Kunstszene in London

"Die Situation ist teilweise sehr prekär"

Der Brexit und die Pandemie haben die britische Kunstszene in große Schwierigkeiten gebracht. Wir haben mit der deutschen Galeristin Julia Muggenburg über die Lage in London gesprochen

Die deutsche Galeristin Julia Muggenburg betreibt im kunstaffinen Londoner Stadtteil Mayfair die Galerie Belmacz mit vorwiegend jungen Künstlerinnen und Künstlern, darunter Coco Crampton und Abbas Zahedi aus London, Jakob Lena Knebl aus Wien und Gernot Wieland und Carla Åhlander aus Berlin. Corona und die Pandemie treffen das Kunstgeschehen und den Kunstmarkt global hart, aber der Brexit ist für die britische Kunst eine besondere Herausforderung. Museums- und Galerienschließungen stehen bevor. Darüber haben wir mit Julia Muggenburg gesprochen


Julia Muggenburg, wie geht es der Kunstszene in London?

Der Brexit hing schon seit mehreren Jahren wie ein Schwert über uns, niemand wusste in welche Richtung es gehen würde. Aber nun haben sich die schlimmsten Vorahnungen bestätigt.

Was heißt das genau?

Der internationale Austausch ist schwierig geworden. In unserem Programm sind Künstler*innen aus der ganzen Welt, viele davon leben in Europa, auf der anderen Seite des Ärmelkanals. Seit dem Brexit gibt es viel mehr Bürokratie, und es besteht eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf die Verordnungen. Galerien müssen sehr schlau vorgehen, wenn sie Künstler zeigen, die nicht aus England sind. Der Versand der Kunstwerke unterliegt neuen Bestimmungen: Es fällt eine Mehrwertsteuer an, die bereits im Voraus bezahlt werden muss, unabhängig davon, ob eine Arbeit verkauft wird oder nicht. Wenn die Leihgabe zurückgeht, wird diese zurückerstattet, aber dieser Prozess dauert Monate. Neu ist auch, dass Künstler*innen Arbeitsvisa brauchen, die individuell für jeweilige EU Länder gelten. Das bereitet Sorge. Bisher konnte man europaweit reibungslos miteinander arbeiten.

Wie können Ausstellungen unter diesen Bedingungen organisiert werden?

Wir sind dabei zu erwägen, wie die Zusammenarbeit mit den Künstlern aus der EU aussehen könnte. Unser dringlichstes Problem ist die Organisation von Ausstellungen mit Künstler*innen vom Kontinent: Wir denken an temporäre Studios, in denen sie ihre Arbeiten direkt vor Ort produzieren könnten, als Alternative zu einer Ausstellung mit importierten Werken, um diese als hier ansässig deklarieren zu können.

Welches sind die größten Herausforderungen für den Kunstmarkt?

Ich bin Teil eines Diskussionskreises von über 180 Galerien - da ist die Frage aufgetaucht, was passiert, wenn eine englische Galerie ein Kunstwerk, das sich in Frankreich befindet, an einen deutschen Sammler verkauft? Müsste es zuerst von Frankreich nach England geschickt werden und von dort weiter nach Deutschland, oder wäre es möglich, das Werk direkt über die deutsch-französische Grenze zu liefern, ohne es aufwändig - und mit großem ökologischen Fußabdruck hin- und herzusenden. Aber auch hier gibt es noch keine definitive Antwort.

Man hat wenig Zuversicht, dass diese Regierung sich um den kreativen Sektor kümmert, obwohl der jedes Jahr Milliarden einbringt. Das führt dazu, dass vor allem Künstler das Gefühl haben, dass sie vergessen werden. Zum Glück gibt es Covid-Zuschüsse für Selbständige, die allerdings vom Steuersatz abhängig sind, wobei auch hier viele durchs Netz fallen. Momentan wird angenommen, dass drei Millionen Leute aus der Kreativbranche nicht vom Staat bedacht wurden. In der bildenden Kunst ist es allerdings noch nicht ganz so schlimm wie in der Musikszene oder der Modebranche, wo einfach Karrieren sabotiert werden. Man hat das Gefühl, der Austausch wird bewusst gehemmt und der Kultursektor einfach ignoriert.

Und werden Galerien in dieser Situation unterstützt?

Es gibt in England keine Förderungen für kommerzielle Galerien, d.h., die sind wirklich auf sich allein gestellt. Da ist es für viele schwierig zu überleben. Die Strategie ist, sich zunächst ganz direkt an seinen MP - Member of Parliament - zu wenden. Die Mittel scheinen extrem begrenzt und deren Erfolg ist zweifelhaft. Zum Glück hilft die Society of London Art Dealers hier ungemein mit Recherche und Beratung für ihre Mitglieder.

Was sind Ihre Prognosen für die Zukunft der Galerien?

Vorher war es besser, jetzt ist es schlechter. Wir gehen davon aus, dass leider sowohl einige kommerzielle Galerien, als auch Projekträume und Institutionen schließen müssen. Es wird sicherlich eine Umstrukturierung in der City of London stattfinden, und ich glaube, die Stadt wird es auch schaffen, sich neu zu orientieren. Alle Beteiligten sind nach wie vor der Meinung, dass London als Hub sehr wichtig ist und möchten, dass die Kommunikation weiter geht. Am wichtigsten in so einer großen Stresssituation wie dieser ist, darüber nachzudenken, wie man positiv damit umgehen kann. Ein Großteil der Künstler hat es geschafft, in dieser isolierten Phase mit dem Lockdown sehr produktiv zu agieren. Wie z.B. Abbas Zahedi, der eine ortsspezifische Installation in einem ehemaligen Postbüro der Royal Mail in Cherlsea für frontline worker - systemrelevante Arbeitskräfte - geschaffen hat und sie vor allem diesen Menschen widmete.

Wann rechnen Sie damit, dass Kunstinstitutionen und Galerien in London wieder öffnen werden?

Wir gehen davon aus, dass Mitte bis Ende April wieder aufgesperrt wird, aber das ist eine Art horizon-line.

Sie meinten schon, dass auch dauerhafte Schließungen von Galerien im Raum stehen.

Die Situation ist teilweise sehr prekär, weil viele Galerien ihre Räumlichkeiten wegen des Konjunkturabsturzes nicht mehr bezahlen können und sich mit ihren Vermietern arrangieren müssen. Da es keine staatliche Verordnung zum Schutz der Mieter*innen in Bezug auf die momentane Situation gibt, hängt es von den einzelnen Galerien ab, was sie mit ihren Vermieter*innen aushandeln. Man hört hier von rund 40 Galerien, die geschlossen haben oder schließen werden.

Wie sieht die Situation bei den großen Kunstinstitutionen und den Museen aus? Der Tourismus wird irgendwann wieder anziehen, aber die langen Schließungszeiten haben ja auch ganz andere Auswirkungen ...

Ja, beispielsweise wird gesagt, dass das V&A Museum (Victoria & Albert) bis zu 20 Prozent seines Personals entlässt und seine Ausstellungsräumlichkeiten umstrukturiert. Ich glaube, die Zeiten der Blockbuster-Shows sind vorbei. Bisher ging es ja gerade darum, möglichst viele Besucher*innen ins Museum zu locken, nun sollen plötzlich möglichst wenige Einlass bekommen. Das ist ein vollkommen neues Paradigma. Es geht irgendwie rückwärts: Was früher ein Erfolg war, ist jetzt ein Hindernis. So muss zum Beispiel das Florence Nightingale Museum, das der viktorianischen Pionierin der Krankenpflege gewidmet ist, vorerst schließen. Es ist ein Zeichen der Zeit, dass gerade in dieser Schocksituation, ausgelöst durch eine Pandemie, ausgerechnet ein Museum, das der Fürsorge und der Pflege bedürftiger Menschen gewidmet ist, schließen soll.

Nun sind Flexibilität und kreative Möglichkeiten gefragt, weniger fixe Vorstellungen.

Die Flexibilität wird in Folge des Brexit durch zusätzlichen Aufwand mit Abfertigungsspediteuren und Anwälten beeinträchtigt. Wir möchten nach wie vor ein aufregendes und relevantes Programm zeigen. Unsere Motivation dabei sind unsere Künstler*innen, die versuchen so differenziert wie möglich mit der neuen Realität umzugehen.