Eigentlich könnte man in der Ausstellung "Sweat" im Münchner Haus der Kunst eine Party feiern. Zuerst würde Karaoke gesungen, mithilfe des untertitelten Musikvideos von Eisa Jocson. Danach müsste man zum Tanzen auf die bunt beleuchtete Go-go-Bühne von Guadalupe Rosales steigen. Schließlich weiterziehen in die Mittelhalle des Museums, wo Jacolby Satterwhite eine Nachtclub-Umgebung geschaffen hat.
In seinem computeranimierten Video "We Are In Hell When We Hurt Each Other" (2020) feiert ein durchmischtes Festival-Publikum aus Mönchen, Robotern und Schmetterlingen miteinander. Erst wird man von der Musik in Trance versetzt, dann dropt der Beat: Eine androide, dunkelhäutige Roboterfrau muss ihre Tanzschritte nun zur Selbstverteidigung einsetzen, um gegen steinerne Geschosse aus allen Richtungen zu kämpfen. Im nächsten und übernächsten Song kommen wieder die Geschosse, sobald der Rhythmus sich gegen sie wendet. Richtig gehen lassen kann die Roboterfrau sich auf dieser Party nicht.
Ähnlich ergeht es den Besuchern von "Sweat". An der Oberfläche will die Gruppenausstellung sie zu jeder Zeit unterhalten, stellt ihnen damit aber eine Falle. Immerhin darf man nicht vergessen, dass 30 Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt hier das Heiligste ihrer jeweiligen Kultur, Subkultur oder Community preisgeben. Sie bieten sich zur Aneignung und emotionalen Ausbeutung an, sie spielen mit dem Knalleffekt einer Exotik-Messe. Die bunten Farben und LEDs können nur kurz verbergen, dass die vermeintliche Go-go-Bühne von Guadalupe Rosales in Wahrheit ein gläserner Schrein ist, in dem vertrocknete Rosen, alte Briefe und dramatische Zeitungs-Schlagzeilen liegen.
Körper können oder müssen Archive sein
Es handelt sich um ein kulturelles Archiv für die mexikanischen Einwanderer in Südkalifornien, die ihre Erinnerungskultur selbst in die Hand nehmen mussten, und sei es mit der Hilfe einer Künstlerin wie Rosales. Andere Arbeiten retten die südkoreanische oder australische Mythologie in die Gegenwart, wieder andere bewahren die vergessene Geschichte Puerto Ricos.
Körper können Archive sein, und manchmal müssen sie das, mangels Alternativen. Dieser Idee widmen sich nicht nur die Installationen, Skulpturen und Videos, sondern sogar die Leinwände, Textilcollagen und Fotografien. Der menschliche Körper ist politisch, wenn er an überhitzten Demonstrationen teilnimmt, wenn er in der prallen Sonne einen traditionellen Karneval feiert oder wenn er sich bei Tanz und Performance verausgabt – all das wird zusammengefasst unter dem geschickt gewählten Titel "Sweat". Die beiden Kuratoren Anna Schneider und Raphael Fonseca möchten mit dem Schweiß im Titel gegen soziale Normen anstinken und sich gleichzeitig die entstehenden Pheromone in die Nase wehen lassen, denn natürlich spielt hier auch Sex eine wichtige Rolle.
Damit das alles selbstbestimmt geschieht, wehren sich die Künstlerinnen und Künstler gegen eine kommerzielle Vereinnahmung durch die Popkultur. Am deutlichsten wird das Dilemma bei der Schwarzen Französin Tabita Rezaire, die am meisten von ihrem eigenen Körper zeigt und am stärksten damit hadert. Ihre fünf lebensgroßen, digital montierten Selbstporträts ("Inner Fire", 2017) zu Themen wie Exotik, Geld, Religion oder Technologie sind mit Zitaten überwuchert, die sie mal ermächtigen und mal wieder knechten sollen.
"Fuck you, but pay me"
Einem Zitat zufolge bestehe sie nur zu einer Hälfte aus "yassssss", zur anderen Hälfte aus Tränen. Die "spirituelle Renaissance", die in der ganzen Ausstellung betrieben wird, steht bei ihr einem "Lifestyle-Schwindel" gegenüber. Am bündigsten formuliert Rezaire ihre innere Zerrissenheit so: "Fuck you, but pay me."
Es war nicht immer leicht, dem Material etwas Eigenes hinzuzufügen. Jede der hier präsentierten Kulturen strotzt bereits vor Kreativität, und so sind einige Arbeiten eher dokumentarischen Charakters. Philipp Gufler versammelt 120 Film-, Veranstaltungs- und Wahlplakate ("I wanna give you devotion", 2017), um die Entwicklung der Münchner LGBT-Bewegung seit den 1960er-Jahren nachzuzeichnen, mit all ihren Galionsfiguren und Gegnern.
Streng anachronistisch, wie die Plakate von Gufler gehängt wurden, antworten sie aufeinander und beweisen, dass es in der queeren Szene viel mehr Codes gab als nur die berühmten Farben der Taschentücher, die man zur verdeckten Kommunikation hinten in die Hose steckte oder um den Hals band.
Schamane im Toiletten-Tempel
Ein weiterer Beleg dafür ist das öffentliche Urinal ("Vadios", 2018), das João Pedro Vale und Nuno Alexandre Ferreira aufbauen ließen und das einmal ein schwuler Treffpunkt in Lissabon war. Kaum zu glauben, dass dieses eiserne Klohäuschen wirklich ein Readymade ist; dass da also ganz normale Vandalen am Werk waren. Viel zu abgestimmt wirken die verschiedenen Grüntöne, in denen die vulgären Graffiti und magischen Symbole (wie das Pik-Ass und der Planet Uranus) auf die Außen- und Innenwände gesprüht sind.
Hat man sich an dem Labyrinth von Eisenzaun vorbeigequetscht, kann man den Toiletten-Tempel sogar betreten. Innen fühlt man sich wie ein Schamane, umzingelt von den schweren Schwingtüren der Kabinen und von geronnenen Sexfantasien. Das kann man beklemmend oder erhaben finden – in jedem Fall ist das Urinal nicht unter dem Einfluss einer Kommerzialisierung entstanden, sondern wehrt sich bis heute gegen neugierige Blicke. Die Ausstellung "Sweat" will den Pop als Verbündeten einschwören, statt ihn zu verteufeln, aber sie wahrt eben auch Distanz zu ihm. Die mythischsten ihrer Rituale und Objekte hat schließlich jede Subkultur für sich selber, im Geheimen und als Resultat der Verdrängung geschaffen.