Wie tritt man als Fotograf einer Verwandlungskünstlerin gegenüber, die sich selbst schon in allen erdenklichen Facetten inszeniert hat? Lässt man sich auf einen Opulenz- und Originalitätswettbewerb ein, der die Person weiter verklärt? Oder begegnet man der Verkleidungslust mit radikaler Reduktion? Als Ashkan Sahihi die Künstlerin Cindy Sherman in New York trifft, fotografiert er sie in ihren eigenen Kleidern (weiße Bluse, schwarze Hose) und mit prominenter eckiger Brille. In ihren Selbstporträts inszeniert sich Sherman seit Jahrzehnten in verschiedensten Rollen von rehäugig bis grotesk - und schafft durch ein schier endloses Repertoire an Kunstfiguren maximale Distanz zu sich selbst.
Sahihis Kamera kommt dem ungeschminkten Gesicht der öffentlichkeitsscheuen Künstlerin dagegen ganz nah. "Ich fand es extrem interessant, Cindy Sherman in allen Aspekten so zu porträtieren wie sie es nicht in ihren Arbeiten tat", sagt der Fotograf. "Die Zusammenarbeit mit ihr war sehr angenehmen und leicht. Ich habe ihr, wie bei allen Ausnahmen, erklärt, was ich mir vorstelle. Sie hat sich alles angehört und gelacht und gesagt: 'Great, I can do that'."
Die Sherman-Porträts sind Teil von Sahihis neuem Buch "The New York Years", das Fotografien aus der US-amerikanischen Sehnsuchtsstadt zusammenbringt. Am 10. Oktober eröffnet außerdem eine Ausstellung mit einer Auswahl von Prints in der Berliner McLaughlin Galerie. Der Fotograf, der 1963 in Teheran geboren wurde und heute in Berlin lebt, fängt nicht nur Bilder von Menschen, sondern auch von Orten ein. 2015 erschien sein Ausdauerprojekt "Die Berlinerin" als ziegelsteinschweres Buch, für das er 375 Frauen aus der Hauptstadt porträtierte und sie mit einem Fragebogen von sich erzählen ließ.
Rampenlicht und Politikschatten
Während des Corona-Lockdowns im Frühjahr streifte Ashkan Sahihi in seiner Neuköllner Isolation durch sein Archiv und nahm sich seine Bilder aus New York vor, wo er von 1987 bis 2014 lebte. Dort fotografierte er für renommierte Magazine und Zeitschriften und traf die Künstlerinnen, Schauspieler, Rapper, Models, Musiker und Autorinnen, die die Stadt zu einem Zentrum der Bilder, Gedanken und Klänge machten.
Dabei interessieren ihn weniger spektakuläre Arrangements als Momente, in denen seine Modelle eine gewisse Nähe zulassen. Jeff Koons becirct die Kamera mit unschuldigstem Jungenlächeln, Siri Hustvedt lässt ausgelassen ihr Haar fliegen, Nam June Paik putzt sich vor Teststreifenhintergrund die Nase, und Yoko Ono lässt sich zumindest ansatzweise hinter die dunkle Sonnenbrille schauen. Nur Louise Bourgeois ist in ihrem Studio offenbar nicht so leicht von der Arbeit an einer Gipsskulptur abzulenken. Am Ende des Buches taucht auf einer Doppelseite mit Falco unvermittelt der österreichische Rechtspopulist Jörg Haider (1950 - 2009) auf, den Sahihi während eines Besuchs bei der UN für die Zeitung "Der Standard" fotografierte. Eine kurze Erinnerung, dass die Welt des Rampenlichts auch immer mit politischen Schatten durchsetzt ist.
Zeitreisespaziergang durch eine Stadt, die es nicht mehr gibt
Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Bilder in "The New York Years" analog fotografiert und mit allen physischen Merkmalen und Spuren der Zeit im Buch abgedruckt. Es gibt keine Chronologie, nicht mal Jahreszahlen der einzelnen Bilder, sodass die Porträtierten den Betrachtern einfach so begegnen - manchmal in mehreren, unterschiedlich alten Versionen ihrer selbst. Wie bei einem Zeitreise-Spaziergang durch eine extrem prominent bevölkerte Stadt zieht Gesicht nach Gesicht vorbei - eine vernetzte Kreativ-Crowd aus einer Kreativstadt, die es so nicht mehr gibt. Oder die es vielleicht so nie gab, weil die chronische soziale Ungleichheit vom Mythos vernebelt wurde. New York ist immer noch der landläufige Inbegriff einer Superkunstmetropole, aber die Freiräume für Kultur jenseits des großen Geldes werden immer weiter aufgefressen und der konservative Backlash der vergangenen Jahre zehrt genauso wie der Corona-Lockdown dieses Frühjahrs das Freiheitsgefühl auf. Viele Protagonisten der "New York Years" (Tom Wolfe, John Cage, Philip Roth) leben nicht mehr.
Ashkan Sahihi sagt, dass er es nicht besonders schwierig findet, Künstlerinnen und Künstler zu fotografieren, obwohl diese selbst visuelle Menschen mit klaren Vorstellungen sind. Dann seien eher schon Schauspieler kompliziert, die sich unbedingt mit ihrem einstudierten Schauspielgesicht fotografiert lassen wollen. Ein gutes Porträt, sagt Sahihi, zeichnet sich durch "Life Force" aus. Ein Begriff, der sich schwer übersetzen lässt, weil darin Ausstrahlung und Energie mitschwingen. Sowohl die Aura der Porträtierten als auch die Energie der Begegnung.
Das Intro des Buches besteht aus einem E-Mail-Gespräch zwischen Ashkan Sahihi und dem Schauspieler Willem Dafoe, den der Fotograf mitten in der Pandemie für ein Vorwort gewinnen will. Dafoe windet sich, weil er meint, sein New York nicht angemessen in Worte fassen zu können. Diese Unsicherheit wird schließlich programmatisch, da sich auch die Fotos einem klaren Narrativ entziehen. Der Austausch über Erinnerung und die Ambivalenz von Nostalgie wird zum Begleittext von "The New York Years". Den Rest erledigen die Bilder.