Anfang des vergangenen Jahres gehörte ich noch zu den Leuten, die sich bei jedem neuen Podcast fragten: Hat denn jetzt endlich jeder einen eigenen Podcast? Let's move on. Und dann ist 2020 passiert. Gerade habe ich gelesen, dass Harry und Meghan, also Prince Harry und seine Frau Meghan Markle, jetzt endlich einen eigenen Podcast haben. "Love wins" ist ihre Botschaft in der ersten Folge, wie ich aus den Medien weiß ... Und müsste ich nicht diese Kolumne schreiben, hätte ich mir sofort den Podcast angehört.
2020 war also nicht alles schlecht, oder vielleicht doch, weil ich so weit bin, mir ziemlich alles an Podcasts anzuhören? Ich habe sogar versehentlich zwei Folgen des Podcasts von Robbie Williams und seiner Frau gehört. Jetzt weiß ich, dass die Maskenpflicht für Promis wie Robbie Williams ziemlich gut ist, weil sie so niemand auf der Straße erkennt.
Im "Atlantic" ist ein Text mit dem Titel "The Year of Ambitious TV Watching" erschienen. Bei Serien habe ich das schon hinter mir, fast zumindest. Ich bin endlich in der fünften Staffel von "Pretty Little Liars" angekommen, ich weiß immer noch nicht, wer denn jetzt eigentlich A ist und habe noch drei Staffeln mit je 25 Folgen und zwei Spin-offs vor mir. Und ich habe mir überlegt, nach einem erneuten Versuch, dass das mit den "Sopranos" und mir nichts mehr wird. "The Crown" ist auch schwierig, ich schlafe in der ersten Staffel immer ein. Hannah Giorgios jedenfalls schreibt im "Atlantic": "Da kein Ende der Pandemie in Sicht war, wandte ich mich dem Binge-Watching von abseitigen Fernsehsendungen und Filmen zu, um mich zu erden, und schloss mich unwissentlich den vielen Leuten an, die begannen, alte Serien zu sehen, die sie in Echtzeit verpasst hatten."
2020 war das Jahr des ambitionierten Content-Konsums, Bücher, Serien, Podcasts, Livestreams, man hatte das Gefühl, auch im Sitzen etwas geschafft zu haben. Dean Kissick hat es in seinem Jahresrückblick bei "Spike" auf den Punkt gebracht: "Dieser kalte und trostlose Winter fühlt sich wie eine gute Zeit an, um aus der Gesellschaft auszusteigen, sich in Büchern und Magazinen und obskuren persönlichen Interessen zu verlieren, und in all der Kultur und den Ideen der Geschichte, die online frei verfügbar sind, während sich draußen die Welt nicht mehr dreht. Es könnte die letzte Chance sein, die wir jemals auf diese Weise haben werden."
Jetzt laufen wir langsam in das Jahr 2021 hinein mit dem Wissen, dass die Welt so schnell nicht wieder werden wird, wie sie einmal war. Es wird erst einmal weiter genug Zeit für ambitionierten Contentkonsum da sein.
Was ich derweil an Podcasts passend zum Thema Kunst und soziale Medien meiner Kolumne empfehlen kann:
"Good Point" mit Jeremy Bailey und Rafael Rozendaal
Seit Oktober 2016 sprechen die beiden New-Media-Artists Jeremy Bailey und Rafael Rozendaal in "Good Point" über Kunst und Technologie, 125 Folgen gibt es, irgendwann allerdings sind sie zu Filmen übergegangen. Ich habe mit Folge 2 angefangen, das Thema im Oktober 2016: Virtual Reality. Es ist erstaunlich, wie wenig in der Zwischenzeit passiert ist und dass eigentlich immer noch die gleichen Fragen gestellt werden: Warum ist VR ein heißes Medium? Was kann das? Wo führt das hin?
Bailey und Rozendaal sind sich einig, VR finden sie nicht gut, weil es ein anti-soziales Medium ist. Mit dem Headset steht man verloren im Raum und weiß nicht, was um einen herum passiert. Man fühlt sich wie auf dem Präsentierteller. Und selbst wenn man sich gemeinsam im virtuellen Raum trifft, es also sozial wird, haben die sozialen Medien einen Vorteil: Man kann jederzeit von überall aus interagieren, man kann geistig nur halb anwesend sein und man muss keinen Termin vereinbaren. "Werde ich alt oder wird die Technik wirklich lame?", fragt sich Rozendaal.
Er ist außerdem kein großer Fan von Online-Ausstellungen, das sei mit dem Rumgelaufe alles ineffizient, Plattformen seien sinnvoller, er nannte Flickr. Und dann sagte er etwas, was aus dem Mund eines New-Media-Künstlers kurz überrascht: Neue Technologien nutze er erst, wenn 95 Prozent der Menschen leichten Zugang dazu haben. "VR wartet noch auf seine Killer-App." Das stimmt immer noch und ist einer der Gründe für das Problem mit dem Zugang.
