Monopol-Tipps

10 Dinge, die Sie jetzt in Berlin sehen sollten

Art Week, Gallery Weekend, Pop-up-Shows: Berlin ist gerade ein unübersichtlicher Kunst-Dschungel. Hier sind unsere Tipps aus der Monopol-Redaktion für Ausstellungen und Orte, die sich lohnen   
 

Coronabedingt können spezielle Ticket-, Hygiene- und Abstandsregelungen gelten. Vor dem Ausstellungsbesuch empfiehlt sich deshalb ein Blick auf die jeweiligen Websites.
 

Rosemary Mayer bei Chert Lüdde

Die Galerie Chert Lüdde ist dafür bekannt, bislang übersehene Positionen der Kunstgeschichte aufzuarbeiten und neu in den Fokus zu rücken: Die Wiederentdeckung (und Documenta-14-Teilnahme) der Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt ist dem Bemühen von Florian Lüdde und Jennifer Chert zu verdanken, ebenso die des Künstlers Franco Mazzucchelli. Mit Rosemary Mayer widmet sich Chert Lüdde jetzt in einer ersten europäischen Ausstellung ihrer Werke dem Nachlass der 2014 verstorbenen feministischen New Yorker Künstlerin. Der Blick geht auf die frühen Werke der 70er-Jahre, auf Stoffskulpturen (von denen nur noch wenige erhalten sind) und auf Zeichnungen. Neben ihrer Arbeit als Künstlerin war Mayer auch Mitbegründerin der A.I.R. Gallery, der ersten Galerie von Künstlerinnen für Künstlerinnen in den USA. Anhand von Dokumenten erzählt Chert Lüdde auch über diesen Hintergrund mehr. Diese Ausstellung ist ein erstes Kapitel einer Geschichte, die noch längst nicht auserzählt ist.

Rosemary Mayer "Rods Bent Into Bows. Fabric Sculptures and Drawings 1972-1973", Chert Lüdde, bis 31. Oktober



Nik Nowak im Kindl - Zentrum für zeitgenössische Kunst

Auf den beeindruckenden Raum des Kesselhauses in der ehemaligen Berliner Kindl-Brauerei kann man als Künstler nur auf zwei Arten reagieren. Entweder man entscheidet sich für eine subtile Intervention (wie Bettina Pousttchi oder Haegue Yang), oder man setzt der mächtigen Industriearchitektur eine mächtige Installation entgegen (Roman Signer). Der Berliner Künster Nik Nowak, der in diesem Jahr das Kesselhaus bespielt, fährt großes Geschütz auf und wirft sich in Grenzkonflikte. Er hat im Ausstellungsraum einen Zaun inklusive Stacheldraht gezogen, an dem sich zwei martialisch aussehende Maschinen belauern. Sie beschallen sich gegenseitig mit ohrenbetäubenden Propaganda-Gesängen, Schnipseln aus politischen Reden und statischem Rauschen. Nik Nowak spielt auf die politische Einflussnahme mit Sound an, die es an der deutsch-deutschen Grenze gab und heute noch an Grenzen verfeindeter Länder gibt (zum Beispiel Nord- und Südkorea). Wem das zu krawallig ist, kann sich in die sehr meditative und stille Ausstellung von Lerato Shadi im Kindl-Hauptgebäude zurückziehen. 

Nik Nowak "Schizo Sonics", Kindl Zentrum für zeitgenössische Kunst, bis Mai 2021  


Rebecca Horn und Antonio Paucar in der Ifa-Galerie

Rebecca Horn ist eine der großen Inspirationen für die Gegenwart: Ihr poetisches Interesse für Natur, ihre Antennen für Spiritualität, ihre Erforschung von Körper und Raum finden viel Resonanz in den Arbeiten der jungen Künstler und Künstlerinnen von heute. Die Ifa-Galerie zeigt klassische Filme und Installationen der großen Künstlerin in Kombination mit Arbeiten ihres ehemaligen Schülers Antonio Paucar. Der aus Peru stammende Künstler übersetzt Themen von Verletzlichkeit und Mimesis der Natur in eigene starke Bilder, wenn er sich beispielsweise ganz eingestrickt in dicke Wolle von einem Baum hängen lässt und sich langsam befreit.

"Time Goes By: Rebecca Horn und Antonio Paucar", Ifa Galerie, bis 11. Oktober


Andreas Greiner bei Dittrich und Schlechtriem

Im Untergeschoss der Galerie Dittrich und Schlechtriem duftet es nach Holz und Harz. Andreas Greiner hat einige große Fichtenstämme in die Galerie gebracht und die Rinde abgezogen. Darunter kommt ein Muster zum Vorschein, das so schön wie fatal ist: Der Borkenkäfer hat es in das Holz gefressen. Greiners Thema in dieser Schau sind Wälder, für sein Video hat er unzählige Fotos von seinen Spaziergängen im Harz gemacht, die einer KI zum Material für ihre fiktiven Bilder von wachsenden und vergehenden Wäldern dient. Der Soundtrack dazu ist ein extrem langsam gedrehtes Chorstück von Mendelssohn-Bartholdy. Was in Zeiten des Klimawandels gefordert ist, ist Aktion statt romantische Kontemplation - weshalb Greiner in dieser Ausstellung auch sein Aufforstungsprojekt bei Goslar im Harz vorstellt.

