Lynne Marsh hinterfragt Hierarchien der Medienproduktion. Mit Videoinstallationen, die sichtbar machen, was für gewöhnlich hinter den Kulissen oder in der virtuellen Blackbox stattfindet, möchte die kanadische Künstlerin unser Bewusstsein schärfen – für die Kraft medialer Inszenierung sowie die perfekt orchestrierten Maschinerien und Technologien, die ihr zugrunde liegen. Während sie in der deutschen Hauptstadt arbeitete, hat Marsh unter anderem ein Projekt mit den Berliner Philharmonikern realisiert, in dem sie die Arbeit des Kamerateams ins Rampenlicht rückte; ein weiteres im Studio des Fernsehsenders N-TV, wo sie eine Nachrichtenaufzeichnung als opernhafte Performance inszenierte.
Beide Projekte sind gerade in einer Einzelausstellung im kalifornischen Riverside zu sehen, in deren Zentrum die neue Arbeit "Ninfa Atlas" steht, mit der die Künstlerin auf Aby Warburgs Bilderatlas "Mnemosyne" Bezug nimmt. Ein Gespräch über antike Nymphen und Posen gegenwärtiger Protestbewegungen, über episches Theater und die Versprechen der Technik für Hightech-Hollywood.
Lynne Marsh, Ich habe Ihre neue Videoinstallation "Ninfa Atlas" nicht im Ausstellungsraum gesehen, sondern als Arrangement von Screens auf meinem eigenen Bildschirm. Im Zuge der Pandemie hat man sich beinahe daran gewöhnt. Ich habe mich gefragt, wie Sie die zunehmende Verlagerung des kulturellen Lebens in virtuelle Räume erleben, als jemand, die sich künstlerisch seit langem mit Inszenierungspraktiken an der Schnittstelle zwischen Realität und ihrer medialen Reproduktion beschäftigt.
Dass das Projekt zeitlich mit dieser pandemiebedingten Entwicklung zusammenfiel, ist ein interessanter Zufall. Meine früheren Arbeiten konzentrierten sich eher auf klassische Medien, zum Beispiel auf Produktionstechniken der Fernsehübertragung. Da sind die Schnittstellen, die Sie ansprechen – also die Zwischenräume, in denen die mediale Vermittlung stattfindet – immer noch physische Studios, man hat es mit echten Sets, Apparaturen und Kameraleuten zu tun. Mit "Ninfa Atlas" wollte ich die Arbeit mehr in virtuelle Räume verlagern. Aber nicht ausschließlich. Ich hatte mir vorgenommen, mit Performerinnen und Performern zu arbeiten und die Proben und Workshops sollten gerade beginnen, als der erste Lockdown kam. Zuerst dachte ich, ich warte einfach, bis es vorbei ist. Wie man heute weiß, wäre das kein guter Plan gewesen ...
Inwieweit haben Sie Ihre Idee den beschränkten Möglichkeiten anpassen müssen?
Zum Glück war die Arbeit von vornherein spekulativ angelegt. Motiviert durch meinen Umzug von Europa nach Kalifornien wollte ich vor allem etwas zum Thema Repräsentation machen, mit Darstellern und Darstellerinnen, neuen Technologien, Spezialeffekten – diesem ganzen Apparat der Unterhaltungsindustrie Hollywoods. Meine Arbeit ist meist stark ortsbezogen.
Das "Philharmonie Projekt" und "Camera Opera", zwei ältere Arbeiten, die Teil der aktuellen Ausstellung sind, wurden in Berlin produziert, richtig?
Genau, nach meiner Residency am Künstlerhaus Bethanien. "Tragedy", ein Film der ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist, wurde in England gedreht. Als ich Europa 2016 verließ, um einen Lehrauftrag an der UC Riverside anzunehmen, begann ich, mich mit meinem neuen Standort und seiner Beziehung zum Spektakel auseinanderzusetzen ...
Die Traumfabriken Hollywoods produzieren allerlei utopische Nicht-Orte. Interessanterweise lassen sich auch die Videoloops Ihrer Arbeit "Ninfa Atlas" kaum verorten. Anstatt der Logik eines konventionellen Bildaufbaus zu folgen, wirken die Kompositionen wie gesprengt, die Dimensionen verschoben, es scheint verschiedene Fluchtpunkte zu geben. Die Kamera umkreist die Figuren, scheint sie mitunter aber auch zu missachten. Man erkennt eine Studioarchitektur, andere Szenerien erweisen sich als Kulissen, als flache Bildebenen.