Anders als bei einer Serie habe ich mir nicht alle Folgen angehört, sondern habe die Themen ausgewählt, die mich interessieren, unter anderm "Online Presence", "Appropriation", "Anxiety", "Fame", "Instagram". Wer jetzt denkt, puh, so viel Zeit habe ich nicht einmal in diesem Jahr: Die Shownotes sind hervorragend, es ist alles verlinkt, worüber gesprochen wird, man kann sich also auch durch die einzelnen Themen lesen und findet vielleicht auch Texte, die man bisher verpasst hat. Ein großartiges Archiv für die Post-Internet-Art-Gang.
Artist Statement ("AQNB")
Redakteur*innen der Plattform "AQNB" sprechen mit Künstler*innen und Denker*innen über Veränderungen, die Entwicklungen in den Bereichen Technologie und Kommunikation mit sich bringen. Ihre Gäste sind unter anderem Legacy Russell, die gerade mit ihrer Publikation "Glitch Feminism“ international Aufsehen erregte, und Katja Novitskova, die Teil der Künstlergeneration Post-Internet Art ist. Jetzt allerdings, und darüber spricht sie im Podcast, ist sie froh, dass der Hype vorüber ist und niemand mehr Ausstellungen zur Post-Internet Art kuratiert. Seit das vorbei ist, hätten sie alle Zeit, sich auf ihre Themen zu konzentrieren und es ginge voran.
Was ich an Kunst-Podcasts neben den sicherlich bereits allen bekannten Kunst-Podcasts empfehlen kann. Ok, hier kurz noch einige der bekannten Kunst-Podcasts, falls doch nicht allen bekannt: "The Art Angle" ("Artnet"), "Dialogues" (Galerie Zwirner), "Talk Art", "Was mit Kunst" (Galerist Johann König) und "In Other Words".
"Die Sucht zu sehen" (Grisebach)
Die Journalistin Rebecca Casati spricht für das Auktionshaus Grisebach mit Künstler*innen, Autor*innen und Musiker*innen, zu Gast waren unter anderem Juergen Teller, Dagobert, Julia Voss und Christian Jankowski.
Der Reporter Moritz von Uslar spricht über Kunst, also er, der von der Sprache kommt. Er besitzt keine Kunst, interessiert ihn nicht, der Besitz. An seiner Wand hängen Bilder von seinem Sohn, Zeitungsseiten und billiger Trash. Was er durch die Kunst gelernt hat, will Casati wissen: "Es ist für mich der einzige Trost auf der ganzen Welt. Ich habe noch nie etwas gesehen, dass mir so weiterhilft wie das richtige Gemälde oder die richtige Musik und für das sich alles lohnt. Ich habe nur das. (...) Ich kann es nur mit diesem Pathos sagen. Ganz schön große Antwort! Hilfe!"
Julia Voss hat die sehr erfolgreiche Biografie über Hilma af Klint geschrieben. In dieser Folge geht es also um Frauen in der Kunst. Das Fazit von Julia Voss: "Revolution sieht anders aus. Wir arbeiten immer noch daran." Wenn es um die Frage nach Diversität geht, sei die schnippische Antwort: "Uns geht es um Qualität!“ Was ist mit Frauen? Was ist mit afroamerikanischen Künstler*innen? Wo sind Künstler*innen mit Migrationshintergrund? "Ich würde es umdrehen. Die Tatsache, dass Kunst nur von so einer homogenen Gruppe gezeigt wird, spricht dafür, dass zu wenig auf Qualität geachtet wurde. Die Lebensläufe sind ähnlich, man zieht die gleichen Biografien heran. Es wird vorwiegend Kunst von weißen Männern gezeigt. Wenn man auf Qualität achtet, entsteht Vielfalt."
"Thots on Art"
Die beiden Künstler Przemek Pyszczek und Amir Guberstein ranten über die Kunstwelt. Das kann man ketzerisch finden oder soooo Berlin, wie mir eine Bekannte schrieb, dass man es schon nicht mehr hören kann, ich finde es entertaining. Wer Kenny Schachters Rants mag, der mag auch "Thots on Art", würde ich sagen. In diesem Podcast geht es nicht um freundlichen Austausch wie man das so macht in Gesprächs-Podcasts, sondern um süffisante Meinungen. In der Folge "Eliza in Paris" machen sich die beiden beispielsweise über einen Artikel auf "Artnet" über Eliza Douglas lustig. Wem also Kritik und Meinung in Kunst-Podcasts zu kurz kommen, bisschen viel Ich-PR manchmal, der bekommt hier das andere Extrem.
Unabhängig davon hier noch der Hinweis auf zwei weitere Rants:
Kenny Schachter ist im Podcast "Talk Art" on fire und er lässt sich mit voller Absicht von den beiden hosts nicht einfangen, leidenschaftlich schimpft er über den Markt und Galerien vor sich hin.
Chris Kraus und Siri Hustvedt sprechen im Podcast "LitHouse" (die Folge ist aus dem Jahr 2017) über den Unterschied zwischen Künstlern und Künstlerinnen. Warum ist es für Männer einfacher erfolgreich und teuer zu sein als Künstler? Mit welchen Strategien wurden Künstlerinnen erfolgreich? Und was ist überhaupt los mit Künstler*innen – wie kommt man dazu, Künstler*in sein zu wollen?
Viel Freude beim Hören!