Als die Furcht vor der Zukunft die Jahrhundertwende überschattete, Autos die Kutschen verdrängten und der Weltkrieg über Europa kam, war der Mensch entweder Kind oder erwachsen: zu jung, um zu arbeiten, eine Familie zu ernähren und in den Krieg zu ziehen oder zu alt, um der Pflicht und Verantwortung des Lebens länger zu entsagen. Natürlich existierte eine Phase des Dazwischens. Natürlich existierte die Jugend. Sie hatte nur keine Bedeutung. Da war nichts, was diese Zeit definierte, außer der Akzeptanz, Kind sein oder erwachsen werden zu müssen.
Erst Konsumindustrie und amerikanische Traumfabriken rückten den Lebensabschnitt zwischen etwa 14 und 20 Jahren ins Bewusstsein der Gesellschaft. Sie stießen eine Entwicklung an, die lange bestimmte, womit sich die Weder-Kind-noch-Erwachsenen identifizierten – bis 2020 eine Pandemie die Welt paralysierte und der Nährboden des Vergnügens zu vertrocknen begann. Teenager heute können nicht die Teenager sein, wie sie Film, Mode, Musik und Literatur vor weniger als einem Jahrhundert erfunden und geformt haben.
Es heißt, das Zeitalter der Teenager seien die 1940er und 50er-Jahren gewesen. Das ist auch gar nicht so falsch. Doch ihre Wurzeln finden sich viel früher. Mindestens in die Goldenen Zwanziger muss man zurückreisen, um das Aufleben und Aufbegehren einer Jugendkultur aufzuspüren.
Ein Lebensgefühl von Hemmungslosigkeit und Enthusiasmus
In der damals völlig eskalierenden Jazz- und Swingwelle fanden junge Menschen ein Lebensgefühl von Hemmungslosigkeit und Enthusiasmus. Die Welt hatte einen Takt gefunden, zu dem Frauen in knappen Röcken ihr Bubihaar schüttelten und sich gern zwei- oder dreimal einen Mary-Pickford-Cocktail spendieren ließen. Varieté und Kinobesuche, Schallplatten und Tanzabende, planloses Herumfahren in Vaters Ford, Abhängen mit Freunden in den Straßen der Nacht und alkoholgetränktes Knutschen und Fummeln mit dem Nachbarssohn in der Seitengasse verwandelten den von Krieg, Taylorismus und Familienideal vergessenen Lebensabschnitt in ein Peter Pan’sches Nimmerland, das die Jugend und alles, was sie prägt, zu bewahren versucht.
Kino, Sex, Autos, Musik brachten Bewegung und Leichtigkeit in die Langeweile des Alltags. Die Menschen waren hungrig nach Fortschritt, Innovation, nach Exzess und Orgie, nach neuen Impulsen und Inspiration. Die Jugend war Amerika und Amerika die Jugend, auch deshalb schwappten die Trends stets vom Westen über den Atlantik nach Europa.
Es gibt zwei Autoren, die man als die Forscherpäpste des Jugendhedonismus beschreiben könnte und in deren Bibeln man all das findet, was die Teenagekultur befeuerte und festigte. Der eine ist Jon Savage. 2007 publizierte der britische Popjournalist sein 500 Seiten starkes Werk zur Erfindung des Teenagers, eine kulturhistorische Abhandlung von der Jahrhundertwende bis zum Zweiten Weltkrieg, von Wandervögeln und Pfadfindern über Hitlerjugend bis zu den Clara Bows, James Deans und Marlon Brandos, den Prototypen der Coolness mit Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, modelliert von einer Filmindustrie, die sich überlegen musste, wie sie ihr junges Publikum ins Kino lockt.
"Das Alter der natürlichen Verwirrtheit"
Der andere ist der amerikanische Psychologe G. Stanley Hall, so etwas wie der Gründervater der Theorie des Teenagers. In "Adoleszenz" aus dem Jahr 1904, nach jahrelanger Recherche und Beobachtung, hielt er verblüffend präzise Thesen über die Jugend fest, wusste schon damals, dass Teenager emotional instabil und leidanfällig seien und ein Student das Recht habe, faul zu sein. "Es ist das Alter der natürlichen Verwirrtheit, ohne dass dazu Rauschmittel nötig wären", schreibt er und empfiehlt "Sympathie, Anerkennung und Respekt im Umgang mit dieser Altersgruppe."
Werte, wonach sich die heutige Jugend genauso sehnt, sie im Corona-Dauerlockdown aber nicht erfährt. Im vergangenen Jahr galten Teenager, ihre (illegalen) Partys und privaten Treffen als "Pandemietreiber." Weil das Infektionsgeschehen allerdings so diffus war und immer noch ist, waberte diese Behauptung haltlos im Raum.
Die fetten Jahre erreichten in den 1940ern ihren Zenit und setzten sich in den 50ern fort. Die Gesellschaft erholte sich von der Großen Depression, vom Krieg und seinen Verlusten, die Menschen arbeiteten weniger und verdienten solide, kuschelten sich in den Vororten in ihre Eigenheime und zappten sich durch das Programm ihrer frisch ergatterten Röhrenfernseher.
Was die Teenie-Existenz ausmacht, ist verboten
Der Wohlstand spülte den Jugendlichen Taschengeld in die Hosen, ein Griff hinein öffnete ihnen die Tür zum Kinosaal von "Rebel without a cause". Dort, in CinemaScope und Technicolor, starrte ihnen ein Jim Stark in ketchuproter Bomberjacke und Blue Jeans von der Leinwand entgegen, ein von Method Actor James Dean perfektionierter Stellvertreter für den rebellischen Teenager und seine Abkehr von den alten Männern und Vaterfiguren.
Der jugendliche Sturm und Drang schlummerte schon immer in den Heranwachsenden, befällt zuverlässig ihre sprießenden Körper und brauchte doch immer ein Ventil wie die Medien und ein Katapult wie den sich verändernden Zeitgeist, um auszubrechen. Vieles geht verloren, wenn Pandemie-Maßnahmen, so wichtig sie zur Covid-Bezwingung auch sein mögen, diesen Sturm und Drang künstlich unterdrücken und verbieten, auszuleben, was die Teenie-Existenz so lebenswert macht.
Corona überschattet alle Errungenschaften der Jugendkultur. Gleichzeitig ist klar: Die Gegenwart öffnet nur das nächste Kapitel. Die Geschichte von der Erfindung des Teenagers ist längst nicht zu Ende.