Unzählige Journalistinnen und Journalisten sind inzwischen zu ihrem Atelier in Rösrath bei Köln gereist, um das Wunderwerk des konservierten Hippie-Zeitgeistes zu sehen. Vor allem die Nachgeborenen staunten über die bunt bemalten Wohnwagen im Garten, archaisch anmutende Kristallskulpturen und esoterische Versammlungsstätten.
Nun hat sich auch die junge Regisseurin Carmen Belaschk mit ihrem Filmporträt "Eins und eins ist drei" dem Pilgerstrom zu Mary Bauermeister angeschlossenen, beseelt vom Refugium einer Künstlerin, die einst inmitten männlicher Genies in der Kölner Altstadt als Salondame die Urzelle des Fluxus mitinitiierte. Zu den Konzerten und Performances kamen Nam June Paik, John Cage, Christo, Joseph Beuys, Merce Cunnigham und viele andere, angezogen von dem damals progressiven Profil des WDR, der mit seinem Studio für elektronische Kunst international für Furore sorgte.
Belaschk nimmt sich für ihre Annäherung an Mary Bauermeister zunächst ehrfürchtig viel Zeit, filmt die 87-Jährige beim Arbeiten am Schreibtisch, Sortieren von Steinen am bretonischen Strand und hinterfragt Sätze wie "Kunstschaffen muss aus der geistigen Welt impulsiert sein" erst gar nicht. Dann kippt plötzlich der streng dokumentarische Ansatz in die Animation, zurücklaufende Jahreszahlen signalisieren einen Sprung in die Vergangenheit.
Stockhausens Exzentrik überschattet ihr Gespür
Endlich, denkt man sich in Vorfreude aufs Archivmaterial von den Kölner Happenings, der Zeit in New York mit Marcel Duchamp und Warhol, dem "Summer of Love" in Kalifornien und der Beziehung zu Karlheinz Stockhausen, der ihren wachsenden Ruhm mit seiner Egozentrik überschattete und sie aus der eigenen Karriere-Umlaufbahn, die sie bis dahin mit bemerkenswerter Vehemenz und Gespür für epochale Umbrüche betrieben hatte, herausbrachte.
Und tatsächlich, die leider etwas kurz geratenen Bild-Strecken aus Fotografien und Tondokumenten sind vorzüglich recherchiert und flott geschnitten, Wegbegleiter kommen zu Wort, TV-Ausschnitte spiegeln den Zeitgeist wider, und Stockhausen konstatiert gönnerhaft: "Mary ist keine Betriebsnudel, sondern eine ungeheuer kluge und geistige Person."
Der gemeinsame Sohn Simon, der die Musik zum Film komponiert hat, ordnet das Geschehen hier und dort ein und erzählt von seiner problematischen Beziehung zu Bauermeister als Mutter. Sie selbst strahlt mit selbstbewusstem Siegerin-Lächeln als blonde Sirene von bisher wenig gezeigten Schwarz-Weiß-Fotografien herunter – und stiftet zum Grübeln darüber an, wie dieses Kraftpaket bloß das Schicksal einer lange Vergessenen erleiden konnte.
Ein Abschied vor dem Abschied
Dass sie heute im Kölner Ludwig Museum hängt, sei ihr, die doch immer gegen das System war, peinlich, behauptet sie gegenüber Direktor Yilmaz Dziewior, nur um einen Schnitt weiter zu sagen: "Ohne Egoismus kannst du doch gar nicht Künstler werden, da kannst du doch gleich Sozialarbeiter werden. Du musst ein gewisses Gefühl für Privilegien haben". Wie dieser Ego-Kult wohl mit der kosmischen Hippie-Ästhetik zusammenpasst? Belaschk gelingt es immer wieder, die Widersprüche in Bauermeisters Charakter einzufangen, ohne ihr wirklich auf die Füße zu treten. Das muss sie auch gar nicht, denn wer mal der auskunftsfreudigen Seniorin begegnet ist, weiß, dass kalkulierte Verstellung nicht ihre Sache ist.
Fast beiläufig und witzelnd erwähnt sie irgendwann im Gespräch mit einer Freundin, dass sie an Krebs erkrankt ist und eine Chemotherapie nicht für sie in Frage komme. Zu einer geplanten Ausstellung in einer New Yorker Galerie möchte sie trotzdem noch reisen. Sie schafft es, nur um nach der Rückkehr zu erfahren, dass ihr Atelier samt unzähliger Werke teilweise abgebrannt ist. Aber Bauermeister wäre nicht Bauermeister, wenn sie auch dieser Niederlage nicht trotzen würde. Das letzte Bild? Eine Frau in weißer Kleidung steigt im Sonnenlicht in einen See. Nur der Strohhut bleibt an der Oberfläche zurück, ein Abschied vor dem Abschied.