Akinbode Akinbiyi, Yagazie Emezi, Mohau Modisakeng und Yves Sambu sind nur vier der Fotografinnen und Fotografen, deren Arbeit noch bis zum 12. September bei der internationalen Triennale Ray in Frankfurt am Main gezeigt wird. Diese zufällig erscheinende Auswahl von Kreativen mit familiären Bezügen nach Nigeria, Südafrika und der Demokratischen Republik Kongo erweist sich als aufschlussreich, wenn man die jüngste Geschichte "afrikanischer Fotografie" näher studiert. Nur gibt es so etwas freilich nicht, denn nicht das Medium selbst ist afrikanisch, sondern diejenigen, die es nutzen. Das zeigt der Band "The Journey: New Positions in African Photography" eindrücklich. Dennoch übernehmen beide Herausgeber des bei Kerber erschienener Bandes, Kurator Simon Njami und Kunstkritiker Sean O’Toole, diese irreführende, aber weit verbreitete Bezeichnung.
Dass etliche im Buch besprochene Fotoserien einen beträchtlichen Teil des Zuwachses von afrikanischen Positionen in Fotoausstellungen hierzulande ausmachen, bezeugt den Erfolg des Projekts "Photographers Masterclass", das alle in der Publikation erwähnten Künstlerinnen und Künstler durchlaufen haben. Aber es lässt auch darauf schließen, dass deutsche Ausstellungsmacherinnen und -macher Versäumtes dringend nachholen wollen.
Der in Berlin lebende, liebenswürdig bescheidene Meisterfotograf Akinbode Akinbiyi (geboren 1946), fungierte zehn Jahre lang als Dozent der "Photographers Masterclass". Bis 2018 wurde dieser einwöchige Meisterkurs auf Initiative von Simon Njami und dem damaligen Direktor des Goethe Instituts Johannesburg, Peter Anders, jährlich veranstaltet: Es handelte sich dabei um eine Mischung aus Akademie, Portfolio Review, Ausstellungsbesuchen und Mentoring-Programm in acht afrikanischen Hauptstädten.
Die oben erwähnten Yves Sambu (Jahrgang 1980), Mohau Modisakeng (1986) und Yagazie Emezi (1989) profilierten sich zwar auch unabhängig von der "Masterclass", aber ausnahmslos in den Jahren zwischen 2008 und 2018. Somit war diese Dekade besonders prägend für zeitgenössische fotografische Positionen vom afrikanischen Kontinent. Zum ersten Mal in der Geschichte gab es einen großen neuen Kader afrikanischer Fotografinnen und Fotografen, die im großen Stil konzeptuell geleitet arbeiteten. Diese Entwicklung schlug sich auch bei einigen afrikanischen Biennalen (zum Beispiel in Bamako, Dakar, Lubumbashi und Lagos) nieder, die diesen Positionen zunehmend ganze Ausstellungen widmeten. Allein die "Masterclass" hat 50 solche Positionen unterstützt. 17 davon werden in "The Journey" mit Portfolios präsentiert.
Interessante Zeiten, in denen die Möglichkeiten endlos sind
Einer davon ist Thabiso Sekgala (1981-2014), Absolvent des Programms in Lagos 2013. "Ich bin begierig darauf, neue Wege zu finden, Geschichten zu erzählen", sagt Sekgala in einem Interview von 2014. "Wir leben in interessanten Zeiten, in denen die Möglichkeiten endlos sind." Im selben Interview bringt er auch seine Frustration über die Erwartungen an Fotografen aus Südafrika zum Ausdruck, wonach immer ein Bezug zur Apartheid hergestellt werden müsse. Auch deshalb nutzte Sekgala seinen Aufenthalt im Rahmen des "International Studio Program" des Berliner Künstlerhauses Bethanien, um Neues auszuprobieren. Aus seinem Interesse an der türkeistämmigen Diaspora in Berlin entstand die Serie "Paradise" von 2014: urbane Szenen aus Berlin und Istanbul, in denen Europas (in der Außenwahrnehmung) "paradiesische" Zuschreibungen subtil und ironisch zerrüttet werden. Wenige Wochen nach Publikation der Serie nahm er sich im Alter von 33 Jahren das Leben.
