, in meinen Arbeiten genau wie in meinem Leben.
Mit der Zeit kamen dann immer mehr Farben hinzu. Die interaktiven Installationen, die Sie für Ihre Kollaboration mit Ruinart entworfen haben, tragen alle Farben des Regenbogens.
Der Wunsch, mehr Farbe in meinem Leben zu haben, entstand im Zuge dieses Prozesses, in den Spiegel zu schauen und rauszufinden, wer ich eigentlich bin und wie ich zu einer authentischeren Person werden kann – zunächst in meinem Leben und dadurch dann auch in meiner Kunst. Durch Yoga, durch die Natur, durch das Spielen mit meinen Kindern habe ich immer mehr Farben gefunden. Man kann auch wunderbar Farben spielen: Für Ruinart werden die Stände jedes Mal andere Farben tragen, je nach den Chakras der jeweiligen Jahreszeit. Vor meinem Burnout waren meine Werke sehr reduziert, es gab immer direkte Referenzen zum Minimalismus. Danach habe ich quasi mehr draufgepackt, alles um eine spirituelle Ebene erweitert. Vor 20 Jahre habe ich schon Objekte gemacht, die "Enlightenment" hießen – da wusste ich noch gar nicht, was das bedeutet. Das ist glaube ich kein Zufall. Mit der Zeit kam dann mehr Bewusstsein über mich selbst und meine eigene Kreativität hinzu.
Sie hast gerade schon Ihr Burnout angesprochen, das für Sie einen Prozess der Introspektion und Selbstfindung in Gang setzte. Welche Einflüsse haben Ihnen dabei geholfen?
Es fing an mit Yoga - ich musste mich dehnen, weil mein Körper sich durch die Angst und den Stress so verengt hatte. Dann kam ich zur Therapie und zur Natur – ich habe Bäume umarmt, gespürt, wie sie sich bewegen, ihre Blätter angeschaut. Ich habe gemerkt, wie viel besser ich mich dadurch fühle und diese Praktiken fest in mein Leben integriert – heute morgen habe ich auch schon Yoga gemacht! Ich fühle mich viel mehr in Balance, und dann können Eindrücke, Kunst, Politisches, Persönliches ankommen und ich kann viel klarer damit umgehen. Weil ich gemerkt habe, dass mir das selbst so gut tut, versuche ich, diese Praxis zu verbreiten – nicht zu belehren oder Unterricht zu geben, sondern Leute zu inspirieren.
Teilweise auch durch ganz direkte Ansprache – wie mit Ihren verspiegelten "Speech Bubbles"-Skulpturen, die Sie für Ruinart mit sieben verschiedene Botschaften versehen haben.
Genau. Vielleicht sagen Ihnen diese Botschaften nicht alle was, aber eine davon spricht Sie vielleicht ganz direkt an. "Change to Change" zum Beispiel: Ich traue mich, mich zu ändern und aus meiner Komfortzone herauszutreten, und wie ein Windstoß verursacht das dann weitere Veränderungen.
Herzstück Ihrer neuen Arbeit für Ruinart ist eine von den vier Elementen inspirierte Installation, bei der die Besucher sich trauen müssen, ihre Hand in ein Loch in der Wand zu stecken und verschiedene Objekte entgegenzunehmen. Können Sie darüber etwas mehr erzählen?
Die Idee ist, dem Besucher eine ganz simple Erfahrung zu bieten, die Emotionen weckt. Wer sich traut seine Hand in die Öffnung im Spiegel zu stecken, bekommt eines der vier Elemente, welches mit unseren fünf Sinne erfahren werden kann. Es ist eine Einladung sich selbst im Spiegel anzuschauen, ein Stück Kreide aus den Kreidehöhlen in Reims zu berühren, zu hören, wie ein Tropfen ätherischen Öls auf die Handfläche fällt, dabei den Duft der Chardonnay-Blüte in der Luft zu riechen und eine sonnengereifte, saftige Rosine zu schmecken. Mit der Kreide können die Besucher danach ihr Gesicht auf eine der bunten Tafeln malen, so wie sie sich in diesem Moment fühlen, sich dabei mit sich selbst verbinden und im Hier und Jetzt ankommen.