Wie in meinen anderen Arbeiten geht es darum, die Mechanismen der kulturellen Produktion zu enthüllen. Das ist ein Thema, auf das ich immer wieder zurückkomme. Ich verstehe diese perfekt orchestrierte Maschinerie als eine Art Choreografie, in die ich eingreifen möchte. Die Technologie, die ich in "Ninfa Atlas" verwende, heißt Volumetric Video Capture. Das ist eine neue virtuelle Form des Filmemachens, mit der man sich erhofft, die Branche zu revolutionieren. Ein Darsteller wird von mindestens 106 synchronisierten Kameras in einem Studio mit greenscreen gefilmt, aus zig Perspektiven, sodass in der Postproduktion alle möglichen Kameramomente on demand produziert werden können. So wird man den Drehort los, macht sich ortsunabhängig.
Was Sie im Arbeitsprozess pandemiebedingt ja auch tun mussten. Wie hat das Fehlen eines Ortes der physischen Zusammenarbeit das Projekt beeinflusst?
Als ich mit der Tatsache konfrontiert wurde, nicht physisch mit den Performerinnen und Performern arbeiten zu können, begannen wir, uns über Zoom auszutauschen. Dann probten sie alle aus der Ferne, filmten sich selbst beim Improvisieren und schickten mir dann das Material. Ich bearbeitete es und schickte es zurück, damit sie es in Bewegung umsetzen konnten. So ging das in kleinen Feedbackschleifen über digitale Plattformen hin und her. Diese Form der Verbindung, kombiniert mit einem Gefühl der Isolation, ist in der Arbeit, in diesen sehr individuellen Performances, spürbar. Zwar mussten am Ende alle einmal im physischen Studio sein, um aufgenommen und in ein 3D-Asset verwandelt zu werden. Aber im Grunde wurde vor allem der virtuelle Raum für uns zum Studio. Ich konnte die einzelnen Assets dann in meinem Computer einspeisen und sie mit einer virtuellen Kamera auf jede beliebige Weise betrachten. Ursprünglich wollte ich die so entstandenen Figuren irgendwie in der realen Welt platzieren, aber letztendlich habe ich das Studio simuliert, in dem wir gefilmt haben, und sie in diese computergenerierte Nachbildung des realen Raums integriert. Die endgültige Form der Arbeit wurde also stark von der Realität beeinflusst, in der wir uns aufgrund der Beschränkungen bewegten.
Die Technologie scheint mit "Motion Capture" verwandt und funktioniert doch sehr anders...
Das war für mich ein wichtiger Punkt: Beim Motion Capture werden echte Schauspielerinnen oder Schauspieler mit Sensoren ausgestattet, um ihre Körperbewegungen aufzuzeichnen. Deshalb ist diese Art von 3D-Assets eher mit Marionetten vergleichbar: Sie haben ein Skelett, man kann sie im Computer bewegen, ihnen Texturen geben, ihr Aussehen verändern. Volumetric Video Capture ist da nicht so flexibel, die Bewegungsabläufe sind festgelegt. Es handelt sich hier wirklich um ein Video, eine fotografische Methode. Charaktere werden nur das tun, was sie auf der Bühne getan haben, die Flexibilität ist auf Kontext und Blickwinkel beschränkt. Was uns zur Figur der Nymphe bringt, besser gesagt, zu Aby Warburgs Vorstellung von ihr als einer Art Schwellenwesen zwischen Bewegung und Beständigkeit.
Das Dokument, das Sie den Darstellern von "Ninfa Atlas" als Score geschickt haben, zeigt eine Auswahl von Nymphen aus Warburgs berühmtem Bildatlas Mnemosyne auf einem greenscreen. Das Motiv der Nymphe begeisterte Warburg, weil sie den sonst eher steifen historischen Bildern Dynamik und Dramatik verlieh...