Jüngere Jahrgänge der "Masterclass" zeigen dagegen eine Vorliebe für Porträtfotografie als risikoarmes Format für autodidaktisches Ausprobieren. Jedes von Gosette Lubondos (geboren 1993 in Kinshasa) Porträts aus der Serie "Talangai"("Schau mich an") von 2017 ist dreiteilig. Die ersten beiden Aufnahmen zeigen Lubondos Subjekte, allesamt Frauen aus Kinshasa, in zwei unterschiedlichen Outfits vor ihren offenen und mit Vorhängen verzierten Wohnungstüren. Einmal haben sich die Frauen sichtlich "in die Schale geworfen", während sie im zweiten Bild in ihrer Freizeitkleidung posieren. Der dritte Teil ist ein Stillleben aus den jeweiligen kleinen Wohnungen der Fotografierten, häufig ein Fernsehtisch oder laminierte Bilder an der Wand. Es passiert etwas zwischen den Fotos. Die Sujets ziehen sich um, räumen eventuell auf, aber diese Bewegungen bleiben hinter drei nüchtern-dynamischen Momentaufnahmen verborgen.
In Macline Hiens (geboren 1970 in Abidjan) Serie "Victims" von 2014 sind nicht die Bewegungen, sondern die Blicke, vielleicht sogar das Wesen der Subjekte verborgen. Vor Hiens Kamera posieren Menschen, die bei den Unruhen nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2010 in Côte d'Ivoire Gewalt erfahren haben. Auf einem schwarzen Tuch, welches als Open-Air-Studiohintergrund genutzt wird, sitzen oder stehen sie stets von der Linse abgewandt. Ihre Traumata lassen sich nur erahnen. In Hiens Serie Bildern wird deutlich, dass auch erfahrene Fotografinnen Variationen des Porträts nutzen, um Ideen umsetzen zu können, die den fotojournalistischen Blick auf Themen wie politische Gewalt (bei Hien), oder städtisches Leben (bei Gosette Lubondo) durchbrechen.
Der wichtigste Teil der Zielgruppe wird nicht erreicht
Ala Kheir (geboren 1985 in Nyala) hingegen versucht, durch seine Fotos die flüchtige Vergangenheit seiner Stadt und persönliche Erinnerungen einzufangen. Seine Panoramen offenbaren einen träumerischen Blick auf Khartoum. Um Maschinenbau im Ausland zu studieren, verließ Kheir für einige Jahre die Stadt an der Nilmündung. Nach seinem Rückkehr entstand die Serie "Revisiting Khartoum" (2015). Auslöser waren seine Kindheitserinnerungen an Besuche in der Innenstadt, als Kheirs Vater in den 1990er-Jahren dort ein Büro hatte. Er stellte sich vor, eines Tages selbst in einer der breiten Straßen zu arbeiten, aber fand eine gänzlich andere Innenstadt bei seiner Rückkehr vor. In seinem träumerischen Blick darauf versucht er die Hoffnung, die er als junger Vater in sein Land haben muss, festzuhalten.
"The Journey" will mehr als eine Dokumentation der "Photographers Masterclass" sein. Das Buch soll eine wichtige Quelle sein und als ein Werk für sich rezipiert werden, was nicht zuletzt durch die 13 Essays im Band gelingen soll. Doch ausgerechnet daran könnte er scheitern, denn der wohl wichtigste Teil der adressierten Zielgruppe wird kaum erreicht. Afrikanische Fotografinnen und Fotografen werden das Buch in den seltensten Fällen zu sehen bekommen, es sei denn, sie kennen das Programm bereits. Der Verlag hat nämlich keine Vertriebsstruktur für die allermeisten afrikanische Länder. “Kerber Publications are distributed Worldwide: in Europe, Asia, South and North America", heißt es auf den allerletzten Seiten. Diese Worte fassen ein immerwährendes strukturelles Paradox in der Rezeption zeitgenössischer Kultur aus dem afrikanischen Kontinent zusammen. Wie bei landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten (zum Beispiel bei Kakao oder Kaffee) kann leicht der Eindruck entstehen, dass Afrikanerinnen und Afrikaner in diesem Fall nur in der Produktion vorgesehen sind und nicht als Konsumentinnen und Konsumenten ernst genommen werden.
Man wünscht sich, es wäre anders, denn sowohl für Fotografinnen und Fotografen als auch für eine interessierte Öffentlichkeit vor Ort hätte "The Journey" ein enormes Potential. Letztere ist ein wichtiges aber systematisch unterschätztes Umfeld für diese erfrischenden, vielversprechenden Positionen, das es zu hegen und inspirieren gilt.
Statement des Kerber Verlags zu dem Artikel: "Der Kerber Verlag verfügt über eine feste Vertriebsstruktur in Afrika. Darüber hinaus sind alle Bücher über die Website des Verlages und die gängigen Onlineshops weltweit verfügbar. Das Goethe Institut, als Initiator des Projektes, sichert zudem die Bereitstellung von „The Journey“ in Bibliotheken in elf afrikanischen Ländern (Namibia, Nigeria, Südafrika, Äthiopien, Elfenbeinküste, Ägypten, Senegal, Sudan, Togo, Kenia, Kamerun)."