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12 Kunst-Filme, die sich im Dezember lohnen

Unsere Filme im Dezember machen Kunstdiebstahl zum Blockbuster, ehren wegweisende Designerinnen und finden den Kolonialismus im Expressionismus 
 

Bismarcks langer kolonialer Schatten

Im August dieses Jahres sah das monumentale Bismarck-Denkmal im Berliner Tiergarten plötzlich anders aus. Das Berliner Künstlerduo Various & Gould packten in Kooperation mit dem Projektraum Savvy Contemporary das Abbild des ersten deutschen Reichskanzlers zuerst in beiges Papier und verpassten ihm dann ein knallbuntes Redesign seiner preußischen Uniform. Schließlich wurde die Pappmaché-Hülle wieder abgenommen und zu Savvy in den Wedding verschifft. Dort fanden Workshops und Performances rund um die papiernen Körperteile des Herrschers statt.

Das Projekt "Monumental Shadows" ist Various & Goulds Beitrag zur derzeitigen Debatte um Denkmäler mit kolonialem Hintergrund. Schließlich stieg Deutschland unter Otto von Bismarck zur Kolonialmacht auf, und er war Initiator der sogenannten "Kongo-Konferenz" von 1884/1885, bei der die europäischen Großmächte den afrikanischen Kontinent praktisch unter sich aufteilten. Mit der Verkleisterung wurde ein anderer Blick auf Bismarck möglich, kein Denkmalsturz, eher eine stellvertretende Verformung. Inzwischen sieht die Statue in Berlin wieder gewohnt Patina-grün aus, doch nun ist auch der Film fertig, der das Projekt dokumentiert. Regisseur Frederic Leitzke hat die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler begleitet. In seinem Video lässt sich Bismarcks Verwandlung nachvollziehen, und die Beteiligten reflektieren über die langen Schatten des Kolonialismus im öffentlichen Raum. 

"Monumental Shadows - Rethinking Colonial Heritage", auf Vimeo

 

Kunstdiebstahl als Blockbuster 

Ein bisschen Kunstraub, eine Prise "Indiana Jones" und ein wenig "Ocean's 12" – so lautet vermutlich das Rezept für den neuen Netflix-Film "Red Notice". Der auf den Raub von Artefakten spezialisierte Agent John Hartley (Dwayne Johnson) wird durch unerwartete Umstände dazu gezwungen, mit dem Kunstdieb Nolan Booth (Ryan Reynolds) zusammenzuarbeiten. Das ungleiche Duo befindet sich schon bald in einem Wettlauf gegen die Zeit, Interpol und den "Läufer" (Gal Gadot), ebenfalls im Kunstraub tätig und größte Konkurrentin von Booth. Die Suche nach dem sagenumwobenen dritten Ei der Kleopatra führt Hartley, Booth und den "Läufer" unter anderem auf einen Maskenball, in eine Stierkampfarena und in den argentinischen Dschungel. Die Karten werden dabei immer wieder neu gemischt und bis zum Ende bleibt offen: Wer geht aus diesem sehr speziellen Triell als Sieger hervor -  und wer muss das Feld mit leeren Taschen räumen?

"Red Notice", nach Angaben des Streamingportals schon jetzt eine der erfolgreichsten Netflix-Produktionen überhaupt, ist ein Actionfilm mit Witz und Tempo, der zwar nicht allzu tief in irgendeines der angrissenen Themen eintaucht und Kunst eher als Kulisse benutzt, dafür aber als leichte Unterhaltung für trübe Herbstabende herhalten kann. Die Eier der Kleopatra existieren übrigens nicht wirklich, schön anzusehen sind sie trotzdem.

"Red Notice", auf Netflix



Ein Manifest der Kreativen

Haben Künstlerinnen und Künstler die besseren Ideen, wie wir eine lebenswerte Zukunft gestalten wollen? Das Arte-Format "Wie wollen wir leben?" will das herausfinden und hat acht Menschen mit kreativen Berufen acht Stunden lang zusammen auf ein Schiff gepackt. Das Ziel: Ein Manifest mit Forderungen für ein neues Zusammenleben zu verfassen. Teil der ersten Runde sind die Künstlerin Katharina Grosse, der Architekt Francis Keré, die Kulturwissenschaftlerin und Autorin Mithu Sanyal, der Autor Daniel Schreiber, der Architekt Van Bo Le-Mentzel, die Journalistin Sophia Fritz, der Autor Dmitry Glukhovsky und der Aktivist Raul Krauthausen.

