Ein Parcours kippt uns Spiegelwände entgegen, eine Landschaft aus Licht und Farbe lädt zum Meditieren ein, und ein wirklich, wirklich großes Kinderzimmer will bespielt werden. Mehr noch: Wer will, kann sich hier durch einen Säulenwald schlängeln und kurzerhand seine Balance testen.
"Design nicht nur betrachten, sondern sich darin bewegen", heißt der Claim, mit dem Kuratorin Matylda Krzykowski und Kurator Damian Fopp in ihrem Video-Trailer die Ausstellung "Total Space" beschreiben. Darin sieht man eine Kamera durch interaktive Ausstellungsräume schweben. Untermalt wird das von fluiden Technorhythmen. So ist er eben, der totale Raum im Museum für Gestaltung in Zürich: fluide.
Zwei Schweizer und drei internationale Design-Studios haben sich jener Erlebniswelt angenommen, die ihre Besucherschaft in eine sinnliche Raumerfahrung hüllt. Aufgelöst werden soll die Distanz zwischen Publikum und Exponat. Ein munteres Versprechen in Zeiten der Abstandsregelungen.
Die ultimative Vereinsamung vor dem digitalen Endgerät
Entdeckertum - das ist es doch eigentlich, was uns in dieser Pandemie fix abhandengekommen zu sein scheint. Orientierungslos scrollen, klicken und wischen wir durch die Bilderstürme, die uns auf Instagram und Co. sekündlich entgegenwüten. Gähn. Die ultimative Vereinsamung vor dem digitalen Endgerät. Ach, wie schön wäre es, zur Abwechslung mal in eine haptische Umgebung einzutauchen.
In Zürich geht das Abtauchen besonders gut im Oktagon vom Schweizer Architekten- und Designerpaar Trix und Robert Haussmann: Eine Rückbesinnung auf eine Handskizze von Leonardo da Vinci soll es sein. Die unendliche Erweiterung des Raums durch den Einsatz von Spiegeln hätte sich der Italiener zu Lebzeiten nicht schöner ausmalen können. In Zürich lässt man nun Besucherinnen und Besucher durch ein Spiegel-Kabinett taumeln. Eine Spielerei für alle, die sich im Selfiemodus des Smartphones noch nicht sattgesehen haben.
Ebenfalls von einem italienischen Kunstmeister hat sich das Designduo Luftwerk beflügeln lassen. So tauchen die Farb- und Perspektivstudien des Universalgelehrten Leon Battista Alberti im "Total Space" als lebendige Landschaft auf. Diese leuchtet in verschiedenen Farben und verformt sich ständig - wie ein bockig gewordenes Werk von Lichtkünstler James Turrell. Besucherinnen und Besucher beginnen hier bestenfalls zu meditieren.
Reunion der Marienkäfer
Auch der Netzgitter-Würfel von Soft Baroque durchbricht die Sehgewohnheit. Im Gegensatz zu seinem Artgenossen, dem White Cube, bewegt sich dieser Ausstellungsraum wie unschuldiges Schilf im Wind. Wem das zu brav ist, kann sich in der Säuleninstallation von Kueng Caputo auf Sinnsuche begeben. Entblößt werden hier kreative Schaffensprozesse, roh aufgestapelt in Form diverser Baumaterialien.
"Es war einmal ein Marienkäfer" – so heißt dann der lustigste aller Ausstellungsräume. Dahinter steckt das Design-Team Sucuk und Bratwurst. Vier Mainzer Buben, die mit ihrem Ausstellungstitel eine Rückbesinnung auf die Kindergartengruppe Marienkäfer feiern. In jener waren die vier Freunde vor langer Zeit zusammenkommen. Ein dreiköpfiger Hai und ein überdimensionaler Flamingo warten hier schon darauf, von Kindern bespielt zu werden. Digitale Kunst gibt es hier zum Anfassen. Der ultimative Liebesbeweis der 3-D-Rockstars an ein analoges Leben, das uns in der Pandemie zu entgleiten droht.
Ein Raum als begehbarer Wikipedia-Artikel
Übrigens: Ausstellungstexte liefert "Total Space" keine. Dafür soll ein kreisförmiger Raum in Form eines begehbaren Wikipedia-Artikels die Ausstellung begleiten. Auch das ist ein Lichtblick in dieser Zeit.
Aktuell ist die Ausstellung aufgrund der Corona-Pandemie nur unter bestimmten Richtlinien im zweiten Museums-Standort, dem Toni Areal, begehbar. Auf der Webseite ist eine erste Führung durch die Ausstellung für den 15. April angekündigt. Die Schau soll noch bis zum 20. Juni dauern.