Kunst über Spargel

Sich krumm machen fürs Lieblingsgemüse

Für die Deutschen ist Spargel ein heiliges Gemüse, doch wer die Stangen unter welchen Bedingungen erntet, wird gern verdrängt. Künstlerin Andrea Büttner zeigt nun eine Ausstellung über die politische Delikatesse  

Der Titel "Triebe" kann in seiner Doppeldeutigkeit sowohl auf das Wachstum von Spargel als auch auf das Freudsche Prinzip des Wollens verweisen. Denn als Ausgangspunkt ihrer schlau benannten Ausstellung dient der Künstlerin Andrea Büttner die Debatte rund um die Spargelernte, die kurz nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 entbrannt ist. Die innereuropäische Arbeitsmigration und die Ausbeutung handwerklich geschulter Saisonarbeiterinnen und -arbeiter standen aufgrund geschlossener Grenzen auf dem Spiel - und damit die deutsche Spargelernte, die eben zum Großteil nicht von Deutschen erledigt wird. Plötzlich stellte sich die Frage, was schlimmer ist: verrottende Delikatessen auf den Feldern oder das Risiko für die schlecht geschützten Arbeitskräfte. In der Galerie Tschudi im schweizerischen Zuoz zeigt die gebürtige Stuttgarterin Andrea Büttner den Spargel nun als soziales und ästhetisches Phänomen und eröffnet so neue Perspektiven auf das Lieblingsgemüse der Deutschen.

Büttner bedient sich verschiedener Medien, die eine fesselnde Geschichte des Handwerks anhand der Fallstudie Spargel erzählen. Neben Hinterglasmalereien, die abstrakte Feld-artige Gebilde und Triebe im Querschnitt zeigen, widmet sich eine Serie von sieben Radierungen mit dem gleichnamigen Titel der "Spargelernte". Dabei sehen wir Konturen von Händen und Close-Ups der schweren Handarbeit, die uns im Bezug auf unser eigenes Konsumverhalten und die Ignoranz gegenüber der Art und Weise, wie Produkte auf unserem Tisch landen, den Spiegel vorhalten.

Einen romantischeren Blick auf die Arbeit des Spargelstechens werfen die großformatigen Holzschnitte mit intensivem Blau-Ton. Dabei erinnern die zum Teil gebückten und von oben unsichtbaren Figuren der Serie an den Bettler-Zyklus der Künstlerin. Die thematische Überschneidung zeigt sich in den Begriffen der Anmut und Akzeptanz des Bückens als Haltung. Diese Haltung geht mit dem Erwirtschaften des Geldes einher, entweder als Almosen oder als niedere handwerkliche Lohnarbeit, die anderenorts in veränderter Manier als Handwerk stilisiert wird.

Zwischen Symbolik und Vergänglichkeit

Die Bewertung von Arbeit spiegelt Büttner dabei auch in der Wahl ihrer Techniken wider. Der Holzschnitt oder die Radierung sind handwerkliche Drucktechniken, die in der zeitgenössischen Kunst oft als mindere Kunstformen angesehen werden. In ihrer Installation "Spargel" hingegen ließ die Künstlerin Studierende verschiedener Schnitzerschulen die filigranen Stängel schnitzen, die dann als einzigartige Skulpturen in die Gesamtinstallation integriert werden. Dabei zeigt sich auch hier die Ambivalenz zwischen dem symbolischen Charakter des Objekts und der Vergänglichkeit des Lebensmittels, in das sich die körperliche Arbeit der Spargelstecher eingeschrieben hat.

Andrea Büttner geht aber nicht nur der aktuellen, sondern auch der historischen Wirklichkeit der Landwirtschaft in Bezug auf das Künstlerinnen-Dasein nach. Ihre "Geschichte des Bückens", eine Dia-Schau von Bildern sozial-ökonomischer Realitäten mit Arbeiten von Courbet oder Manet, zeigt den Widerspruch zwischen der künstlerischen Kritik an den gesellschaftlichen Realitäten und der privilegierten Position der Künstlerinnen und Künstler.

Handwerk als Fetisch

Einen zentralen Punkt der Ausstellung bildet eine ältere Arbeit der Künstlerin: "What is so terrible about craft? / Die Produkte der menschlichen Hand" (2019), eine zwei Kanal-Installation, einer Messe in einer Kirche und Produkten von Manufactum, einem Kaufhaus für nachhaltige Haushaltswaren. Einerseits beleuchtet der Film die anhaltende Beziehung des Handwerks zu reaktionären politischen Bewegungen sowie seine Rolle in nationalen Erzählungen und religiöser Identitätsbildung. Andererseits untersucht die Arbeit, wie westeuropäische Handwerkstraditionen mit ideellen Lebensmodellen durchdrungen sind. Büttner illustriert hier wie Ästhetisierung, Fetischisierung und der Glaube an eine bessere Gegenwart neue Konsumformen hervorruft.

Die Soziologen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre illustrierten kürzlich in ihrem Buch "Bereicherung" das Generieren neuer ästhetischer Mehrwerte aus Tradition und Handwerk, was man mit den Worten von Andreas Reckwitz auch als "Singularitäten" bezeichnen könnte. Denn das Handwerk und die daraus entstehenden Waren, egal ob Mode, Essen oder Reisen, sind heute zu einer eine Art Fetisch-Objekt geworden. Ähnlich wie die Kunstsammlerinnen und -sammler wollen alle mittlerweile nur Dinge besitzen und konsumieren, die besonders sind - und zwar einzigartige, traditionelle, nachhaltige und am besten handgemachte. Was dabei oft vergessen wird: Handwerk ist nicht nur romantisch, ästhetisch und erfüllend, es beschert nicht nur Objekte, die schön und begehrenswert sind; oft ist es auch überlebenswichtige, harte und ermüdende Arbeit, die es erst ermöglicht, dass der nachhaltige Bio-Spargel während der Saison auf unseren Tellern landet.