Dieses Spannungsverhältnis hat mich auch interessiert. Und Warburgs Idee der Pathosformel als wiederkehrendes Motiv. Darauf geht zurück, dass die Loops in der Installation recht kurz sind und bestimmte Bewegungen endlos wiederholen. Aby Warburgs wollte mit seinem Atlas ja zeigen, wie Bilder und bestimmte Gesten wandern, im zeitlichen, aber auch in einem medialen Sinne.
In der Pressemitteilung der neuen Ausstellung heißt es, dass das Projekt im Kern auf einem Übersetzungsprozess basiert, der "die menschliche Figur aus dem historischen Archiv durch die verkörperte Performance in die populären New-Tech-Medien trägt". What’s gained in translation?
Eine Ausdifferenzierung der Motive. Zum Beispiel mit Blick auf Diskussionen, die aktuell über Geschlecht, Identifikation und Fluidität geführt werden. Als ich anfing, mit den Bildern aus Warburgs Archiv zu arbeiten, erschien mir einiges daran ziemlich abstoßend und beunruhigend. Der männliche Blick ist den Bildern allgegenwärtig, vor allem in Darstellungen des Weiblichen. Es ist auch ein sehr westlich geprägter Blick. Wir können uns von solchen Perspektiven nicht befreien, weil Geschichte nicht auslöschbar ist. Aber wir sollten konstruktiv mit ihr arbeiten, uns klar machen, dass wir Teil von Geschichte sind und Anteil an ihr haben. Dazu gehört eben auch, alte Denkweisen aufzubrechen und neu zu interpretieren. Im Zuge des Übersetzungsprozesses haben die Performerinnen und Performer die ursprünglichen Motive mit ihrem Körper und ihrer Bewegung umzuarbeiten, sie dann medial zu manifestieren. Um den Bildatlas zu erweitern und seine Topoi zu verkomplizieren, zugunsten vielfältigerer Darstellungsweisen, geschlechtlicher sowie ethnischer Diversität.
Aby Warburg definierte die Pathosformeln des Atlas als Gesten mit universeller Gültigkeit. Inwiefern sind die Posen und Gebärden der "New-Media-Nymphen" in "Ninfa Atlas" universell, formelhaft – oder auch symptomatisch für unsere Zeit?
Die Entwicklung der Performances für das Projekt fiel zeitlich mit den "Black Lives Matter"-Protesten zusammen. Das hat die Arbeit enorm geprägt. Es gibt Gesten von Kampf und Verteidigung, schlagende und stoßende Bewegungen, vor allem bei Abriel und Gustine, auf den äußeren Screens. Beide haben sich mit den Bildern von Menschenmengen auseinandergesetzt, die allgegenwärtig waren, mit der Aggressivität, die in der Luft lag. Ryan, in der Toga, bewegt sich viel weicher, fast fließend, er war eher an fluiden Identitätskonzepten interessiert. Cecilia, die rot gekleidet ist, hat einen Diaspora-Hintergrund, der in ihrer Arbeit zum Ausdruck kommt. Die Bewegungen von Jobel, im Trainingsanzug, sind ziemlich barock. Alle fünf haben Stimmungen, Temperaturen, Haltungen gewählt, mit denen sie der Welt in diesem Moment der Isolation, des Aufruhrs, der Pandemie und wachsenden Unsicherheit begegnen wollten. All das musste in irgendeiner Form in die Performances einfließen, anders wäre es gar nicht gegangen.
Ein interessanter Moment, als ich mir "Ninfa Atlas" zuhause auf dem Bildschirm ansah, war als plötzlich ein echtes Paar hinter der Installation vorbeilief. Die kurze Irritation erinnerte mich an Paul Virilios Begriff der "Stereorealität". Es geht auf das zurück, was ich eingangs sagte, dass wir ständig zwischen der realen und der virtuellen Welt hin- und herwechseln, manchmal nicht mehr wissen, wo wir eigentlich hingehören und das Gefühl haben, überall und nirgends zu sein. Die Aufspaltung von Realität im Sinne Virilios, oder auch Baudrillards Hyperrealität, in der sich die Welt überflüssig macht – sind das Ideen, die Sie beschäftigen?
Ich frage mich eher, wie es für kommende Generationen sein wird. Meine Helden und Heldinnen sind keine Avatare, ich bin nicht ständig am Bildschirm. Aber ich habe einen sechsjährigen Sohn, der das gerne wäre. Es gibt Menschen, vor allem jüngere, die sich fast ausschließlich in virtuellen Räumen bewegen – nicht nur in Zeiten der Pandemie. Ich fürchte den Verlust von Realität nicht für mich, aber ich mache mir Gedanken darüber. Und über unsere heutige Affinität zur Simulation, wohin das führt. Das sind sicherlich Fragen, die ich in meiner Arbeit aufwerfe. Ist Ihnen die Tapete in der Ausstellung aufgefallen, die Teil der Ninfa Atlas Installation ist?
Was trägt sie bei?
Sie besteht aus den Körpern der Darstellerinnen und Darsteller, in abgeflachter Form und recht radikal fragmentiert. Das volumetrische Videoaufnahmematerial basiert nämlich auf zwei Komponenten; einem geometrischen 3D-Netz, und eben diesen zweidimensionalen Image Maps, die darüber liegen, wie eine Haut. Zufälligerweise werden sie als Atlas bezeichnet! Aus diesen Image Maps habe ich das Muster erstellt, das ziemlich grotesk ist. Wie diese Technologie im Grunde selbst. Was sie mit dem Körper macht, ist wirklich brutal. Die Simulation hingegen soll möglichst geschmeidig und makellos sein. Ich versuche, sie in ihrem Streben nach Perfektion zu durchbrechen, indem ich diese gewalttätige Geste des Herstellungsprozesses herausgreife, sie sichtbar mache. Ich weiß nicht, warum wir ständig versuchen, die Welt hyperreal zu replizieren, aber ich finde dieses Bestreben faszinierend. Ich meine, die Idee hinter dieser Technologie, die ich für die neue Arbeit verwendet habe, ist es, eine möglichst naturgetreue 3D-Erfassung einer Person zu erreichen. Warum entwickeln wir ständig Simulationen, die möglichst lebensecht sind, wo wir doch das Leben haben?
Im strukturalistischen Sinne rekonstruiert ein Simulakrum seinen Gegenstand durch Selektion und Rekombination – nicht, um sie zu kopieren, sondern um sie sichtbar zu machen. Neben technischen Aspekten kultureller Produktion möchten Sie vor allem sozioökonomische offenlegen – all die unsichtbare Arbeit, all die unsichtbaren Arbeiter. Um dies zu erreichen, nutzen Sie Verfremdungseffekte – Störungen, Bilder im Bild, verschobene Perspektiven – die ans epische Theater erinnern. Mit dem Titel der aktuellen Ausstellung, "Who Raised It Up So Many Times", zitieren Sie Brecht sogar...
Den Titel hat Kimberli Meyer, die Kuratorin, ausgewählt. Er passt extrem gut. Nicht nur zu der neuen Arbeit, auch zu den anderen in der Ausstellung. Im klassischen Sinn ist die "Camera Opera" das beste Beispiel für diesen Brecht'schen Ansatz. Aber mir geht es auch ganz grundsätzlich um die Aktivierung des Publikums, das sich niemals ganz der Illusion hingeben soll. Es findet immer noch ein Konsum von Bildern statt, aber durch visuelle Störer man ist als Zuschauerin oder Zuschauer involvierter, wird sich der eigenen Rolle, der eigenen Verantwortung bewusst. Das ist mir sehr wichtig: Ich möchte die Aufmerksamkeit auf unser Mit-Inbegriffen-Sein lenken, wenn es um Medienkonsum geht. Dabei denke ich auch viel über die Virtuosität des Kulturschaffenden nach, ob das nun ein Darsteller ist oder eine Technikerin, Moderatorin, ein Kameramann. Ich versuche, die Hierarchie, die zwischen Personen vor der Kamera und solchen hinter der Kamera besteht, auszuhebeln. Ich möchte Kulturschaffende feiern, in all ihren Formen und Facetten.
"Who Raised It Up So Many Times?" – Brecht bezieht sich in seinem Gedicht vom "lesenden Arbeiter" auf den Wiederaufbau Babylons. Aus heutiger Sicht und im Kontext Ihrer Ausstellung könnte sich der Titel auch auf die Konstruktion des eigenen Images in den sozialen Medien beziehen, die Idee einer Persona, die immer wieder neu konstruiert werden kann. Mit Blick auf Plattformökonomien und Influencer als eine neue Art von Kulturarbeitern, wird jedoch klar, dass der vermeintlich konstruktive, kreative Akt, oft mit destruktiven Formen der Ausbeutung einhergeht...