Andreas Greiner "Jungle Memory", Dittrich und Schlechtriem, bis 31. Oktober

 

Philippe Parreno bei Esther Schipper

Eine Ausstellung von Philippe Parreno ist immer unberechenbar: Man weiß nie, in welcher Ecke die nächste Installation anspringt und welches Licht als nächstes flackert. Unvermittelt beginnt eine große, seltsame Uhr aus Plexiglas rasend Zeit zu messen, bis sie wieder stehen bleibt. Ein sich drehender Lautsprecher gibt alle Klänge der Schau konzentriert wieder in den Raum ab, eine große Installation aus leuchtenden Glühlampen lockt mit knarzenden Elektro-Beats vor einen Spiegel. Nur der Schneemann in der Ecke tropft beständig seinem Ende entgegen.

Philippe Parreno: "Manifestations", Esther Schipper, bis 17. Oktober


Josefine Reisch bei Noah Klink

Alles ist Kontext, nichts versteht sich von selbst. In der Ausstellung "Framing" konzentriert sich die in London lebende Malerin Josefine Reisch auf Rahmen, die ein gemaltes Porträt je nach dem Geschmack der Zeit umkränzen. Die Künstlerin malt meist pompöse Rahmen wie Elemente aus Bastelbögen auf die Leinwand und schafft damit ein Bewusstsein dafür, dass sie auswechselbar sind. Da es in ihren Bildern um kunsthistorische Vorlagen geht, in denen Frauen porträtiert werden, verstehen sich die Bilder auch als ein Kommentar auf die Konstruktion von Geschlecht und Macht. 

Josefine Reisch "Framing", Galerie Noah Klink, bis 3. Oktober 


Eine Handvoll Staub auf dem Lilienthalfriedhof

Die Ehrenhalle auf dem Friedhof Lilienthalstraße in Kreuzberg ist schon allein einen Ausflug wert. Das monumentale tempelartige Gebäude, erbaut 1941 während der NS-Zeit, hat sich temporär in einen Ausstellungsraum verwandelt. Den historisch aufgeladenen Ort bespielen Ann Duk Hee Jordan und Viron Erol Vert, die sich in der Schau "A Handful of Dust" mit der Komplexität von Geschichtsschreibung auseinandersetzen und die Architektur mit einer subtilen Intervention an der Fassade wie einer leuchtenden Installationslandschaft aus Körperteilen und einem autonom fahrenden Putzwagen in den Griff bekommen. An den Wochenenden im September finden außerdem Performances und Vorträge statt.

"A Handful of Dust", Ehrenhalle auf dem Friedhof Lilienthalstraße, Berlin, bis 27. September


Junge Galerien in den Wilhelmhallen

Eine entspannte Minimesse haben einige jüngere Berliner Galerien in den Wilhelmhallen in Reinickendorf aufgebaut. Es begrüßt ein gereckter Hintern einer Skulptur von Anna Uddenberg (Galerie Kraupa-Tuskany-Zeidler), Felix Kiessling lässt eine schwarze Antisonne scheinen (Galerie Alexander Levy) und bei Ciprian Mureşan (Galerie Plan B) fahren Skulpturen unvermittelt durcheinander. Weiteres Highlight: die poetische Installation mit Vorhang, collagierten Bildern und Keramikboden von Nadira Husain (PSM).

"K60", Wilhelmhallen, Berlin, bis 13. September und 19. bis 20. September  


Vivian Suter im Brücke-Museum

Das Brücke-Museum hat die Oberlichter geöffnet und lässt das Licht mit den locker gehängten abstrakten Leinwänden von Vivian Suter spielen. Diese bilden Farbakkorde mit den Werken der Sammlung von Kirchner oder Schmidt-Rotltuff. Zum ersten Mal darf zeitgenössische Kunst in dieses Haus - und verwandelt das Brücke-Museum in einen Zaubergarten.

Vivian Suter "Bonzo's Dream", Brücke-Museum, Berlin, bis 14. Februar 2021

 

David Shrigley bei BQ

Kunst kaufen ist nur etwas für reiche Leute? Bei David Shrigley nicht. Er hat in der Galerie BQ einen veritablen Shop einrichten lassen. Angeboten werden alle möglichen Merchandise-Objekte aus seiner Künstlerkarriere – der Brite mit dem lakonischen Comic-Stil hat schon immer gern T-Shirts, Platten und sonstige Gimmicks herausgebracht. In den Regalen finden sich Salz- und Pfefferstreuer mit der Aufschrift "Kokain" und "Heroin", ein seltsames Aufblas-Objekt, Postkarten, Zeichnungen, dazwischen wurden normale Verkaufsartikel platziert, die im Kontext ihre Skurrilität erst enthüllen: Bälle aus Gummibändern, absurde Puschelwolle. Und wer sich nicht zwischen den tollen Buttons für 1,50 Euro entscheiden kann, kauft eben nur einen Schokoriegel.

David Shrigley "Very Open Very Close", BQ, Berlin, bis 7. November