Als Künstler richten Sie sich automatisch an ein bestimmtes Publikum. Hat die Kunstwelt mit ihrem rasanten Tempo, dem unentwegten Reisen und der ständigen Suche nach Neuem Introspektion besonders nötig?
Sicherlich! Kritiker haben oft Schwierigkeiten, über Gefühle zu reden, sie zu zeigen oder sie einfach nur wirklich zu spüren. Aber es ist auch nicht meine Aufgabe, nur Kritiker zu inspirieren. Deshalb arbeite ich auch oft im öffentlichen Raum, damit es keine Zugangsbarrieren gibt. Ich probiere, mich jeden Tag als Mann und als Vater und als Freund und als Künstler zu verbessern. Am Ende geht's immer um die Frage: Wie liebe ich mich selbst? Und wie kann ich genau diese Selbstliebe an jemand anderen weiter verschenken? Das größte Geschenk im Leben ist es, jemand anderem etwas Gutes zu tun. Solche Worte kommen in der Kunstwelt nicht gut an. Die meisten Leute wollen etwas für ihren Kopf, sie wollen Theorien und Konzepte, aber ich glaube an das Herz. Deshalb stehe ich manchmal ein bisschen außerhalb des Kunstkontexts. Aber das ist mir nicht so wichtig. Ich merke, dass ich in den Herzen vieler Leute ankomme, dass ist mir am wichtigsten.
Für Ihre Kollaboration mit Ruinart arbeiten zum ersten Mal mit einem Unternehmen zusammen. Wie kam es dazu?
Mein Besuch im Maison Ruinart in Reims war eine bereichernde sensorische Erfahrung, bei der mir klar wurde, dass ich aus dieser Kollaboration wirklich etwas für meine Praxis und mein weiteres Leben mitnehmen kann. Das Kulinarische spielt eine entscheidende Rolle in meiner Arbeit, ich habe einen eigenen vegetarischen Koch für mein Studio in Berlin und arbeite schon seit ein paar Jahren an einem Kochbuch, das im Oktober rauskommt. Diese Kollaboration macht also total Sinn für mich.
Apropos Kochen: Zusätzlich zu Ihren Installationen wird es bei den internationalen Kunst-Events der kommenden Monate insgesamt fünf Dinner-Erfahrungen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Sterneköchen geben. In Paris durften wir bereits einen ersten Vorgeschmack erleben: Clément Bouvier servierte uns unter anderem Pinsel und Saucen in kleinen Farbtuben, mit denen wir unsere Teller selbst dekorieren durften. Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Köchen ab?
Ich bin an die Köche mit einer Reihe an Vorgaben herangetreten – es muss zum Beispiel einen haptischen und einen malerischen Moment geben. Außerdem sind die Farben und Formen des Dinners an den jeweiligen zugehörigen Installationen orientiert. Basierend auf diesen Vorgaben können die Köche frei ihre Menüs gestalten.
Was denken Sie, wie wird Ihre neue Arbeit im spezifischen Kontext einer Kunstmesse wirken?
Auf einer Kunstmesse geht es um Konsum – bei Ruinart ja auch. Aber letztendlich geht es eben auch um das Erlebnis. Man bekommt ein Stück Kreide, das Millionen Jahre alt ist, mit dem man dann selbst kreativ werden muss. Gerade auf einer Messe selbst etwas zu malen, ist ein riesiger Schritt aus der eigenen Komfortzone. Ich glaube, dass diese Erfahrung die Besucher tiefer beeinflussen wird, als sich irgendwo da hinten bei Johann König einen Jeppe Hein zu kaufen.