In der knappen Stunde Sendezeit, die daraus entstanden ist, wird fleißig gebrainstormed, diskutiert und gestritten. Dabei wird klar, dass auch Künstler zuweilen Binsenweisheiten von sich geben, dass klare Ziele, auf die sich alle einigen können, gar nicht so leicht zu formulieren sind, und dass selbst in einer Runde, die nicht hierarchisch sein will, irgendwann etwas entschieden werden muss. Zum Schluss landet die heterogene Schiffsgemeinschaft dann wie selbstverständlich bei Beuys. Eine ihrer Forderungen lautet "Lobbyisten im Bundestag durch Künstler*innen ersetzen. Jeder Mensch ist ein*e Künstler*in".

"Wie wollen wir leben?", Arte-Mediathek, bis 2025

 

Peter Jacksons Blick auf die Beatles 

Man sollte meinen, dass  der Regisseur und Produzent Peter Jackson nach der "Herr der Ringe"-Trilogie weiß, was es bedeutet, mit viel Videomaterial zu arbeiten. Die dreiteilige Beatles-Doku "Get Back" dürfte ihn trotzdem vor eine neue Herausforderung gestellt haben: Über 60 Stunden Film- und 150 Stunden Audioaufnahmen bildeten den Ausgangspunkt des Projekts.

Gute 50 Jahre ist es her, dass Michael Lindsay-Hogg die Band 1969 mit einer Filmcrew bei ihren Vorbereitungen für ein Fernseh-Special begleitete, daraus entstand später der Dokumentarfilm "Let it be". Ein großer Teil des Materials blieb aber unverwendet, und so machte sich Jackson 2017 mit unter anderem den Ex-Beatles Ringo Starr und Paul McCartney sowie den Ehefrauen der verstorbenen Band-Mitglieder John Lennon und George Harrison, Yoko Ono und Olivia Harrison, an eine neuerliche Aufarbeitung.

"Get Back" zeigt in insgesamt etwa neun Stunden Probier-, Schreib- und Aufnahmesessions des Pilzkopf-Quartetts. Man sieht die vier jungen Männer gemeinsam scherzen und musizieren und ist bei den kreativen Prozessen direkt dabei, erlebt aber auch eine Band, die nicht mehr so recht weiß, wohin mit sich, und in der sich erste Spannungen entladen. Es kristallisiert sich bereits zum Zeitpunkt der Aufnahmen langsam heraus, was dem Zuschauer retrospektiv bewusst ist; schon im folgenden Jahr werden die Beatles sich auflösen.

Umso schöner ist es, Paul, John, Ringo und George noch einmal bei der gemeinsamen Arbeit beobachten und ihre musikalische Klasse aus erster Hand bewundern zu können. Der Film ist intim und ehrlich, bauscht nichts auf, beschönigt aber genauso wenig. Für Beatles-Fans ein Muss und auch für alle anderen sehr sehenswert.

"Get Back", auf Disney+



Dash Snow, der verglühte Stern 

Anfang der Nullerjahre formierte sich in New Yorks Lower East Side eine anarchische, exzessive Kunstszene. In ihrem Mittelpunkt: Dash Snow. Eine neue Dokumentation erinnert jetzt an den früh verstorbenen Künstler. "Die Leute sagen, dass ich Skulpturen mache, aber ich bin nicht der Typ mit der Baskenmütze, der an einem Stück Marmor herummeißelt und sein Meisterwerk schafft. Das kann ich nicht machen. Ich spreche lieber von Situationen, von Geschichten", erklärte Snow einmal. "Ich versuche, einen Moment zu bewahren." 

Der Film über den Künstler, der vor zwölf Jahren an einer Überdosis Heroin starb, ruft jetzt eine ganze Reihe dieser "Momente" in Erinnerung. Regisseurin Cheryl Dunn begleitete Snow und seine Freunde schon ab Mitte der 1990er-Jahre mit der Kamera und kann auf viel bislang unver­öffentlichtes Material zurückgreifen. "Moments Like This Never Last" leistet nicht unbedingt kritische Aufarbeitung, aber als Hommage ist das Werk durchaus gelungen. 

Angefangen mit einer Szene, in der Snow in Handschellen von einer Party abgeführt wird, zeichnet Dunn das Bild eines Künstlers, dessen Freiheitsdrang nur noch vom Hang zur Selbstzerstörung übertroffen wurde. Live fast, die young – dem alten romantischen Drehbuch der Underdogs und Unangepassten folgend, zog Snow durch das New York der Jahrtausendwende. 

Einen ausführlichen Report über Dash Snow lesen Sie hier.

"Moments Like This Never Last", auf Mubi


Marimekko und der Siegeszug des finnischen Designs

Wer an Finnland denkt, landet neben Sauna, Wodka und dunklen, kalten Wintern ziemlich sicher irgendwann bei finnischem Design. Dass das so ist, hat zu einem nicht unwesentlichen Teil mit den bunten, grafischen Mustern des Labels Marimekko zu tun, das seit den 60er-Jahren zu den beliebtesten Textilmarken der Welt gehört und auch Jackie Kennedy und Led Zeppelin zu seinen Fans zählte. Das Mohnblumen-Muster "Unikko" ist so etwas wie die omnipräsente Pop-Ikone unter den Stoff-Designs - und das, obwohl Marimekko Blumenmuster eigentlich kategorisch abgelehnt hatte.

Hinter vielen der beliebten, von abstrakter Kunst inspirierten Motive steckt die finnische Designerin Maija Isola (1927-2001), die inzwischen fast synonym mit Marimekko geworden ist und die zwischen Finnland, Paris und den USA eine unverwechselbare Handschrift fand. Der Dokumentarfilm "Marimekko & Maija Isola: Finnisches Design erobert die Welt" folgt der Karriere der eigenwilligen Gestalterin, der man an der Kunsthochschule sagte, sie könne zwar nicht zeichnen, habe aber das Naturell einer Künstlerin. 

Der Film ermöglicht rare Einblicke ins Familienarchiv von Isolas Tochter Kristina, die ebenfalls für Marimekko arbeitete. Auch wenn sich ihre Mutter zunehmend von der Arbeit für die Marke entfernte und stärker als unabhängige Künstlerin auftrat, konnte sie sich nie ganz von der Kollaboration lösen. Die Namen Isola und Marimekko sind auf ewig miteinander verknüpft. 

"Marimekko & Maija Isola: Finnisches Design erobert die Welt", Arte-Mediathek, bis 11. Februar 2022


Der Widersprüchliche - ein Porträt des Malers Willi Sitte 

Neben Werner Tübke, Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer zählt der 2013 im Alter von 92 Jahren verstorbene Willi Sitte zu den bedeutendsten Malern der DDR. 1921 im heutigen Tschechien geboren, zeichnete der 22-jährige Sitte noch mitten im Krieg einen bitteren Abgesang auf das Naziregime: "Totentanz des Dritten Reichs". Als Wehrmachtssoldat in Norditalien schloss er sich Partisanen an. Nach dem Krieg entschied sich Sitte für das kommunistische Deutschland, wo er sich bald als Künstler einen Namen machte.

Von Fernand Léger und Renato Guttuso inspiriert und voller Bewunderung für Pablo Picasso schuf er an der klassischen Moderne orientierte Werke, die von der SED zunächst als "formalistisch" und "dekadent" abgetan wurden. Ab Mitte der 1960er mutierte Sitte zu einem  –  im Nachwende-Jargon –  "Staatskünstler". Ab 1964 stieg er aktiv in die Politik ein, was ihm nicht wenige Weggefährten übelnahmen, wurde Präsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR (1974-1988), ab 1976 Abgeordneter der Volkskammer, 1986 bis 1989 Mitglied des ZK der SED.

Der Balanceakt zwischen politischem Statement und künstlerischer Komplexität zieht sich als roter Faden durch sein Leben und Werk. Am Ende wurde der nackte Mensch zum beherrschenden Bildmotiv, menschliche Körper in allen Drehungen, Sitte paarte darin Farbenwucht mit barocker Sinnlichkeit.

