Milliardäre im Weltraum

Das war alles?

Unser Kolumnist wollte im Weltall-Flug von Amazon-Gründer Jeff Bezos irgendetwas Aufregendes entdecken. Aber was sollte das ganze nochmal? Und warum sehen Raketen immer noch aus wie ein Phallus? Bericht einer Enttäuschung

Menschliche Gefühle, die man im Fernsehen oder Internet sieht, können ergreifen. Man denke an die vergangene Fußball-EM mit all ihrer Tragik und den Tränen oder aktuelle Naturkatastrophen. So was kann berühren. Genauso TikToks, Reels oder andere Kurzvideos, in denen Influencer tausend mal versuchen, irgendetwas Trickreiches zu machen (etwa eine Toastscheibe aus 20 Metern in den Toaster zu schießen) und wenn es schließlich klappt, ist die Euphorie groß.

Vor wenigen Tagen schaute ich mir die Übertragung des Weltraumflugs von Jeff Bezos an. Jenem reichsten Menschen der Welt, dessen Vermögen derzeit 200 Milliarden Dollar beträgt und welches allein im Pandemiejahr 2020 um 24 Milliarden Dollar wuchs. Den Flug führte seine eigene Weltraumfirma Blue Origin aus, die man mit jenen Geldern finanziert, die durch Steuertricks in anderen Märkten kriminell ermogelt wurden. Mit an Bord sind sein Bruder Mark Bezos, die 82-jährige US-Amerikanerin Wally Funk und der 18-jährige Niederländer Oliver Daemen.

Letzte Woche noch flog Richard Branson, ein anderer Milliardär und Medienmogul, allerdings der älteren Generation, knapp vors Weltall, und wie in alten Comics rivalisieren 2021 medienwirksam die wohlhabendsten weißen Männer um eine vermeintliche Vorherrschaft im Weltraum. Elon Musk darf hier nicht vergessen werden. Auch wenn er selber noch keinen Weltraumflug absolviert hat, leitet er die Weltraumorganisation SpaceX, die im Raketenbau derzeit taktangebend sind. Wenn Daten das neue Öl sind, dann ist der Weltraum das neue, ja was eigentlich?

Wieso ist die Crew so weiß, und warum trägt Jeff Bezos diesen Cowboy-Hut?

Flüge ins All sind dann besonders spannend, wenn irgendetwas zum allerersten Mal geschafft wird. Die Apollo-11-Mission zum Mond startete vor 52 Jahren ebenfalls am 20. Juli. Oder man denke an den Marketing-Sprung aus der Stratosphäre von Felix Baumgartner von 2012. Dieser Pioniergeist, der Mut, der Generationen inspiriert. Auch bei der Mission von Blue Origin würde man gerne irgendwas Revolutionäres feiern. Irgendwelche Rekorde. Das ist wohl der Grund, wieso Frau Funk und Herr Daemen mit an Bord sind. Frau Funk ist somit die älteste Weltraumtouristin aller Zeiten und Oliver Daemen demnach der jüngste Mensch, der bis dato ins All geflogen ist.

Aber wieso ist die Crew so weiß, und warum trägt Jeff Bezos immer diesen dämlichen Cowboy-Hut? Das TV-Team von Blue Origin kommentiert jeden Moment eifrig und emotional. Jeff Bezos hat seit Gründung vor rund 20 Jahren viele Milliarden investiert. Jetzt ist also Zahltag. Und irgendwie kann sich die Übertragung nicht entscheiden, ob sie distanziert wie im Fernsehen berichten soll oder doch gleich eine Infomercial-Sendung daraus macht. Es ist eher letzteres. Die Show klingt mehr nach QVC als nach CNN. Im Laufe der weiteren Übertragung wird immer wieder auffallen, wie viele gestelzte Jauchzer aus der "Mission Control" oder anderen Orten durch die Speaker dröhnen. Auch so eine typische Krankheit der Techwelt. Claquere, die man bei Events und Pressekonferenzen platziert, um gute Stimmung in den richtigen Momenten zu generieren. Jeder, der live so ein trauriges Schauspiel schon mal erlebt hat, weiß, wie tot das ist.

Zum Zeitpunkt des Starts weiß ich eigentlich nicht viel über die anstehende Reise. Wie viele Stunden oder gar Tage wird die Crew unterwegs sein und welche überlebensnotwendigen Amazon-Bestellungen wird Jeff Bezos der ISS-Crew persönlich überreichen? Und allen aerodynamischen Argumenten zum Trotz – Weshalb muss eine Raketenkapsel, die mit soviel Potenz beladen wird, im Jahr 2021 immer noch derart wie eine Eichel aussehen? Da muss es doch Alternativen geben.

 

Die New-Shepard-Mission beginnt. Die Rakete bläst den verbrannten Treibstoff in den Himmel. Gejohle und wieder dieses jodelnde Jauchzen. Die Trägerrakete löst sich. Erneute Ekstase. Recht bald aber fällt die Geschwindigkeit. Gibt es Probleme? Die Teleobjektive fokussieren die Kapsel nur schwerlich und ruckelig. Wieso gibt es denn keine Bilder vom Innenraum der Rakete? Nach wenigen Minuten ist die Mission offenbar schon vorüber. Bei Minute sieben befindet sich die Crew im Sinkflug. In Minute acht entfalten sich die Bremsschirme. Nach zehn Minuten ist der milliardenschwere Spuk vorbei. Also doch kein Same-Day-Delivery-Prime auf der ISS.

Die Enttäuschung ist bei mir deutlich spürbar. Nicht so bei der Show- und Boden-Crew. Als die vier Insassen nach quälender Expedition endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben, knallen die Champagnerkorken. Jeff Bezos lässt sich mit Cowboyhut feiern, dabei muss er sich vieles von den letzten Meisterfeiern des FC Bayern abgeguckt haben. Sehen so Emotionen und Freude beim reichsten Mann der Welt aus? Was fühlt er überhaupt? Er benimmt sich wie ein Tourist. Aber das wird der Punkt sein. Das, was die Mission auszeichnet, ist, dass eben Leute wie Jeff Bezos keine Angst mehr haben müssen, so ein Vehikel zu besteigen. Risikominimierung at it’s best. Ein Flug auf knapp 100.000 Meter Höhe, so sicher, dass der Bezos selbst seinen Bruder und Geschäftspartner Mark mitnimmt. Von den Messners wissen wir, wie sehr so ein Unterfangen auch nach hinten losgehen kann.

Die anschließende Pressekonferenz ist wieder vom Johlen untermalt, das man von Smartphone-Präsentationen in Cupertino und Umgebung kennt. Bezos mit Hut referiert stolz wie ein Schuljunge nach dem ersten Fünfersprung über die kurzen schwerelosen Zero-G-Momente, die sich "so normal, surreal und friedvoll" anfühlten, und dass er erkannte, wie fragil doch eigentlich unser Planet ist. Ganz poetisch. Aber das Wichtigste: Jeff Bezos dankt auch all den Amazon-Kund:innen auf unserer fragilen Erde, weil sie am Ende für diesen Spaß bezahlt haben. Das meint er wirklich. "From the bottom of my heart. It is very appreciated", beteuert Jeff Bezos vor laufenden Kameras. Es regnet Applaus.