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Wegen der ständigen Renovierungsarbeiten ist die alte Postzentrale in Wien zurzeit verhüllt und verschnürt, als wäre sie ein großes Päckchen. Am Eingang zur Viennacontemporary liegt sogar eine dicke Wolke Baustaub in der Luft. Für die Besucher stehen Plumpsklos bereit, und während der Kunstbetrachtung klingt es manchmal, als stürzte gerade ein ganzer Teil des Gebäudes ein. Boris Ondreička, der in diesem Jahr erstmals die künstlerische Leitung von Österreichs wichtigster Kunstmesse übernommen hat, sieht in der Alten Post, wo die Messe erstmals stattfindet, deshalb auch eine Metapher: Das Gebäude stehe für die Instabilität, die alle Beteiligten in den 45 Tagen Vorbereitungszeit aushalten mussten, sowie für die große Transformation, die ihm für die Viennacontemporary vorschweben würde.
Eine riesige Baustelle also – ein Mitarbeiter der Galerie Elektrohalle Rhomberg hat sich aus Versehen an der falschen Wand angelehnt und muss jetzt seinen Hochzeitsanzug sauberwischen. Das kann die Stimmung bei ihm und seiner Salzburger Galerie aber nicht trüben. Der Stand, der diesmal eine Soloschau der in Tokio geborenen Haruko Maeda zeigt, war am ersten Tag ausverkauft. Das zwei mal zwei Meter große Ölgemälde "Neverland 4“ (2019) kostete über 26.000 Euro, nun hängt an seiner Stelle ein weiteres von Maedas präzisen Wimmelbildern aus der "Neverland“-Serie, die auf Hieronymus Bosch anspielen und mit so vielen traumartigen wie traumatischen Details aufwarten. Mal nackt, mal angezogen strömen die gemalten Menschenmassen ins Zentrum des Bildes, wo sie auf die ein oder andere Weise in Rauch aufgehen. An den beliebteren Messeständen kann man Werkserien förmlich dabei zusehen, wie sich ein Bild einer Serie in seinen Nachfolger verwandelt.
Am anderen Ende des Preisspektrums kostet ein bunter Druck des Künstlerduos Osip Toff nur schlappe 100 Euro. Eine junge Österreicherin nutzt ihre Russisch-Kenntnisse aus der Schule, um sich von der Ural Vision Gallery aus Jekaterinburg das Bild erklären zu lassen, dann zückt sie einen grünen Schein aus ihrem Portemonnaie und schlägt zu. Die Handseife als Motiv der Corona-Zeit, von Osip Toff noch mit einer Einladung zu einer privaten Orgie versehen, hat ihr imponiert. Überhaupt geht der Trend hin zu erschwinglicheren Kunstwerken, sowie zu Modellen geteilten Eigentums, bei denen das Werk dann regelmäßig zwischen mehreren Besitzern umherwandern muss. Besonders die Galerien aus osteuropäischen Ländern – seit jeher ein Fokus der Viennacontemporary – waren froh über die Chance auf einen Messestand, um nach der Krise ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern. In ihren Herkunftsländern fehlt es oftmals an den nötigen Corona-Konzepten, der Verkauf stockt, während in Wien mittlerweile schon fast wieder alles beim Alten ist.
Immerhin fünf russische, drei slowenische, drei ungarische und zwei tschechische Galerien waren diesmal unter den 25 Ausstellern. Die Verkleinerung ging also nicht zu Lasten der osteuropäischen Länder (früher, in der Marx-Halle, fanden vier Mal mehr Stände Platz als in diesem Jahr). Die politische Bedeutung der Messe sei nicht zu unterschätzen. In Ländern wie der Slowakei habe sie eine Kultur des Kunstsammelns mitaufgebaut, sagt Leiter Boris Ondreička, in Ungarn stehe sie der drangsalierten Kulturszene bei. Ondreičkas Lieblingswörter scheinen "Netz“ und "Netzwerk“ zu sein. Einerseits versteht er sein Team, das das viertägige Event auf die Beine gestellt hat, als ein solches Netzwerk, und keinesfalls als Pyramide mit ihm an der Spitze. Andererseits umgarnt die Viennacontemporary langsam aber sicher die gesamte Stadt, indem sie mehr und mehr Orte in ihr Programm mit einbezieht. Sogar Satelliten-Veranstaltungen in anderen Städten seien für die Zukunft geplant.
Was das Netz diesmal besonders dicht knüpfte, war die zeitliche Überschneidung mit dem Galerienfestival "Curated by", die es so noch nicht gegeben hatte. Wann immer es auf dem Messegelände zu eng wurde, ließ sich in die 24 Wiener Galerien ausweichen, die von internationalen Kuratorinnen und Kuratoren bespielt wurden. Hier passieren die Entdeckungen: Letztes Jahr etwa war die deutsche Bildhauerin Michèle Pagel in die altehrwürdige Galerie Meyer Kainer zu "Curated by" eingeladen worden. Dieser Schau verdankt sie es, dass sie nun ein Jahr später ihren eigenen Stand auf der Viennacontemporary hatte, nämlich in der Sektion ZONE1 für Künstlerinnen und Künstler unter 40 Jahren. Pagel ist Keramikerin, ergänzt ihre hübschen Skulpturen jedoch um raue Ziegelsteine, die in den leichten Federn eines Pfauenvogels (der sich im Spiegel betrachtet) oder eines Papageis vor einer Schreibmaschine (angeblich ein Porträt von Pagels festem Freund) zur Geltung kommen.
Die etablierten Adressen experimentieren und erweitern ihr Programm, währenddessen stellen sich in der ZONE1 aber auch junge Galerien vor. Zu den jüngsten gehört die Galerie Shore, an deren Stand der Künstler Dan Vogt neben dem von ihm gebauten Küchenherd steht. Als Kanadier habe ihn der vergleichsweise entspannte Wohnungsmarkt vor fünf Jahren nach Wien gelockt, erzählt er. Und natürlich spielten die exzellenten österreichischen Förderprogramme eine Rolle, ergänzt Franziska Wildförster, die in diesem Jahr die ZONE1 kuratierte – als eine Art Aushängeschild der Wiener Vitalität. Auf Vogts Herdplatten brennt gerade eine ganze Miniatur-Stadt an, im Moment des Schmelzens verewigt. Es ist ein Wechselspiel von Drinnen und Draußen, dem die Besucher sich ungehemmt nähern, um ihre Nasen darüber zu halten.
Noch beliebter sind nur die Handarbeiten der Serbin Jelena Micić, die ebenfalls auf Pflichten im Haushalt verweisen: Ihre bunten Muster sind aus verschiedenfarbigen Mülltüten gewebt, aber viele Besucher glauben das erst, wenn sie es am Stand der Galerie3 selbst ertastet haben. Micić hat auf der Messe außerdem ein Netz aufgehängt, das Modellcharakter für die Viennacontemporary hat. Die bunte Struktur des Netzes kommt nur zustande, weil die Wattestäbchen zur Ohrenreinigung in unterschiedlichen Ländern je andere, typische Farben haben.