Wir stehen an einem Schuttcontainer in Brandenburg, als der Maler – und nach eigenen Angaben Anthropologe und ehemalige Pilot – Christian Hoosen erzählt, dass er einen Pokalhandel eröffnet hat. So stellt er sich das jedenfalls vor. Das ist der imaginäre Auftrag, der ihn hier malochen lässt. Kunst sei ja heute ein Lifestyleprodukt, sagt er, deswegen sei er viel lieber Pokaldienstleister. Jeden frühen Morgen fährt Hoosen in die seit 1934 betriebene Keramikwerkstatt, auf die wir hier blicken, um kein Künstler zu sein. Er formt Keramik, atmet Staub, bemalt Keramik, trinkt Filterkaffee, brennt Keramik zu Pokalen, hört Radio. Klingt erstmal nach schnöder Landflucht.
Aber nicht nur beim Werkstattbesuch, auch auf Instagram kann man Hoosen, der die letzten Jahre großformatige Geister malte, dabei zusehen, wie er zum guten Geist wird, der in der Werkstatt rumstromert, mit historischen Gießformen und empfindlich Ungebranntem in den Regalen. Der heimlich Vasen verräumt, Penisse auf Zettel kritzelt, Kollegen mit erhobener Banane hinter den Öfen hervorholt und anderen liebevollen Quatsch macht, von dem die Betroffenen vermutlich auch nicht wissen, was das eigentlich soll. Dem man aber fasziniert zuschaut, weil es wie ein ständig reingefunktes Störgeräusch in die Überangepasstheit der Social-Media-konformen Kunst scheint. Und so kann man mitflüchten.
Eigentlich wollte er nur was brennen, als er vor anderthalb Jahren herkam. Dann ist er klebengeblieben und tauscht seitdem freundliche Verwirrtheit gegen Handwerkswissen, wie er sagt, mit Mitarbeiterinnen, die hier teilweise seit Jahrzehnten arbeiten. Astrid zum Beispiel, sei die Königin der Glasuren. "Die nimmt mich richtig ran, akzeptiert keine Fehler. Aber wenn ich ihr was mit Kokos mitbringe, wird sie zahm." Eine schöne Co-Existenz sei das. Man müsse nur zeigen, dass man es ernst meint. Also hilft er mit. Ernsthaft.
"Einmal Keramik, immer Keramik"
Im ersten Stock der Fabrik singt Udo Jürgens "Merci Cherie" im Radio, daneben sitzt Björn an der Drehscheibe. "Einmal Keramik, immer Keramik", sagt er, komme man nicht mehr von los. Und Hoosen nickt. "Du hast die Scheiße in jeder Ritze, aber es macht glücklich." Schmutz auf der Hose zu haben, das ermögliche einen anderen Kontakt mit den Menschen hier. "Und die reden über normale Sachen, nicht über NFTs und Achtsamkeit." Man muss natürlich aufpassen, dass man das nicht romantisiert. Aber es hat ja was Aktuelles. Die Suche nach dem Gegenentwurf zur Business-Kunst, wie Warhol das nannte. So findet er die Freiheit der Kunst im Handwerk wieder. "Hier kann Kunst passieren, wie sie will." Und er müsse noch nicht mal auf irgendwelche Eröffnungen.
Außer zu seiner eigenen. Denn seine Pokal-Serie wird in der Berliner Galerie Dittrich & Schlechtriem gezeigt. Große Objekte aus gestapelten Schalen, Deckeln, Kannen. Pokale für spezielle Anlässe seien das, erklärt Hoosen. Der hier sei für Ufo-Sichtungen, dieser für Taxierkennung und der für den letzten Platz. Auch eine Serie von verprügelt wirkenden Büsten ist zu sehen. Für sie hat er aus einer kaputtgefallenen Gipsbüste Friedrichs des Großen, einst hergestellt von Wolfgang Kronsbein, wieder eine Gießform erstellt und daraus geisterhafte Varianten gebrannt. Und weil er auch Ausschuss-Ware verarbeitet, ist der Name der Schau "B-Ware".
"Handwerk spiegelt, ob man versagt hat oder nicht." Das sieht man, wenn die Ofentür aufgeht. Aber er habe Mitleid mit verdellten Tonteilen, auch weil sie diesen Namen bekommen hätten. "Deswegen gebe ich den kleinen Makeln ein Gesicht." Teilweise mit Augen. Hoosen führt weiter auf den Dachboden, wo er verstaubte DDR-Keramiken findet oder irgendwas zum Abformen.
"In der Kunstwelt gibt es generell zu wenig Kritik"
Wir kommen in einen sonnendurchfluteten Raum, in dem Güsse aus den Formen gelöst und vorsichtig in Holzregale gestellt werden. "Die kannst du dann wieder verunstalten", sagt die Kollegin lächelnd. In der Kunstwelt gibt es generell zu wenig Kritik, sagt Hoosen später. "Aber hier kann ich mich gut streiten. Wenn ich 'Drogen' auf einen Teller schreibe, kommt Petra und sagt, das kannst du nicht machen." So entstehe ein Austausch. Weil er es eben doch macht, wenn sie wegguckt. Christian Hoosens "Verunstalten" der Objekte im altehrwürdigen Keramikbetrieb ist vielleicht auch der Versuch einer menschlichen Annäherung. Hier darf er seine Ideen erklären, muss sie nicht verkaufen.
Und als Pokale gibt er den Objekten eine Bestimmung, sie müssen nicht nur Kunst sein. Super lifestylig zwar, aber in dem die Pokale ihre Besitzer oder Betrachter als etwas auszeichnen, das Hoosen bestimmt, macht er sich einen Spaß mit rausgestreckter Zunge auf den Trümmern der Kunst. Letztlich sei es so, im Pokalgeschäft gelte sein Gesetz, sagt er auf einer durchgelatschten Holztreppe stehend: "Ich bin der Wettbewerb, ich bin Angebot und Nachfrage." Im Radio läuft Guns n' Roses. Hoosen stellt es aus.