Tipps und Termine

Wohin am Wochenende?

Die Kunst der Woche in Berlin, Derneburg, Düsseldorf, Leipzig, London und Wien

Coronabedingt können bestimmte Ticket-, Hygiene- und Abstandsregelungen gelten. In den meisten Bundesländern gilt inzwischen statt 2-G-Regel eine FFP2-Maskenpflicht in Musen. Vor dem Ausstellungsbesuch empfiehlt sich deshalb ein Blick auf die jeweilige Institutions-Website

 

André Thomkins in Berlin

Die surreale Welt des Schweizer Künstlers André Thomkins (1930–1985) steht im Zentrum der Ausstellung "Kopfarbeit – Handarbeit, Tag und Nacht". Dafür hat die innerhalb des Museumsverbundes der Nationalgalerie Berlin auf diese Stilrichtung spezialisierte Sammlung Scharf-Gerstenberg rund 170 Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde und Objekte von Thomkins zusammengetragen, der lange Jahre in Essen lebte und zeitweise auch Kunstprofessor in München und Düsseldorf war. Die Ausstellung ist vom 18. März an bis zum 24. Juli zu sehen.

Surrealismus, Dada und Fluxus zählen zu den Kunstwelten, zwischen denen sich Thomkins bewegte, der zweimal auf der Documenta in Kassel zu sehen war. Kyllikki Zacharias, Leiterin der Sammlung, bezeichnete ihn am Mittwoch auch als "Künstler für Künstler", dessen Werke sich nicht im Vorbeigehen erschlössen. Gleichzeitig wirken viele Arbeiten sehr spielerisch. Aus der Kombination ergibt sich ein "ständiges Werkeln", so Zacharias, ebenso wie die intellektuelle Auseinandersetzung.

Zu den wenigen Ölgemälden des Künstlers gehört das "Mühlenbild" von 1962. In kleinen, feingliedrig gefassten Darstellungen scheint Thomkins private wie öffentliche Ereignisse seiner Zeit durch eine Art runder Mühle zu drehen. Bezüge zu Hieronymus Bosch und seinen Darstellungen zwischen Himmel und Hölle drängen sich auf. Nur wenige Meter entfernt ein völlig anderer Zugang zum Thema Mühle: In einer Ausstellungskopie von "Mühlen-Mahl-Gebet Inspiration" (1968) kann mit Hilfe eines Blasebalgs als "Inspiration" markierte Luft durch vier Makkaroni auf ein sich dann drehendes Nudel-Mühlenrad gepustet werden.

Die Wortspiele der Surrealisten griff Thomkins in Anagrammen und Palindromen auf. So wird "André Thomkins" in einer Arbeit durch Buchstabenverdrehung zu "Denkharmmonist", die Buchstabenspiegelung "DOGMA I AM GOD" bricht sich am Englischen I für Ich. Das "Knopfei" von 1958 verbindet den Ursprung des Lebens mit einem reinen Zweckmittel. Der an ein Ei genähte Knopf auf der zum Faden gehörenden Holzspule findet sich in zahlreichen Zeichnungen der Ausstellung jeweils weiter entwickelt als Motiv wieder. (dpa)

"André Thomkins: Kopfarbeit - Handarbeit, Tag und Navcht", Sammlung Scharf-Gerstenberg, Berlin, bis 24. Juli

 

Dayanita Singh in Berlin

Dayanita Singh erweitert die Darstellungsformen der Fotografie seit den 1980er-Jahren um eigens gebaute Installationen zur Betrachtung ihrer Bilder. Körper und Bewegung sind nicht nur Motive, sondern spielen auch im Betrachten eine Rolle. Im Zusammenspiel aus Hängung, Fotobüchern und ihren bekannten mobilen "museums" präsentiert der Gropius Bau jetzt das Œuvre der Künstlerin aus Neu-Delhi aus vier Jahrzehnten.

"Dancing with my Camera" zeigt über 500 Schwarz-Weiß-Fotografien, aufgenommen auf ihren Streifzügen durch die Welt. Dazu ist zum ersten Mal Singhs neueste Arbeit "Painted Photos" (2021/22) zu sehen. Sie selbst sieht die Bedeutung ihrer Werke nicht in ihren Motiven und Techniken, sondern in der Konstante ihres pausenlosen Fotografierens.

"Dayanita Singh: Dancing with my Camera", Gropius Bau, Berlin, bis 7. August


Abschied von der Plastiktüte in Berlin 

Es ist gar nicht so lange her, dass eine einfache Plastiktüte Poesie erschaffen konnte. Im Film "American Beauty" von 1999 sitzen zwei weltwunde Teenager gebannt vor einem Fernsehbildschirm, auf dem eine weißes Stück Kunststoff im Wind tanzt. 15 Minuten lang hat der empfindsame Eigenbrötler Ricky die Szene gefilmt, die er nun seiner Nachbarin Jane vorspielt. "Es gibt manchmal so viel Schönheit auf der Welt, dass ich sie kaum aushalten kann", sagt er mit bebender Stimme. "Und mein Herz droht dann daran zu zerbrechen." 

Gut 20 Jahre später lässt sich die Szene kaum anschauen, ohne dabei an vermüllte Meere, Mikroplastik und Einkaufstüten in Wal- und Schildkrötenmägen zu denken. Wenn hier Herzen zerbrechen, dann nicht, weil so viel Schönheit, sondern weil so viel Plastik auf der Welt herumfliegt.

Es gibt kein Objekt der Alltagskultur (außer vielleicht dem konventionellen Strohhalm und der Glühbirne), das in jüngerer Vergangenheit einen so rasanten Imageverlust erlitten hat wie die Plastiktüte. Galten shoppende, mit Polyethylen-Taschen bepackte Menschen lange als Wohlstands-Wimmelbild, herrschte in vielen Supermärkten bis vor Kurzem blankes Entsetzen, wenn jemand ohne eigenen Jutebeutel doch mal nach einer umweltschädlichen "Plastiktüte groß" für 25 Cent verlangte. Seit dem 1. Januar 2022 sind Einmal-Plastiktüten in Deutschland ganz verboten. Künftig dürfen sogenannte "leichte Plastiktüten" mit Wandstärken von 15 bis 50 Mikrometern nicht mehr in Umlauf kommen. Die kleinen rascheligen Obsttütchen bleiben erlaubt, genauso wie festere Mehrwegtaschen à la Ikea. 

Dass die Plastiktasche bei aller gesellschaftlicher und politischer Ächtung für Künstlerinnen und Künstler weiter interessant ist, will die Ausstellung "Die Letzte Tüte" zeigen, die eigentlich bereits im November im Berliner Gebrauchtwaren-Kaufhaus Noch Mall eröffnen sollte und nun endlich eröffnen kann. In der von den Künstlerinnen Christl Mudrak und Alex Müller organisierten Gruppenschau werden 30 Positionen zu sehen sein, die mit Kunst auf Kunststoff reagieren. Dabei sind unter anderem Aneta Kajzer, Thomas Rentmeister, Nschotschi Haslinger und Philip Topolovac. 

"Die letzte Tüte", Noch Mall Gebrauchtwarenkaufhaus, Berlin-Reinickendorf, 19. März bis 9. April 

 

Anselm Kiefer auf Schloss Derneburg

Das Kunstmuseum Schloss Derneburg präsentiert vom 18. März an die Ausstellung "Anselm Kiefer: Frühwerk". Zu sehen sind rund 40 selten gezeigte Arbeiten des Malers, die zwischen 1969 und 1982 entstanden sind, wie die Hall Art Foundation mitteilte. Es handele sich um Künstlerbücher, Holzschnitte, Aquarelle und kleinformatige Ölgemälde. Der 77-jährige Kiefer zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen deutschen Künstlern. Zuletzt war in Paris die Schau "Anselm Kiefer für Paul Celan" mit monumentalen Werken zu sehen. (dpa)

"Anselm Kiefer: Frühwerk", Kunstmuseum Schloss Derneburg, Holle, bis auf weiteres

 

Lygia Pape in Düsseldorf

Lygia Pape, einer der wichtigsten Figuren der neo-konkreten Bewegung der 1950er und 1960er Jahre, wird in Düsseldorf die erste umfassende Einzelausstellung in Deutschland gewidmet. Das vielseitige Œuvre der brasilianischen Künstlerin hatte vielerlei ethische und soziopolitische Fragestellungen zum Thema, aber auch den Menschen und seine Wahrnehmung.

Anliegen Papes und ihrer vor allem geometrischen, konstruktivistischen Abstraktionen war es auch, die Betrachterinnen und Betrachter als aktiven Teil der Rezeption eines Kunstwerkes mit einzubeziehen. Die in "The Skin of ALL" im K20 gezeigten Gemälde, Zeichnungen, Reliefs, Gedichte und Filme, aber auch kollektiven Performances und multisensorischen Experimente verdeutlichen die Vielschichtigkeit und Nuancierung des über fünf Jahrzehnte entwickelten Gesamtwerks der Avantgardekünstlerin. Und sie beleuchten den brasilianischen Modernismus und seine Einflüsse auf eine Neukonzeption der konkreten Kunst.

"Lygia Pape: The Skin of ALL", K20 Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, 19.03. bis 17. Juli

Mechanische Fragilität in Leipzig

Eine gravierte Fahrradbremsscheibe dreht sich mit zuckenden Bewegungen auf einem organisch und doch technoid wirkenden Untergrund. Was wie kinetische Kunst oder Readymade platziert auf einer Art außerirdischem Beckenknochen erscheint, ist tatsächlich Produkt eines langwierigen, multimedialen Erarbeitungs- und Selektionsprozesses.

Ein junges Berliner Kollektiv zeigt in Leipzig die Ergebnisse seiner kooperativen Arbeitsweisen. Im Vordergrund steht dabei das interdisziplinäre Schaffen, die gewollte gegenseitige Beeinflussung der drei Künstlerinnen und Künstler sowohl im gemeinsamen Produzieren als auch gegenseitigen Kuratieren. Mit dem Ziel, möglichst viel Intuition und Fluidität in den gemeinsamen kreativen Prozess zu bringen. Die dabei entstandenen skulpturalen Objekte wirken surreal, fast düster und doch auf eine besondere Art anziehend – sie scheinen in einer unwirklichen Blase zwischen kreatürlich wirkender Anatomie und mechanischer Fragilität zu schweben.

"Oh ich hab dir gar nicht zugehört", Plast, Leipzig, bis 21. März

 

Männlichkeit und Mode in London

Man könnte natürlich weiterhin davon ausgehen, dass es per se sehr unmännlich sei, sich intensiv mit Mode zu beschäftigen. Aber nicht nur beweist die Geschichte das Gegenteil (und jedes Herrscherbildnis in den Museen), sondern man unterschätzt so auch Mode als Kommunikations und Machtmittel.

Die Ausstellung im Victoria and Albert Museum, unterstützt vom Sponsor Gucci, entfaltet die Geschichte der Männermode von klassischen Skulpturen und Renaissancegemälden über ikonische Fotografien bis hin zu zeitgenössischen Filmen und Performances. Ein eher historischer Teil der Schau zeigt Mode als Ausdruck von Status, Reichtum und Individualität: übergroße Silhouetten, Materialien wie Seide und Samt, gewichtige Symbole, gewagte Farben und ausladende Umhänge geben hier den Ton an. Eine Reihe von männlichen Outfits durch die Jahrzehnte, zusammengestellt von zeitgenössischen Modedesignern wie Kim Jones (Dior), bildet ein Panoptikum des maskulinen Ankleidens. Eine eigene Sektion ist dem englischen Maßanzug sowie dem Einfluss von Militäruniformen auf die Mode gewidmet. Hier kommen besonders die Sammlungsbestände des V&A zur Geltung. Schließlich leitet Robert Longos ikonische Zeichnung aus der Serie "Men in the Cities" von 1981 in die Gegenwart über, wo es um die Auflösung des Anzugs geht und um das dekonstruktivistische Moment bei Rick Owens, JW Anderson und Comme des Garçons, die nicht nur die Herrenmode umdefinieren, sondern gewissermaßen auch die Männlichkeit selbst.

"Fashioning Masculinities", Victoria and Albert Museum, London, 19. März bis 6 November

 

Ai Weiwei in Wien

Die historisierte Marmordarstellung einer Überwachungskamera wirkt zunächst befremdlich - hochmoderne Technik und ein seit Jahrtausenden genutztes Material, das will so gar nicht zusammenpassen. Ai Weiweis ästhetisiertes Bespitzelungswerkzeug meißelt die ungreifbare, aber stets im Hintergrund stattfindende Überwachung wortwörtlich in Stein. Und mahnt in seiner Deutlichkeit vor argloser Hinnahme.

Das Albertina Modern in Wien zeigt nun seit Mittwoch die bisher umfassendste Retrospektive des chinesischen Konzeptkünstlers und Aktivisten. Die gezeigten Werke beschäftigen sind dabei, typisch für Weiwei, mit staatlichen Machststrukturen und Repression, Menschenrechten, Meinngsfreiheit, Migration und Ethik.

"In Search of Humanity" gibt einen Überblick über die mehr als vier Jahrzehnte andauernde künstlerische Karriere Weiweis und gliedert diese anhand von Schlüsselwerken in verschiedene Schaffensphasen. Dabei wird auch das multimediale Arbeiten des mittlerweile in Portugal und England lebenden Künstlers deutlich. Readymades, Skulpturen, Installationen, Fotografien und Videoarbeiten kommentieren politische Misstände, nicht selten mit einem besonderen Augenmerk auf dem Heimatland China.

"Ai Weiwei: In Search of Humanity", Albertina Modern, Wien, bis 04. September