MAD-STOP POTSDAM.
HASSE ES, SAH
NIE EIN’
HOF, OH:
REIHERE HIER!
Ich habe nichts gegen Potsdam. Ich liebe nur Palindrome. Andere töpfern oder twittern. Ich klopfe in meiner Freizeit Wörter darauf ab, ob sie rückwärts gelesen einen Sinn ergeben, wie die Klassiker Rentner, Reittier und Lagerregal. Reliefpfeiler (13 Buchstaben) ist laut Guiness-Buch das längste Ein-Wort-Palindrom der deutschen Sprache. Die Finnen haben’s gut: Ihr Begriff saippuakivikauppias ("Seifensteinverkäufer") hält mit 19 Buchstaben den Guiness-Weltrekord. Als Deutscher könnte man mit dem Retsinakanister (15 Buchstaben) halbwegs dagegenhalten, aber der steht nicht im Duden.
NE, DUDEN?
Bei Regalnebenlager wird es vom Wortsinn her heikel, aber dichterisch interessant. Da wären wir bei den Satzpalindromen, von denen manche inhaltlich nachvollziehbar sind:
EINE GÜLDNE, GUTE TUGEND: LÜGE NIE!
Andere sind lustiger Schwachsinn, zum Beispiel:
ERIKA FEUERT NUR UNTREUE FAKIRE
Beide sind leider nicht von mir. Ein-Satz-Palindrome sind echt schwer. Ein paar Beispiele aus der heimischen Werkstatt:
EISREGIE MAG AM EIGER SIE
GRAZ NAGT GANZ ARG
BASEL, LES' AB!
GAR TREPPENNEPP ERTRAG!
NASE BORGT GROBES AN
FLOG TIM MIT GOLF?
TIM TRUG ROTORGURT MIT
SEI FIES!
Eigentlich ist nur der Sound maßgeblich bei den Sätzen. Und natürlich die Symmetrie. Inhaltliche Logik weicht der formalen Logik, wie bei den spiegelsymmetrischen Tintenklecksen, den sogenannten Rorschachtests, in denen man immer etwas erkennt.
Wie oben an dem Potsdam-Schmähgedicht demonstriert, können Zeilensprünge die Sinnproduktion erleichtern, mir gelang einmal folgender Zweizeiler eher dokumentarischen Charakters:
HANNE SAH HASEN NAH,
EIN REH EHER NIE.
Sensible Leser und Leserinnen spüren wahrscheinlich den melancholischen Grundcharakter des Werks. Ich bin so. Im Palindromfach wandle ich auf den Spuren der Lyrikerin Kristiane Allert-Wybranietz, von der Gefühlstiefe her betrachtet:
Durch das Leben
fühle ich mich
oftmals
voll wie ein Schwamm.
Dann muss ich
mich ausdrücken.
Der Begriff Palindrom leitet sich vom altgriechischen palíndromos "rückwärts laufend" ab. Als Kind habe ich es geliebt, unsere Super-8-Ferienfilme im Rückwärtsgang vorgeführt zu bekommen. Der Hit war das Frühstück im Strandkorb, bei dem das Essen ausgespien und wieder Supermarkt-fertig verpackt wurde. Vielleicht rührt daher meine Faszination am Palindrom?
2020 lief Christopher Nolans "Tenet" im Kino, bei dem nicht nur der Titel ein Palindrom ist. Das lateinische Verb "tenet" bedeutet "hält". Der Begriff steht im Zentrum des sogenannten "Sator"-Quadrats, das spätestens im ersten nachchristlichen Jahrhundert entwickelt wurde und als magisches Zeichen an Bauwerken Unheil abwehren sollte. Die Fundstücke, die am weitesten zurück datiert sind, stammen aus dem Jahr 55 aus Pompeji.
S A T O R
A R E P O
T E N E T
O P E R A
R O T A S
Das Satzpalindrom lässt sich nicht nur vorwärts wie rückwärts, sondern auch horizontal wie vertikal lesen. Ob der Satz wirklich eine Bedeutung hat (vielleicht "Der Sämann hält mit Mühe die Räder") ist umstritten. Dass die Palindromherstellung schon immer schwierig war, zeigt das Wort "opera", das rückwärts gelesen keinen Sinn ergibt, es sei denn, man fasst "arepo" als Eigennamen auf.
In Nolans "Tenet"-Film zeigt sich das Palindromhafte in der Erzählstruktur. Die Heldinnen und Helden des Spionagethrillers können beliebig in der Zeit zurückreisen. Die Handlung ist in der Filmmitte insofern gespiegelt, als die Figuren wieder an die Schauplätze der ersten Hälfte zurückkehren – in umgekehrter Reihenfolge.
In der Kunst ist das Palindrom natürlich hochbeliebt. Und manchmal schwer zu identifizieren, wie bei Marcel Duchamp, der sein berühmtes "Fountain"-Pissoir mit "Mutt" signierte und ein Jahr darauf sein letztes Gemälde "Tu m'" schuf. Vermutlich bedeutet das "Du machst mich wahnsinnig" ("tu m’emmerdes"), aber der eigentliche Clou ist das Palindrom, das sich aus den beiden Werktiteln ergibt.
MUTT – TU M’
Der König der Anagramme und Palindrome war André Thomkins, der 1985 in Berlin starb. Aus seinem Namen wusste er mindestens 13 Anagramm-Wörter oder –Sätze wie "Normhandkiste" und "Sohn dankte mir" zu bilden. Auf Emailschilder für das Kunstmuseum Liechtenstein schrieb Thomkins Palindrome wie:
NIE REIME, DA KANN AKADEMIE REIN
STRATEGY: GET ARTS
DOGMA: I AM GOD
FREIBIER! FREIBIER! FREIBIER! F…
Da kann ich als Hobby-Palindromiker natürlich nicht mithalten. Ich warne überdies davor, auf diese Weise Kunstkritiken zu verfassen (wie man ja auch Reime in Artikeln vermeiden sollte). Sieht erstmal hübsch aus, verleitet aber zu Fehlurteilen. Hier ein (schon grammatikalisch falsches) Beispiel:
EINE U-ART POP TRAUE NIE