Anfang 2018 hatten die CryptoKitties ihre "15 Minuten Ruhm". CryptoKitties sind virtuelle Geschöpfe, die von dem kanadischen IT-Unternehmen Dapper Labs entwickelt wurde. Jedes Kätzchen ist letztlich eine digitale Datei mit individuellen Eigenschaften; sie sind nicht nur einmalig, sondern können auch nicht kopiert oder zerstört werden. Außerdem sehen sie ungefähr so abscheulich aus wie Beanie Babies, ihre nächsten Verwandten in der wirklichen Welt.
Denn man kann diese Tiere nicht nur in Spielen einsetzen, sondern auch mit ihnen handeln: Je älter die digitale Kreatur ist oder je seltener ihre virtuellen Gene sind, desto höher ist ihr Wert, der auf Basis der Kryptowährung Ethereum berechnet wird.
Schnell entstand ein schwunghafter Handel, bei dem für einzelne Computerviecher Rekordsummen von bis zu 200.000 Dollar gezahlt wurde. In der ersten Woche nach Veröffentlichung von CryptoKitties machte der Traffic, der durch die Katzen-Transaktionen entstand, etwa elf Prozent aller Transaktionen mit Ethereum aus und brachte das Netzwerk der Kryptowährung zwischenzeitlich fast zum Stillstand. Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe zeigte 2018 die CryptoKittens als ein Exponat in der Ausstellung "Open Codes".
Die Blockchain sichert die Einmaligkeit der CryptoKitties und den Handel mit ihnen: Jede Computerkatze ist unter der zwanghaft niedlichen, pastellfarbenen Oberfläche ein Non-Fungibel Token (NFT), also ein einmaliges, kryptographisches Zertifikat, das mit einem Computeralgorithmus generiert wird und in dem virtuellen Register der Blockchain verzeichnet ist.
Moment mal – NFTs, war da nicht was? Der aufmerksamen Leser ahnt möglicherweise schon, warum hier an einen Internet-Hype von 2018 erinnert wird: Was Dapper Labs damals mit ihren CryptoKitties machte, unterscheidet sich nur graduell von dem, was Christies mit der Arbeit "Everydays: The First 5,000 Days" des amerikanischen Grafikers Beeple gelungen ist: Leute machen astronomische Summen locker, um digitale Daten zu kaufen, für die es zuvor keinen Markt gab. Und an deren Langlebigkeit und kultureller Bedeutung berechtigte Zweifel bestehen. Statt Kätzchen verleiht nun die Kunst einem von einem Computer errechneten Token einen Gesicht.
Der Programmierer Vignesh Sundaresan aus Singapur, der bei der Christies-Auktion unter dem Pseudoynm Metakovan knapp 70 Millionen Dollar geboten hatte, erhält dafür ein NFT, das auf eine juristisch nicht eindeutige Weise auf eine Bilddatei verweist. In der hat Beeple alle Bilder – einige von ihnen mit rassistischen, homophoben und frauenfeindlichen Motiven – zusammencollagiert, die er seit 2007 tagtäglich im Internet veröffentlicht hat. Das Urheberrecht verbleibt bei Mike Winkelmann, wie Beeple mit bürgerlichem Namen heißt, der seine Bilder weiterhin auf Leinwand, T-Shirts oder Kaffeetassen gedruckt verkaufen kann – falls man mit einer zweistelligen Millionensumme auf dem Konto solche Verkaufskanäle und Einkommensquellen noch nötig haben sollte. Das steht auch im Kleingedruckten bei der Christies-Auktion.
Wenn man wissen will, wie es mit solchen NFT-Kunstwerken weitergeht, ist es instruktiv, sich die Entwicklung der CryptoKitties anzusehen. In einem White Paper haben die Entwickler mit dankenswerter Offenheit erklärt, worum es ihnen bei dem Spiel ging: Durch "Gamification" sollte das Konzept der Blockchain popularisiert und der Handel mit künstlich verknappten digitalen Gütern "normalisiert" werden. Für Dapper Labs (Unternehmensmotto: "Fun and games on the blockchain") hat sich das Experiment ausgezahlt: Die Firma sammelte im August 2020 zwölf Millionen Dollar von Venture-Capital-Firmen und Angel Investors ein, schloss Kooperationsverträge mit Warner Music, der NBA und Ubisoft ab, und entwickelte seine eigene Blockchain Flow für den Endkundenmarkt weiter.
Beim Online-Forum Reddit beschweren sich mittlerweile die ersten Kunden darüber, dass sie keinen Zugang zu ihren CryptoKitties in der Datenbank des Unternehmens mehr haben. Neue CryptoKitties werden kaum noch gekauft beziehungsweise gezüchtet und viele Käufer beginnen sich zu fragen, was genau sie da eigentlich erworben haben.
Die Antwort ist dieselbe wie bei den JPGs von Beeple, den potthässlichen Videos von Grimes oder der "Nyan Cat", die in den letzten Wochen für astronomische Summen verhökert worden sind: eine Hexadezimalzeichenfolge. Das mag gut für Krypto-Spekulanten und Zocker sein, denen das Schachern mit Game-Stop-Aktien nicht mehr aufregend genug ist. Für die Kunst ist es weitgehend egal, und für den traditionellen Kunstmarkt dürften die Auswirkungen von NFTs bis auf weiteres ebenfalls gering sein. Dass inzwischen sogar schon der Toilettenpapierhersteller Charmin eigene NFT-Kunst als Marketingaktion versteigert, sollte allerdings zu denken geben.