"Für die Documenta Fifteen haben Ruangrupa und das Künstlerische Team Positionen eingeladen, die sich im Sinne der Lumbung-Praxis mit künstlerischen Mitteln für ihre jeweiligen lokalen Kontexte engagieren", heißt es in einem Statement der Documenta und Museum Fridericianum gGmbH, das am Mittwoch online veröffentlicht wurde. "Die Künstler*innen werden dabei nicht nach dem Kriterium eingeladen, ob sie sich als apolitisch oder einer bestimmten politischen Richtung zugehörig verstehen. In der Akzeptanz der Komplexität unserer Gegenwart macht sich die Documenta Fifteen mit keiner politischen Bewegung gemein, betont aber das Recht aller Menschen, sich für ihre Rechte und gegen Diskriminierung einzusetzen." Grundlage der Schau sei die Meinungsfreiheit einerseits und die entschiedene Ablehnung von Antisemitismus, Rassismus, Extremismus, Islamophobie und jeder Form von gewaltbereitem Fundamentalismus andererseits.
In der Stellungnahme wird betont, man verwehre sich ausdrücklich gegen "externe Eingriffe in diesen künstlerischen Freiraum". Die Macher der Weltkunstschau kündigten jedoch an, in Kürze ein Online-Forum mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen Kolonialismus- und Rassismusforschung, Land Right Studies, Indigenous Studies, Holocaust- und Antisemitismusforschung, Recht, Medien sowie Kunst und Kultur zu veranstalten. Dabei soll es um "das Grundrecht der Kunstfreiheit "angesichts von steigendem Rassismus und Antisemitismus und zunehmender Islamophobie" gehen. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Dpa soll es bis zum Wochenende außerdem eine Sondersitzung des Documenta-Aufsichtsrates geben, um sich mit den Antisemitismusvorwürfen zu befassen.
Ein anonymes Bündnis gegen Antisemitismus hatte dem Kuratorenteam von Ruangrupa in einem Blogbeitrag vorgeworfen, auch Teilnehmer mit antisemitischen Positionen eingeladen zu haben. Die Anschuldigungen beziehen sich unter anderem auf das palästinensische Kollektiv The Question of Funding aus Ramallah, das mit einem nach Khalil al-Sakakini benannten Kulturzentrum kooperiert. Al-Sakakini (1878 -1953) war ein Reformpädagoge, der die Ideen des arabischen Nationalismus unterstützte und dabei auch mit dem Nationalsozialismus sympathisierte. Außerdem propagierte er Gewalt im Kampf gegen die Gründung des Staates Israel. Zudem wurde Ruangrupa vorgeworfen, Teilnehmende mit einer Nähe zur israelkritischen Kampagne BDS ("Boycott, Divestment, Sanctions") zu unterstützen. Das Thema wurde von verschiedenen Medien aufgegriffen. "Gerät die Documenta 15 zum Vernetzungstreffen von Kunstaktivisten und Israelfeinden?", fragte beispielsweise die Tageszeitung "Taz".
"Intensiver Austausch" mit Kulturstaatsministerin Roth
Implizit kritisiert die Documenta in ihrer Stellungnahme auch die Berichterstattung zum Thema. "Verfälschende Berichte oder rassistische Diffamierungen, wie sie aktuell gegen Beteiligte der Documenta Fifteen vorgebracht werden, verhindern einen kritischen Dialog und eine produktive Debatte", heißt es dort. Als global wirkende Kunst- und Kulturorganisation sei man dem Grundgesetz und internationalen rechtlichen Konventionen verpflichtet. Darüber hinaus nehme man die Verantwortung, die aus der besonderen Geschichte Deutschlands erwachse, "sehr ernst".
Kulturstaatsministerin Claudia Roth stellte sich hinter die Organisatoren. "Die Documenta ist eines der wichtigsten kulturellen Ereignisse in Deutschland und von höchster internationaler Bedeutung für Kunst und Kultur", sagte die Grünen-Politikerin in Berlin. Sie habe "in einem intensiven Austausch" mit Documenta, Stadt und Land gestanden und begrüße den Vorschlag für ein internationales Forum. "Ich finde es richtig, dass die Documenta Gelegenheit geben will, in eine Debatte einzutreten, um das Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts des Kampfes gegen Rassismus und Antisemitismus und Islamophobie zu diskutieren und werde sie auf dem Weg dahin unterstützen."
Hessens Kunstministerin Angela Dorn, die auch stellvertretende Vorsitzende des documenta-Aufsichtsrates ist, begrüßte ein entsprechendes Forum. Die Bedeutung und Verteidigung des Existenzrechts Israels seien "untrennbar mit unserer historischen Verantwortung verbunden", betonte sie in einer Mitteilung. Sie sei sicher, dass die "Documenta Fifteen einen wichtigen Beitrag dazu leisten könne, "diesen aus der Geschichte geschärften deutschen Blick in einen konstruktiven Dialog mit den Perspektiven internationaler Künstlerinnen und Künstler mit deren jeweiligem Erfahrungshorizont zu bringen".
Rückendeckung von drei ehemaligen Bürgermeistern
Rückendeckung erhielten die Documenta und Ruangrupa auch von den drei ehemaligen Kasseler Oberbürgermeistern Wolfram Bremeier, Hans Eichel und Bertram Hilgen, in dieser Funktion selbst langjährige Aufsichtsratsvorsitzende der Schau. "Wir warnen eindringlich vor dem Versuch, die künstlerische Freiheit des Kuratorenteams der D15 anzutasten und dafür den Aufsichtsrat der Documenta zu instrumentalisieren", teilten sie am Mittwoch in einer gemeinsamen Erklärung mit.
Bestrebungen, das Gremium mit der Begleitung und Bewertung von Teilen des künstlerischen Konzepts der Documenta-Macher zu beauftragen, sehen Bremeier, Eichel und Hilgen mit Sorge: "Die Einzigartigkeit der Documenta hängt fundamental von der unantastbaren künstlerischen Freiheit des Kurators und davon ab, dass sich die Politik jeglicher Bewertung und Einflussnahme auf die Kunst enthält." Die Grenze der künstlerischen Freiheit sei ausschließlich das Recht, nicht die Politik. "Wer diesen Grundsatz infrage stellt, legt die Axt an die Wurzeln der Documenta."
Einen Kommentar zu den Antisemitismus-Vorwürfen gegen die D15 lesen Sie hier.
Über die Antisemitismus-Debatte um die Documenta 15 spricht Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr auch im Radio bei Detektor FM.