Wenn man den Salon Berlin des Museum Frieder Burda betritt, fällt einem schlagartig ein, was man eigentlich vermisst in dieser Zeit, in der Kunsterfahrung so häufig auf den Bildschirm beschränkt ist: Raum, und zwar in Kombination mit Schönheit.
Der amerikanische Künstler Matthew Lutz-Kinoy hat den langen Eingangsschlauch des Ausstellungsortes in der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule in Berlin mit einem wunderbar weichen rosafarbenen Teppich ausgelegt, und von der Decke hängt ein puscheliger Wald aus rosafarbenen Wollpompons an Schnüren, die sich sanft bewegen, wenn man hindurchgeht. Man könnte das kitschig finden. Tut man aber nicht. Stattdessen sinkt fühlbar der Wert des Stresshormons im Blut, das Auge beginnt erfreut zu wandern, und findet hinter dem Pompon-Vorhang ein Gemälde. Es stellt, wie passend, einen "erschöpften Engel" dar, in zarten Rosatönen gehalten. Er neigt den Kopf unter der Last der Müdigkeit zur Seite, die Flügel erhoben, von oben ragen Hände ins Bild.Die Figur hat Lutz-Kinoy von einer Bronzetür Rodins entlehnt, die in der Tradition Dantes Menschen an der Porte zur Hölle darstellt. Eine Referenz, die unter deren Gewicht ein zeitgenössisches Bild auch seinerseits einknicken könnte – doch Lutz-Kinoys pastellfarbener, zarter Darstellung trägt sie überraschend gut. "Exhausted Angel Receives an Announcement in Rodin’s Garden" stammt aus dem Jahr 2019, aber es passt wie kaum ein anderes in eine Zeit, in der sich die Menschen gerade vorzugsweise als "mütend" (ein Zustand zwischen müde und wütend) beschreiben und ein bisschen Erlösung gut gebrauchen können, wenn’s sein muss auch von irgendeinem wiedererweckten, gern auch leicht queer anmutenden Gott.
Gemälde zitieren die Kunstgeschichte
Auch Lutz-Kinoy hat die Pandemie-Bremse gespürt, ist er doch nicht nur bildender Künstler, sondern auch oder sogar zuallererst Choreograf und Performer – von der Performance, so sagt er, gehen bei ihm die anderen Künste aus, seine zarte Malerei war ursprünglich Bühnenbild, Fläche für Projektionen, Objekt der Interaktion. Im Sommer hat der 1984 in New York geborene Künstler, der heute in Paris lebt, Installationen für die performative Ausstellung von Isabel Lewis beigesteuert, ansonsten war eher sein Atelier seine Welt, die Möglichkeiten für die lebendige Interaktion zwischen seinen Objekten und den Menschen beschränkt.
Trotzdem spürt man in der Berliner Ausstellung, seine erste institutionelle Präsentation in Europa, wie sehr dieses Werk sich an den Menschen richtet, der es besucht. Im zentralen Raum der Schau, in dem weitere Gemälde sich mit Keramiken treffen, ist man eingeladen, sich auf ein Podest zu legen, die speziellen Kopfhalter sind überraschend gemütlich – und schon ist man im Deckengemälde versunken. Lutz-Kinoys Gemälde zitieren die Kunstgeschichte vom Barock bis zur Romantik und tänzeln dabei gleichzeitig entspannt in die Abstraktion hinüber, ihr Horizont reicht von christlicher Symbolik über erotisch aufgeladene Blumenmetaphorik bis zu Greta Thunberg.
Er habe diese Ausstellung "weich, fühlbar und reaktionsfähig" machen wollen, sagt Lutz-Kinoy. Es ist ihm geglückt.