Herr Julien, worum geht es in Ihrer neuen Videoinstallation "Playtime"?
Es geht um die Finanzkrise, aber weniger um die wirtschaftlichen Auswirkungen, als um die psychologischen Kosten. Bisher hat man darüber in den Medien wenig gehört, die kurzfristigen Folgen der Krise standen im Mittelpunkt.
Ihr Film setzt einen anderen Akzent: Er erzählt individuelle Geschichten von fünf Charakteren.
Eine zentrale Figur ist der isländische Künstler, seine Geschichte basiert auf den Erfahrungen des Fotografen Thorsten Henn. Kurz vor dem Banken-Crash begann er in der Nähe von Reykjavik, das Haus seiner Träume zu bauen. Es ist nie fertig geworden. In dieser zeitgenössischen Ruine haben wir eine Episode aus "Playtime" gedreht. Thorstens Haus ist für mich ein Symbol: Hier hat die Krise eine sichtbare Narbe hinterlassen.
Es gibt in "Playtime" aber auch Figuren, die nicht direkt von der Finanzkrise betroffen sind: das Hausmädchen in Dubai zum Beispiel.
Auch ihr Leben wird von ökonomischen Zwängen bestimmt. Sie kommt von den Philippinen und ist nur in den Nahen Osten gegangen, um dort zu arbeiten. Das Geld, das sie dort verdient, schickt sie ihren Kindern nach Hause. Der Antrieb, ihre Heimat zu verlassen, ist ganz klar: Kapital.
"Capital" heißt eine weitere Videoarbeit von ihnen, die als Ergänzung zu "Playtime" entstanden ist. In dem Film sprechen sie mit David Harvey, einem marxistischen Wissenschaftler, über Marx‘ Hauptwerk "Das Kapital".
Harvey sagt: Kapital ist unsichtbar, man kann es nur an seinem Wirken erkennen – so wie die Schwerkraft. Wir sehen die Schwerkraft nicht, aber wir sehen sehr wohl, dass ein Apfel vom Baum fällt. In "Playtime" habe ich versucht, unterschiedliche Auswirkungen abzubilden, die Kapital auf das Leben von Menschen hat. Nur so kann ich es sichtbar machen.
Spielt das Thema Kapital zum ersten Mal eine Rolle in Ihrer Kunst?
Nein, es war schon für meine letzten Videoprojekte wichtig. "Ten Thousand Waves" von 2010 und "Western Union: Small Boats" von 2007 handeln von Menschen, die aus Asien oder Afrika nach Europa auswandern, weil sie sich hier ein besseres Leben erhoffen. Sie glauben, dass Europa ihnen einen anderen Zugang zu Kapital und Wohlstand eröffnet.
Kommen wir noch einmal auf die Figuren in "Playtime" zurück: Beruht jede von ihnen auf einer realen Person? So wie der Fotograf, von dem Sie zu Anfang erzählt haben?
Jede Geschichte basiert auf Menschen, die ich wirklich kenne. Das Hausmädchen ist zum Beispiel von meiner Putzfrau Lisa inspiriert. Sie hat früher tatsächlich in den Emiraten gearbeitet. Ihr ging es dort so schlecht, dass sie von ihrem Arbeitgeber aus Dubai nach London geflohen ist. So kam sie zu mir.
Die meisten Charaktere werden von Schauspielern verkörpert. James Franco zum Beispiel spielt den dynamischen Kunsthändler, Colin Salmon einen Hedgefonds-Manager. Den Auktionator Simon de Pury aber haben Sie sich selbst darstellen lassen. Warum?
Wenn Sie mich fragen, dann ist ein so erfahrener Auktionator wie Simon de Pury ein geübter Performer. Er ist ein Schauspieler, von dessen Auftritt es abhängt, für wie viele Millionen ein Kunstwerk unter den Hammer kommt.
Wo wir schon beim Kunstmarkt sind. An einer Stelle in "Playtime" fragt James Francos Figur die Zuschauer: "Ist Videokunst vielleicht etwas, in das Sie investieren möchten?" Ist das eine Kaufaufforderung?
Es ist eher eine selbstironische Bemerkung. Auf dem Sekundärmarkt funktioniert Videokunst nämlich bisher überhaupt nicht. Ich glaube auch nicht, dass sich das in Zukunft ändern wird. Die zunehmende Digitalisierung führt eher dazu, dass Objekte zum Fetisch werden.
Ist Videokunst deshalb für den Markt unattraktiver als Gemälde, weil sie nur aus Datenströmen besteht?
Das ist sicherlich ein Aspekt, Videokunst ist in dieser Hinsicht sehr konzeptuell. Generell interessiert mich der Prozess, wie ein Kunstwerk zu seinem Marktwert kommt. Wie funktioniert dieses System? Welche Aspekte von Kunst sind uns wie viel wert? Im Grunde ist ein Kunstwerk doch ein nutzloses Objekt. Aber wir haben eine leidenschaftliche, unlogische Beziehung zu diesen Objekten und dadurch werden sie wertvoll.
Den Titel "Playtime" haben sie von einem Jacques-Tati-Film aus den 60er-Jahren entlehnt. Das Wort deutet aber auch an, dass der Fluss des Kapitals eine Art Spiel ist.
Ein Glücksspiel ist sicherlich ein guter Vergleich – besonders wenn man auf den Kunstmarkt schaut. Alle gehen dort große Risiken ein. Und ich als Künstler nehme mich davon nicht aus: Ich brauche ziemlich viel Kapital, um meine Arbeiten zu realisieren. Dafür muss ich mich auf die Großzügigkeit meiner Galerien und Mäzene verlassen. Ohne ihre Unterstützung wäre ein Projekt wie "Playtime", in dem drei Jahre Arbeit stecken, nie zustande gekommen.
Welche Rolle haben Sammler in diesem Spiel um Kunst und Kapital?
Der Kunsthändler, den James Franco in "Playtime" spielt, redet von Begehren. Begehren ist immer im Spiel, wenn es ums Kaufen von Kunst geht – es ist das, was jeden Sammler antreibt. Ich als Künstler bin natürlich froh, dass es Menschen gibt, die Kunst begehren und für sie Geld ausgeben. Ohne Sammler könnte ich nicht arbeiten.
Aber sind die Preise, die manche Kunstwerke erzielen, noch nachvollziehbar? Wird Kunst nicht finanziell überbewertet?
Doch, das wird sie. Ich glaube, die Menschen sind viel zu fasziniert von dieser Beziehung zwischen Kunst und Geld. Kunst wird instrumentalisiert – und das ist ein Problem mit Folgen: Das Kunstwerk per se ist fast schon verlorengegangen. Spürbar wird das auf Messen und überall sonst, wo mit Kunst gehandelt wird. Alles ist mit so viel Spannung aufgeladen. Aber kommt die wirklich vom Interesse für Kunst? Oder geht es nur noch um Finanzen?
"Playtime" in der Ausstellung "Einblicke – in die Sammlung Wemhöner", Osram-Höfe, Berlin, bis 18. Mai
Isaac Julien im Interview