Manchmal bewirken Einzelausstellungen das Gegenteil dessen, was sie sich vorgenommen haben. Je mehr Platz dem Werk eines Einzelnen eingeräumt wird, desto größer auch die Gefahr, dass dieser Platz mit den Nieten im Œuvre aufgefüllt werden muss. Bei der bisher umfangreichsten Retrospektive von Katharina Sieverding, die das Team der Hamburger Deichtorhallen nach zweijähriger Vorbereitung in der Sammlung Falckenberg eingerichtet hat, ist daran aber nicht zu denken.
Auf rund 5000 Quadratmetern der zur Deichtorhalle gehörenden Sammlung Falckenberg sind mehr als 100 Kunstwerke aus allen Werkphasen Sieverdings installiert, monumentale und vielteilige Fototafeln, dazu Projektionen, Filme und ein Spiegelkabinett – und es wird nie langweilig, im Gegenteil.
Sieverdings bekannteste Motive, etwa das große Triptychon "Schlachtfeld Deutschland" von 1978, das in Schwarz auf giftigem Purpurrot GSG-9-Beamte bei einer Schießübung zu RAF-Zeiten zeigt, finden sich eher in abgelegenen Kabinetten. Dafür wird die Aufmerksamkeit auf alte und neueste Werkgruppen gelenkt, so auch auf eine 1972 in Rom um ihre erste Galerieausstellung herum entstandene Serie von Fotografien. In diesen Schwarz-Weiß-Fotos ist Rom so kaputt wie in den Collagen von Rolf Dieter Brinkmann, doch Sieverdings Bilder – etwa von Vito Acconcis Performances – vermitteln eine zukunftsgerichtete Energie, eine Lust an Kritik, Veränderung und Experiment, wie man sie auch in ihren zahlreichen Selbstporträts und fotografischen Geschlechterrollenspielen findet.
Diese Lust hat Sieverding bis heute nicht verloren, das belegen ihre neuesten Collagen, für die sie etwa Fotografien von mit Masken geschützten KP-Delegierten in Peking mit am Rande einer "Black Lives Matter"-Demonstration in Atlanta knienden US-Polizisten übereinanderlegt – und beim Bearbeiten dann noch kräftig an den Farbreglern dreht.