Eine Arte-Dokumentation spürt den Widersprüchen dieses Malers nach, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, und dem das Kunstmuseum Moritzburg Halle eine Retrospektive widmet

"Der Maler Willi Sitte. Ein Leben zwischen Kunst und Politik", Arte-Mediathek, bis 6. Februar 2022


Was der Expressionismus mit Kolonialismus zu tun hat

Wenn man Werke des deutschen Expressionismus vor dem historischen Hintergrund des Kolonialismus betrachtet, fallen zahlreiche Paradoxien auf. Als beispielsweise die Maler Max Pechstein und Emil Nolde um 1910 ins damalige Deutsch-Neuguinea auf die Insel Palau reisten, war das vermeintliche Südseeparadies durch die koloniale Ausbeutung schon längst zerstört. Trotzdem malten die Künstler idyllische Paradiese mit freizügigen "exotischen" Schönheiten - genau die Bilder also, die den Deutschen aus den Übersee-Kolonien vermittelt wurden. Sie hatten ihren "weißen Blick" auf ihren Expeditionen schon mitgebracht - genährt durch ethnologische Museen und ihre zum großen Teil geraubten Exponate.

Ein neuer Dokumentarfilm von Wilfried Hauke analysiert, wie die Expressionisten von kolonialen Denkmustern und der "Rassenlehre" ihrer Zeit geprägt waren. Außerdem steht die Frage im Raum, wie man die Ergebnisse des exotisierenden europäischen Blicks heute zeigen soll. Ein großes Forschungsprojekt am Nationalmuseum in Kopenhagen, das im Film vorgestellt wird, macht ein Angebot.

"Der weiße Blick - Expressionismus und Kolonialismus", Arte-Mediathek, bis 11. Februar 2022


Die Design-Pionierin Charlotte Perriand

Charlotte Perriand war eine der wenigen berühmten Designerinnen. Sie arbeitete im Büro von Le Corbusier, entwarf dort seine Möbel und machte mit Jean Prouvé später unter eigenem Namen weiter. Und wie alle Designer war sie auch eine Erfinderin, die alle vermeintlichen Gegebenheiten erstmal hinterfragte. Wer sagt denn, dass man immer an einem Schreibtisch sitzen muss, und nicht darin?

Sie entwarf einen großen Arbeitstisch, der die Form eines Bumerangs hat. Der Mensch befindet sich auf diese Weise inmitten seiner ihn umgebenden Arbeit, und unter jedem Ende befinden sich geräumige Schubladen wie die Erweiterung des Gehirns. Der Film "Pionierin des Alltagsdesigns" stellt sowohl ihre Entwürfe als auch den Menschen Charlotte Perriand vor. Und zeigt auch, welche Gedanken der Designerin noch relevant für die Diskurse der Gegenwart sind. 

Faszinierend und völlig auf der Höhe der Zeit sind zum Beispiel ihre Mini-Behausungen für das Leben in der Natur: Ihr Strandhaus mit zwei geschlossenen Körpern und einem mit Tuch überdachten offenen Innenbereich, oder das Alpenbiwak Tonneau denken die Natur, in der sie stehen, als Gestaltungsmittel mit. Berühmt wurde sie 1927 für ihre "Bar unterm Dach" aus vernickeltem Kupfer und eloxiertem Aluminium, die sie mit Anfang 20 für sich selbst entworfen hatte. Perfekt also für die häusliche Isolation in Corona-Zeiten. 

"Charlotte Perriand - Pionierin des Alltagsdesigns", ZDF-Mediathek, bis 21. Dezember


Wie muss die Stadt der Zukunft aussehen?

Dass Städte, wie wir sie kennen, in Krisenzeiten nicht besonders gut funktionieren, hat die Corona-Pandemie gezeigt. In den Lockdowns hatten wenige viel und viele wenig Platz, Bürotürme und Geschäfte standen leer, und ohne den ständigen Konsumanreiz ergab es wenig Sinn, sich in urbanen Zentren aufzuhalten. Auch für die noch größere Herausforderung des Klimawandels mit zunehmender Hitze und höherem Risiko für Überschwemmungen sind die meisten Städte schlecht gerüstet.

