Wenn jetzt endlich die große, lange angekündigte Kusama-Ausstellung im Berliner Gropiusbau wieder öffnen darf, begrüßt sie ihr Publikum mit einer gigantischen Installation aus leuchtend pinken gepunkteten Tentakeln im Lichthof. Man wird von Farbe verschluckt, zückt entzückt das Smartphone und wundert sich leicht überwältigt, dass es die erste große Retrospektive der japanischen Künstlerin in Deutschland ist. Zählt Yayoi Kusama doch zu den erfolgreichsten Künstlerinnen überhaupt.
In den letzten Jahren allgemein bekannt wurde sie durch Kollaborationen mit Louis Vuitton und natürlich durch die Instagram-Posts von begeisterten Besucherinnen und Besuchern ihrer Galerie- und Museumsausstellungen, die das Eintauchen in den Kusama-Punkte-Kosmos teilten. Allerdings dauert diese Karriere schon viel länger an, und ihre Geschichte ist fantastisch.
Ihre Kindheit in Japan nannte die Künstlerin unerträglich, sie wurde heimgesucht von Halluzinationen und Ängsten. Als junge Frau ging sie in den frühen 1960er-Jahren allein nach New York. Einsam, arm und hungrig malte sie wie eine Besessene ihre "Infinitiy Nets", kleine Kreise auf übergroßen Leinwänden. "Ich wollte eine Revolution in der Kunst bewirken, und mein Entschluss erregte mich so sehr, dass ich sogar den Hunger vergaß," schreibt sie in ihrer Autobiografie "Infinity Net".
Die Hohepriesterin der Kunst
Gegen die Angst vor der Auslöschung setzt sie überbordende Akkumulation, ihrer aus ihrer Kindheit rührenden Angst vor Sex begegnet sie mit immer expliziter werdenden Motiven und Aktionen. Ihr Umgang mit phallischen Objekten ist offensiv, bald macht sie sich unter Hippies und Hollywoodgrößen einen Namen als Orgien-Hohepriesterin.
Doch obwohl sie in der Mode, mit Performances und Veranstaltungen und als Aktivistin sehr bekannt wird, bleibt der große Erfolg, von dem sie schon als Jugendliche geträumt hatte, aus, und in den 1980er-Jahren ist ihr Name fast vergessen. Bis sich in Japan, wohin sie zurückkehrt und sich nicht willkommen fühlt, ein junger Kurator sie für den japanischen Pavillon in Venedig vorschlägt.
Die Motivsprache von Kusama und ihre Erscheinung sind eng miteinander verbunden, die Künstlerin hatte es schon früh verstanden, sich als "Marke zu inszenieren", bevor jeder andere es versucht hatte. (Andy Warhol soll durch sie auf die Idee mit den Tapeten gekommen sein, Claes Oldenburg hatte sich ihre "soft sculptures" genau angesehen, bevor er selbst welche machte.) Eine Tatsache, der die Direktorin des Gropiusbau, Stephanie Rosenthal, großen Respekt zollt.
Auflösung in die Unendlichkeit
Die Ausstellung zeigt eine furchtlose Pionierin. "Allein, dass sie in fast jedem Foto, das von ihrer Kunst gemacht wurde, selbst zu sehen ist", bemerkt Rosenthal. Auch Immersion, das völlige Eintauchen in ein Kunstwerk, gehört zu ihren frühesten Praktiken. Die große Schau, die anschließend nach Köln und Paris geht, zeigt Werke aus allen Kusama-Phasen. Das Phallus-Ruderboot vom Anfang ihrer Karriere, die sehenswerten düsteren Collagen aus den frühen 1970er-Jahren in Tokio, sowie mehrere Spiegel-Räume, in denen durch Licht und Reflektion die Auflösung in die Unendlichkeit erzeugt wird, von der Kusama schon als Kind sprach.
Ab Mittwoch, 19. Mai, ist der Gropiusbau wieder mit Termin und negativem Corona-Test zugänglich, da die Inzidenz in Berlin seit einigen Tagen stabil unter 100 liegt. Damit ist die "Bundesnotbremse" außer Kraft gesetzt, und es gelten wieder die Berliner Regeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie.