Herr Tamschick, wie sieht das Museum der Zukunft aus?
Das ist eine schwierige Frage. Meiner Meinung nach wird das Museum der Zukunft viel stärker erzählerisch agieren als Museen das heute tun. Die Besucher werden in die ausgestellten Themen regelrecht eintauchen – zum Beispiel durch begehbare Videoinstallationen, wie unsere Agentur sie entwirft. Das wird der neue Typ Museum sein. Ich glaube aber auch, dass ein zweiter, klassischer Typ von Museum weiterbestehen wird, der den Fokus voll und ganz auf die Exponate legt und die Inszenierung mit neuen Medien ablehnt.
Welche Chancen bieten digitale Medien den Museen?
Sie können helfen, Wissen neu zu vermitteln und die Bestände der Museen, die zu großen Teilen in Depots schlummern, sichtbar und interessant zu machen. Ein Beispiel: Das Industrie- und Textilmuseum in Augsburg besitzt fünfhundert Musterbücher, in denen mehr als eine Million Stoffmuster dokumentiert sind. Aus konservatorischen Gründen können die Besucher nicht einfach durch die Bücher blättern. Wie lässt sich dieses Wissen also erfahrbar machen? Zusammen mit den Szenografen der Lead-Agentur Atelier Brückner haben wir diese Frage mit drei Skulpturen beantwortet. Es sind vier Meter hohe Kleiderpuppen, auf die Muster aus den Büchern projiziert werden. Über ein Interface können die Besucher virtuell durch die Musterbücher blättern und auswählen, was auf den Skulpturen zu sehen sein soll. Auch die Farben und die Struktur der Muster lassen sich über das Interface steuern: So werden die Besucher selbst zu Erfindern neuer Muster.
Es geht also um das Erleben, um eine spielerische Komponente. Aber wie viel Unterhaltung tut einem Museum gut? Es verfolgt schließlich ein ganz anderes Ziel als ein Freizeitpark.
Die Museen haben das Problem, dass sie bei der jungen Generation nicht sonderlich in Mode sind. Wenn Teenager bei Schulausflügen ins Museum gezwungen werden, finden sie oft keinen Zugang zu den Exponaten, der ihrer Lebenssituation entspricht. Das Rheinische Landesmuseum in Trier ist so ein Fall: Ein Besuch der römischen Gräberstraße, die dort ausgestellt wird, ist Pflicht für jeden Lateinschüler in der Umgebung. In den Grabmalen und Wandreliefs stecken hunderte spannender Geschichten – aber man muss sie erst einmal enthüllen. Wir haben für die Gräberstraße eine 45 Minuten lange audiovisuelle Bespielung entwickelt, die genau das tut: Sie greift einzelne Figuren heraus und erzählt in bewegten Bildern, Worten und Tönen ihre Geschichte.
Die Technik macht also die Bilder sichtbar, die sich eigentlich in den Köpfen der Besucher abspielen, wenn sie einer Führung durch die Gräberstraße folgen.
Genau, nur macht es die Reizüberflutung durch die 360-Grad-Bildprojektion und den Ton noch einfacher, sich emotional in diese vergangene Zeit hineinfallen zu lassen. Immersion, das ist unser Ansatz. Die Besucher sind in Trier Teil eines Raumerlebnisses, das auf den Grabsteinen basiert. Wenn die Vorführung vorbei ist und die Steine wieder schweigen, schauen die Leute sie mit anderen Augen an.
Gibt es auch Ausstellungen, für die eine Inszenierung mit digitalen Medien keinen Sinn macht?
Auf jeden Fall. Es hängt immer ganz davon ab, was ausgestellt wird und welche Geschichte der Kurator den Besuchern erzählen will. Diese Entscheidung muss ganz am Anfang stehen. Erst danach sollte man überlegen, mit welchen Mitteln man diese Geschichte am besten erzählen kann. Darin können digitale Medien eine Rolle spielen – sie dürfen aber nie Selbstzweck sein. In Kunstmuseen zum Beispiel finde ich solche Inszenierungen schwierig, denn jedes Kunstwerk ist Ausdruck des Kosmos seines Urhebers. In einem Gemälde oder einer Skulptur steckt eine eigene Philosophie, eine eigene Geschichte, die der Künstler in seiner Formensprache darstellt. Hier finde ich es richtig, wenn das Museum sich zurücknimmt und ein möglichst neutraler Raum ist, um nicht von den Kunstwerken abzulenken.
Gerade bei moderner und zeitgenössischer Kunst gibt es beim Publikum Hemmschwellen: Besucher befürchten, die Werke nicht zu verstehen. Kann da die Technik helfen?
Sicher, sie ist ein mögliches didaktisches Mittel, das den Zutritt zur Welt des Künstlers erleichtern kann. Aber bisher werden digitale Medien da viel zu wenig eingesetzt – oder besser gesagt: zu selten gut kuratiert eingesetzt. Vor Kurzem habe ich mir mal angeschaut, was die Apps der großen Museen, vom Louvre oder vom Metropolitan Museum, so können. Das ist nichts weiter als ein digitaler Ausstellungskatalog: Titel des Werks, Datierung, Künstler, ein Link zum Lebenslauf, ein paar schöne Fotos. Aber viel mehr wäre möglich!
Es kommt eben nicht auf die neuen technischen Möglichkeiten per se an.
Richtig. Zu oft investieren die Museen noch generell in moderne Technik – ohne genau konzipiert zu haben, wofür sie didaktisch nützlich sein soll. Dann kommt eine Firma, baut das ein und fertig. Ob die Investition das Museum dann inhaltlich bereichert oder nicht, ist denen egal.
Wie kann man es besser machen?
Neue Medien müssen dafür eingesetzt werden, dem Besucher Kontextwissen zu vermitteln – so wie es auch eine Führung tut. Durch diesen Hintergrund wird dem Publikum das Werkzeug gegeben, sich eigene Gedanken zu machen und sich Fragen zu stellen wie: Warum hängen gerade diese beiden Bilder nebeneinander? Wenn eine solche Reflexion in Gang kommt, dann wird es spannend.
Ein gelungenes Beispiel?
Vor Kurzem war ich auf einer Konferenz in Stockholm, auf der neue mediale Applikationen für Museen vorgestellt wurden. Eine war dabei, die in Gemälden ikonografische Elemente entschlüsselt: Man betrachtet das Kunstwerk durch die Kamera eines digitalen Museumsguides, zum Beispiel eines iPads. Nach einem Klick auf die verschiedenen Bildgegenstände öffnen sich die dahinter liegenden Sinnschichten: Ich erfahre, dass ein Hund zum Beispiel Treue und eine Lilie Reinheit symbolisiert. In diesem Moment baut die Technik dem Besucher eine interaktive Brücke zum Fachwissen der Kunsthistoriker. So soll Wissensvermittlung sein.