In der Oper wird schön und oft gestorben. In "7 Deaths of Maria Callas", dem Opernprojekt von Marina Abramovic, sieht und vor allem hört man davon verblüffend wenig. Sieben Sopranistinnen stehen im Lauf des Abends allein auf der Bühne. Eine liegt die ganze Zeit im Bett: Abramovic als Callas. Augen zu und durch.
Jede Sängerin singt die Arie einer Todgeweihten, von der tuberkolosekranken Violetta aus Verdis "La Traviata" bis zu Norma aus der gleichnamigen Bellini-Oper. Doch aus "Norma" erklingt "Casta Diva" aus dem ersten Akt. Wie war das noch? Da lebt, liebt und leidet die gallische Hohepriesterin doch noch ziemlich lange …
Die Wahrheit ist: Von Bellini bis Puccini erklingt überhaupt keine Sterbemusik. Das hätte nicht funktioniert, zumal unter Corona-Bedingungen. Denn auf der Opernbühne ist meistens viel los, wenn die Heldinnen ihr Leben aushauchen: Carmen wird von Don José erstochen, das lässt sich mit Sicherheitsabstand live kaum bewerkstelligen. Manchmal geben’s die Stücke auch nicht her: Tosca singt am Ende kein Solo mehr, sondern klagt und schreit, bevor sie sich aus Verzweiflung über den Tod des Geliebten von der römischen Engelsburg stürzt. Aus "Lucia di Lammermoor" (Donizetti) ist live die Wahnsinns-Arie zu hören – übrigens koloraturgewandt und tonschön gesungen von Adela Zaharia –, denn von Lucias Selbstmord im Off wird in dieser Oper nur erzählt.
Häppchen-Abend
Marina Abramovic’ Auseinandersetzung mit der Kunst und dem Leben von Maria Callas tendiert über weite Strecken zum musikalischen Häppchen-Abend. Wer aber nur "Casta Diva" kennt – die 14-jährige Abramovic hörte mit dieser Arie erstmals Callas’ Stimme aus Großmutters Küchenradio – der weiß nichts von "Norma" und den unglaublich fein und ausdrucksvoll gesponnenen Gesangslinien oder von der Lavaglut, die auf der Bühne kochte, wenn Maria Callas ihre Paradepartie sang.
Übrigens: die Tosca hat die griechische Sopranistin ungern gesungen, die Rolle der Cio-Cio-San ("Madama Butterfly") nur einmal in Chicago, Bizets Carmen auf der Bühne nie. Was das Repertoire der Sängerin angeht, die 1977 mit nur 53 Jahren starb, entsteht also ein reichlich schiefes Bild in München. Ihre Stimme hört man nur einmal, am Ende der Aufführung, in der Abramovic, die Callas wirklich ein bisschen ähnlich sieht, zum Sound ihrer Lieblingsarie "Casta Diva" im goldenen Glitzerkleid konventionelle Operngesten vorführt. Überhaupt blitzt nur selten ein echter Abramovic-Moment auf in dieser Produktion.
Einmal bekommt die serbische Performance-Legende eine echte Würgeschlange um den Hals gelegt. Ein anderes Mal knallt sie sich eine Kristallvase an die Brust, so heftig, dass das Glas zerspringt. Vielleicht ein Fake – aber trotzdem ist Abramovic hier am ehesten in ihrem Element. Gemeinsam mit Willem Dafoe spielt sie die zu den Opern (aber eben nicht den Arien) passenden Mord- und Sterbeszenen nach. Die in Hollywood vorproduzierten Videos werden über die ganze Bühnenbreite auf die karge Live-Szenerie projiziert.
Mancher Clip ist ganz originell geraten, zum Beispiel Polliones und Normas gemeinsamer Gang ins Feuer, bei dem das suizidale Paar mehrmals die Kleidung tauscht. Wenn Abramovic seinen Anzug trägt, ist Dafoe in Goldrobe und mit rot geschminkten Lippen zu sehen. Das ließe sich zu einem queeren Regiekonzept für "Norma" ausarbeiten.
Ansonsten können sich Dafoe und vor allem Abramovic, die sonst nie schauspielern wollte, darstellerisch die größte Mühe geben: Sie bewegen sich im Radius gediegener Videoclip-Ästhetik und – etwa bei Toscas Zeitlupen-Todessprung vom Wolkenkratzer – merklich im Studio vor dem Greenscreen. Kurzum: Mit Abramovic’ aufsehenerregenden Performances der 70er und 80er hat die Multimediaschau "7 Deaths" wenig zu tun.
Ein Abramo-Witz?
Dabei besitzt der Callas-Stoff ja durchaus Potenzial, wie der US-Dramatiker Terrence McNally in den 90ern mit dem Bühnenstück "Master Class" bewies, in dem er die Diva mit der angeschlagenen Stimme als Eleven drangsalierende Gesangslehrerin auftreten ließ – immer noch eine dankbare Rolle für Charakterschauspielerinnen.
Interessant ist die achte Szene von "7 Deaths": Während der gesamten Aufführung hat Abramovic also als Callas im Bett gelegen, nur von einem Spot beleuchtet. In der Finalszene wird das Interieur des Pariser Hotelzimmers, in dem die echte Callas starb, als Bühnenkulisse sichtbar. Aus dem Orchestergraben (Dirigent: Yoel Gamzou) erklingt statt Bizet und Verdi nun die faszinierend-atonale Musik des serbischen Komponisten Marko Nikodijević. Über dieser Klangkulisse schwebt die Stimme von Marina-Maria. Die Performerin im Bühnen-Bett öffnet zum ersten Mal die Augen, steht aus dem Sterbelager auf und wandelt im Zimmer hin und her, während die Tonbandstimme von gelebtem Leben erzählt. Die letzten Stunden von Maria Callas als Melodram für eine Schauspielerin mit Orchester – das wäre ein abendfüllendes Konzept. Abramovic' "7 Deaths" sind sieben zu viel.
Und am achten Tod, der im Titel gar nicht vorkommt, müssten die Verantwortlichen noch feilen. Nach Callas’ Abgang (womöglich stirbt sie ja gar nicht, eine Göttliche eben) kommen die sieben Sängerinnen als Reinigungskräfte ins Zimmer, virensicher mit Mund-Nasen-Schutz ausgestattet und – das soll wohl ein Abramo-Witz sein – saugen kräftig durch, schwingen die Putztücher und versprühen Desinfektionsmittel. Da hatte man gerade gedacht: Die Oper lebt, Corona zum Trotz. Aber Arienprogramme mit zeitgenössischem Appendix machen noch kein Musikdrama. Wir sind gespannt, wie, wann und wo die Oper wirklich wieder aufersteht.