Es muss sich also etwas ändern - aber wie? Der Dokumentarfilm "Unterwegs nach Utopia" geht Ideen nach, die es für klimaneutrale und gerechter aufgeteilte Städte bereits gibt. Gleichzeitig wird erörtert, woran die Umsetzung bisher scheitert, obwohl inzwischen alle wissen, dass die Bauwirtschaft einen beachtlichen Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß hat. 

Im Film von Frank Eggers kommen Menschen zu Wort, die sich eine andere Stadt wünschen und vorstellen können, oder die selbst schon mit Projekten am Wandel mitgewirkt haben: darunter Vicente Guallart, ehemaliger Chefarchitekt des Stadtrats von Barcelona, der Berliner Architekt Arno Brandlhuber und seine Mitstreiterin Charlotte Malterre-Barthes, sowie der Architekt Jan Gehl, der die Modernisierung von Kopenhagen entscheidend mitgeprägt hat.

"Unterwegs nach Utopia", 3Sat-Mediathek, bis 2026


Damien Hirst und die rosa Kirschblüten

Dass der britische Künstler Damien Hirst nach seinen bombastischen Installationen mit eingelegten Tieren oder diamantbesetzten Totenschädeln nun süßliche Kirschblütenbilder malt, kann man befremdlich finden - oder als weiteres Rollenspiel in der Karriere des Kunstmarkt-Tricksters interpretieren. Wo der wohl bekannteste Vertreter der Young British Artists seine neue Liebe zur Malerei entdeckt hat, kann man nun jedenfalls in einem Dokumentarfilm der Fondation Cartier in Paris nachvollziehen, in der Hirst seine "Cherry Blossoms" noch bis Januar 2022 ausstellt. Mit dem Kunsthistoriker Tim Marlow spricht er in seinem geräumigen Studio im farbbeklecksten Outfit über seine Hinwendung zum Action Painting und natürlich, warum so bescheiden, auch über Leben und Tod. 

Hirst erzählt, wie er im Lockdown das allein Arbeiten für sich entdeckte (man wünscht seinen zahlreichen Assistentinnen und Assistenten eine gute finanzielle Absicherung) und wie er mit Farbspritzern und Pinseltupfen eine Balance zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen Kontrolle und Zufall zu finden versucht. Der Film ist nicht gerade demütig, versucht er doch, Hirst in eine Linie mit den Ikonen europäischer Malereigeschichte zu stellen. Allerdings lässt sich auf diese Art ein Künstler, dessen Erfolg auf einer Prise Größenwahn fußt, als nachdenklicher Handwerker kennenlernen, der endlich mal seine Mutter stolz machen wollte. 

"Cerisiers en fleur - Le documentaire", Fondation Cartier online


Schlingensiefs Container 

"Was hätte Christoph Schlingensief dazu gesagt?" ist eine beliebte Phrase in der Kunstwelt, wenn es um politische Eskalation, erstarkenden Rechtspopulismus und künstlerische Interventionen dagegen geht. Der 2010 verstorbene Regisseur war ein Meister darin, politische Brutalität zu spiegeln und in seinen Performances auf die Spitze zu treiben. Ob das heute so noch funktionieren würde, kann man sich ebenfalls fragen, denn der Kunstbetrieb reagiert inzwischen empfindlicher auf das Reproduzieren von Gewalt und Diskriminierung. 

Im Film "Ausländer raus", der gerade auf der Streamingplattform Mubi verfügbar ist, kann man noch einmal Schlingensiefs umstrittene "Container-Installation" in Wien nachvollziehen, die im Jahr 2000 auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ unter Jörg Haider in Österreich und das aufkommenden Medienphänomen Reality TV reagierte. Die Dokumentation von 2002 begleitet ein perfides Quasi-"Big-Brother", bei dem Asylsuchende im öffentlichen Raum in einem Wohncontainer untergebracht und rund um die Uhr gefilmt wurden. Jeden Tag wurde eine Person "herausgewählt", also von der Bevölkerung zur Abschiebung freigegeben. Dazu wurde der Wiener Platz mit rassistischen Ansprachen von FPÖ-Chef Jörg Haider beschallt - die Hetzte gegen Geflüchtete ist nicht das Einzige, was sich im Film von Paul Poet unangenehm zeitgenössisch anfühlt. 

"Ausländer raus - Schlingensiefs Container", auf Mubi