Eigentlich lade ich ja nur einmal im Monat zu ungelegten Eiern ein. Aber manchmal muss man die Gelegenheit beim Schopfe ergreifen, und als ich erfuhr, dass das britische Design-Duo Jessica Charlesworth und Tim Parsons in der Stadt sind, um eine kleine Ausstellung im re:future Lab zu eröffnen, lud ich sie zu einem Extra-Ei ein. Und dazu noch Anja Rosinke und Maciej Chmara, die wie Tim und Jessica mit ihrem Design spekulative Arbeitsformen kultivieren.
Die Arbeit meiner Gäste ist symptomatisch für die Bandbreite von heutiger Designproduktion. Die Arbeit von Charlesworth & Parsons wird mal als Kunst, mal als Design wahrgenommen. Das Publikum der Architekturbiennale in Venedig begegnete dieses Jahr ihrem "Catalogue of the Post-Human", der die fiktive Geschichte eines Unternehmens erzählt, dass Tools für Mind Enhancement und Körpererweiterungen anbietet. Anschaulich wird das in ganz konkreten Produkten, die das erdachte Unternehmen zum Verkauf anbietet.
Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist eine wissenschaftliche Recherche, aus der sie dann kritische Zukunftsvisionen ableiten und diese anhand von ihnen gestalteten Objekten veranschaulichen. Diese Perspektive auf Design und die damit verbundene Arbeitsmethode vermittelt Tim Parson auch am School of the Arts Institute of Chicago, wo er seit 2010 als Professor unterrichtet.
Ania Rosinke und Maciej Chmara sind im Vergleich dazu eher klassische Designer:innen. Vor ein paar Jahren sind sie aus Wien nach Berlin gezogen, damit ihre Eltern es nicht so weit zu ihren Enkelkindern haben. Ania Rosinke und Maciej Chmara sind in der Lehre an der Universität der Künste in Berlin tätig und haben ein eigenes Designstudio. Dieses Jahr hat das Studio zum Beispiel den neuen Design-Campus im Dresdner Museum für Kunst und Gewerbe auf Schloss Pillnitz eingerichtet. Ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit sind Küchen, was die – mehr oder weniger – klassische Gestaltung von Küchen als Lebensraum ebenso umfasst wie Performances, bei denen neben dem Essen Gastfreundschaft und soziale Interaktion im Mittelpunkt stehen.
Museumscafé als Ausstellungsfläche
Das Ei von Parsons & Charlesworth ist im Vergleich zu den von ihnen bekannten fiktionalen Projekten höchst real. Ein Freund der beiden hat eine Firma ins Leben gerufen, die Häuser auf der Basis von geodätischen Kuppeln entwickeln will, wie sie ab den 1940er-Jahren von Buckminster Fuller erforscht wurden – und seitdem immer wieder in Architektur- und Designprojekten auftauchen. Die Aufgabe von Parsons & Charlesworth ist dabei nicht Fiktionalisierung, sondern konkrete Zukunftsforschung über mögliche Lebensformen und damit verbundenen Nutzungsmodellen. Da die geodätischen Kuppeln aus Modulen aufgebaut sind, sollen die beiden auch ganz konkrete Designvorschläge für Fassadenelemente machen. Eine Frage, die sie derzeit besonders umtreibt, ist das zukünftige Zusammenleben von Menschen und Tieren. Und so können sie sich vorstellen, Module für Bienenstöcke oder Nisthöhlen zu entwerfen, die in die Fassade der Wohnkuppeln integriert werden können.
Ania Rosinke und Maciej Chmara haben zwei Eier mitgebracht, die sich beide um das Thema Ernährung drehen. Ein Ei ist ein gescheitertes Projekt: ein Museumscafé, das selber Ausstellungsfläche sein sollte. Das Konzept hatten sie gemeinsam mit einem Starkoch entwickelt, und Exponate dieser Ausstellungsfläche sollten die Gerichte sein, die die Besucher:innen dort hätten bestellen können. Denn während viele Museen in ihren Ausstellungen wichtige gesellschaftspolitische Themen adressieren, folgen viele Museumsrestaurants und -cafés den gängigen kulinarischen Mustern. Viel besser, so führt Maciej Chmara aus, wäre es, wenn auch hier das wichtige Zukunftsthema Ernährung aktiv thematisiert und sinnlich erfahrbar gemacht werden könnte. Im Kopf hatte er, einem Museum entsprechend eine Vielfalt von kulinarischen Strategien zu zeigen. Aber leider scheiterte das Projekt – die Idee wird uns aber sicher wiederbegegnen, zumal Maciej zum Thema Zukunft des Essens an der Hochschule für bildende Künste Hamburg gerade sein Promotionsvorhaben begonnen hat, bei der es um synthetische Biologie, alternative Proteine und andere Zukunftsvisionen der Nahrungsproduktion und -verarbeitung gehen wird.
Ein Kochbuch für und von Kindern
Ania Rosinkes ungelegtes Ei hatte auch mit Essen zu tun – ein Kochbuch für und von Kindern, inspiriert von ihren sechs Jahre alten Zwillingen. Kinder, so erzählt sie, haben eine andere Perspektive auf Essen, was man sowohl den Rezepten als auch den Fotos anmerkt, die die Kinder beim Essen und von den zubereiteten Gerichten machen.
Wie immer, wenn man gemeinsam isst und trinkt, reden wir auch über ganz anderes. Zum Beispiel darüber, wie man heiratet, wenn man in ein Land außerhalb der EU ziehen will oder noch ganz schnell die Oma, die Sorge hat, dass das Kind in Sünde geboren wird, glücklich machen will, ohne gleichzeitig alle 30 Vettern und Kusinen einladen zu müssen. Und ich denke nach dem Essen noch lange nach, ob ich als nächstes ein Zero-Waste-Dinner mache oder doch mal synthetisch hergestellte Proteine ausprobieren will.