Auf jeden Fall. Ich glaube, der Gedanke beinhaltet einige interessante Aspekte. Zum einen ist da die Identität, zum anderen die Identifikation, beides kann ja sehr unterschiedlich sein. Natürlich sind vermehrt Likes, Follower und Algorithmen im Spiel. Ich denke, es gibt weiterhin die Möglichkeit dieser kreativen Konstruktion, gleichzeitig jedoch eine zunehmende Gefahr der Entfremdung. Auch mit Blick auf diesen Moment des wachsenden sozialen Bewusstseins, über den wir bereits sprachen: Wir fangen an, unterrepräsentierte Stimmen anzuerkennen, was großartig ist. Aber ich versuche auch, meine Studierenden daran zu erinnern, dass wir dabei nicht in diese neoliberale Form des Individualismus verfallen dürfen: Ich bin wichtig, meine Stimme muss gehört werden. Es ist kein Zufall, dass sich in Amerika gerade immer mehr Gewerkschaften auflösen, dass die Kollektivität vielerorts zerbricht. Andererseits beobachte ich Dynamiken in die entgegengesetzte Richtung, wie Konzepte des "Commoning" oder den Versuch, Gewerkschaften an der Basis zurückzubringen. Ich glaube wir müssen gerade grundsätzlich weniger uns selbst, als den Gemeinschaftssinn stärken. Denn nur in großer Zahl können wir etwas bewegen, verändern und aufbauen.
Den Gedanken würde ich gern nutzen, um den Bogen zurück zum Thema mediale Inszenierung zu schlagen. Die Idee, damit Massen zu bewegen, weckt ja auch negative Assoziationen. Ich habe gehört, dass Sie mal ein Projekt zum Berliner Olympiastadion realisiert haben, ein anderes im Kunsthaus Dahlem, dem ehemaligen Atelier Arno Brekers. War es auch ein Interesse an den Inszenierungspraktiken der Nationalsozialisten, dass Sie nach ihrem Jahr am Künstlerhaus Bethanien motiviert hat, zu bleiben?
Was mich nach diesem einjährigen Aufenthalt zum Bleiben veranlasst hat, war vor allem dieses Gefühl ungelöster, spürbarer Geschichte. Die Frage, was man mit der Vergangenheit macht, wie man mit ihren Stätten und Denkmälern umgeht. Das Atelier Brekers lag lange brach, bevor es zum Kunsthaus Dahlem wurde. Die Arbeit mit dem Titel "Taking Positions", die ich dort gemacht habe, weist Parallelen zu "Ninfa Atlas" auf. Ich ließ verschiedene Frauen die Haltungen von Brekers Skulpturen einnehmen, um zu untersuchen, inwieweit bestimmte Posen Ideologie speichern können. Auch da ging es am Ende um die Idee, mit Geschichte zu arbeiten, um die Frage, wie sich konstruktiv in ihre Leerstellen intervenieren lässt. Was uns zu dem Motiv der Schwelle, des Dazwischen, zurückbringt, das mich so interessiert: Während meiner Zeit in Berlin habe ich all diese Schwebezustände gespürt, diesen Zwischenzustand der Zeiten, diese langsame, zögerliche Art, mit Raum und Architektur umzugehen. Die Geschichte war spürbar und so viel Neues möglich. Ich war von 2006 bis 2014 in Berlin, das war eine wirklich produktive Phase für mich und auch eine Möglichkeit, meiner persönlichen Geschichte näher zu kommen: Ich bin adoptiert und meine leibliche Mutter war Deutsche. Ich habe diese alten Papiere ausgegraben und während meiner Zeit in Berlin meine deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.
Wann kommen Sie wieder?
So bald wie möglich! Ich hatte so darauf gehofft, mir 2020 die "Mnemosyne Atlas"-Ausstellung im HKW ansehen zu können, aber dann kam die Pandemie. Ich habe auch viele Freunde in der Stadt und hoffe, dass es bald wieder einfacher wird, sie zu besuchen.