Wer an Christos und Jeanne-Claudes Reichstagsverhüllung 1995 Jahren denkt, hat höchstwahrscheinlich nicht nur ein Gebäude im Kopf, das unter 110.000 Quadratmetern silbrigem Polypropylengewebe plötzlich wie ein Raumschiff wirkte. In der Erinnerung kommen wahrscheinlich auch die Menschenmassen vor, die sich um dieses kuriose Gebilde drängten und das gigantische Kunstprojket zu einem Sommerfest der deutschen Einheit machten. Dass sich fünf Millionen Menschen innerhalb von zwei Wochen in Berlin versammelten, war plötzlich nicht mehr bedrohlich, wie es die Masse so oft in der Geschichte gewesen war, sondern ein friedliches Kunstfest, das es in dieser Form seitdem nicht mehr gegeben hat.
25 Jahre nach der Reichstagsverhüllung, im Sommer der Corona-Abstandsregeln, wollten wir Christo eigentlich nach seinem Verhältnis zur Masse befragen - schließlich wurde sein großes Projekt in Paris gerade abgesagt, weil eine kollektive Kunst-Ekstase wie in Berlin in Zeiten des Social Distancing unmöglich ist. Das Gespräch verlief ein wenig anders, weil Christo betonte, dass die Rezeption seiner Arbeit außerhalb seiner Macht liege. Und so erzählte er von der Genese seines spektakulärsten Projektes, die mehrere Jahrzehnte füllte. Er und Jeanne-Claude sorgten für Hardware, das Publikum und die historischen Umstände für die Software, die das Werk komplettiert.
Kunst für wenige oder für alle?
Das Interview sollte eines der letzten mit Christo werden. Nur wenige Tage nach dem Telefonat starb Christo mit 84 Jahren in New York. Im Monopol-Podcast erzählt Monopol-Redakteurin Saskia Trebing von diesem Gespräch und der außergewöhnlichen Karriere von Christo und Jeanne-Claude. Es geht auch um Zugänglichkeit von Kunst, denn das Künstlerpaar bezahlte seine spektakulären Projekte im öffentlichen Raum stets ohne Sponsoren aus eigener Tasche. Sie verkauften Zeichnungen und Editionen an wenige, um Werke für alle zu realisieren.
Um Kunst als Allgemeingut spricht Moderatorin Sara Steinert danach mit dem Autor Oliver Koerner von Gustorf. Im Zuge der Corona-Krise und der weltweiten Proteste gegen Rassismus geraten auch die Ungleichheiten in der Kunst wieder stärker in den Fokus. Auch wenn viele Künstlerinnen und Künster die Krisen der Gegenwart in ihren Arbeiten thematisieren, ist der Betrieb zu einem großen Teil auf Exklusivität und Elitarismus ausgelegt: Kunst ist eben auch ein System, in dem sich Superreiche Zugang zu kreativen Kreisen und symbolisches Kapital erkaufen, während die breite Öffentlichkeit draußen wartet, bis der Champagner alle ist.
Da nun diskutiert wird, wie man Künstlerinnen und Künstler in der Corona-Krise am besten unterstützen kann, plädiert Oliver Koerner von Gustorf dafür, Kunst als soziales Gut zu betrachten und sogenannte Commons zu gründen. Nur so sei es möglich, ein Miteinander zu entwickeln, das nicht nur vom Markt bestimmt wird. Anhand von Beispielen wie Gordon Matta-Clark oder Theaster Gates erklärt er, wie Kunst und Gemeinschaftsprojekte zusammenpassen, und wie der Kunstmarkt genutzt wird, um Communities aufzubauen. "Künstler sind Shape-Shifter, sie können in jede Rolle schlüpfen", sagt Koerner von Gustorf. "Künstler haben etwas beizutragen für die Gesellschaft, das wichtig ist. Man sollte die Leute dort einbinden, wo sie leben." Nur so könne man verhindern, dass die Protagonisten des Marktes die einzigen Profiteure von kreativen Netzwerken sind.