"Kauf mir einen Aufenthaltstitel" hat Abir Kobeissi mit goldenem Garn auf dunkles Baumwollsamt gestickt. Darunter ihre IBAN-Bankverbindung: Zwei Buchstaben, 20 Nummern. Das Werk ist Teil einer 32-teiligen Reihe, die sich mit Staatsangehörigkeit, Bürokratie und all den festgeschriebenen Normen auseinandersetzt, die Menschen einteilbar machen – sie Kategorien zuordnen. Etwa dem Geschlecht, der Herkunft. Oder der Fähigkeit zu überleben.
Abir Kobeissis Arbeiten setzen sich häufig mit solchen Themen auseinander. Die 32-Jährige ist Kunststudentin an der Akademie der Künste in München; vor zweieinhalb Jahren kam sie aus dem Libanon nach Deutschland. Dieses Mal hatte ihre Arbeit einen dringenderen Hintergrund als sonst: Die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels stand an – doch die Ersparnisse, die sie dafür vorweisen muss, 10.236 Euro, hatte sie nicht. Durch Corona hatte sie ihren Nebenjob verloren, die Finanzkrise im Libanon machte es für ihre Familie unmöglich, ihr Geld zu schicken.
Bevor sie nach Deutschland kam, hat Kobeissi in Beirut Innenarchitektur studiert – und ihren Abschluss gemacht. "Das hat mich nicht erfüllt. Ich wollte Kunst machen, in einer Umgebung ohne Einschränkungen." An der Akademie der Künste fand sie Mitstudentinnen, die sie inspirierten und eine Dozentin, die sie unterstützte: "Abir hatte von vornherein ein sensibles Gespür für Machtstrukturen", sagt Pola Sieverding, die Kobeissi in München unterrichtete. "Sie trägt mit ihren Arbeiten zum politischen, gesellschaftlichen Diskurs bei. Sie macht sich stark – für sich und für andere."
"Dann kommt der psychische Stress"
Menschen aus dem außereuropäischen Ausland, die in Deutschland studieren, bekommen ihren Aufenthaltstitel für maximal zwei Jahre ausgestellt. Das heißt bei einem fünfjährigen Studium mindestens zweimal während des Aufenthaltes in Deutschland mit der Ausländerbehörde in Kontakt zu stehen, Dokumente auszufüllen, einen Betrag auf einem Sperrkonto nachzuweisen. Dieser Betrag hat sich seit Anfang 2020 um knapp 2000 Euro auf besagte 10.236 Euro erhöht. Hinzu kommt: Für viele Stipendien kommen Studierende aus dem außereuropäischen Ausland nicht infrage. Pola Sieverding kennt viele Studierende aus dem Ausland, die vor dem Problem stehen, den Aufenthaltstitel nicht weiter finanzieren zu können – "und dann kommt der psychische Stress, womöglich das Studium abbrechen zu müssen, für das man so lange gearbeitet hat."
Im Frühling wurde Abir Kobeissi klar, dass sie das Geld bis zum Sommer nicht zusammenbekommen würde, so erzählt sie es. Im Juni sollte ihre Aufenthaltsgenehmigung ablaufen. Sie vertraute sich ihrer Dozentin Pola Sieverding an, die sie für verschiedene Stipendien vorschlug – vergeblich. Ihr Heimatland, der Libanon steckt in der schwersten Wirtschaftskrise der Landesgeschichte. Hilfe von ihrer Familie und ihren Freunden habe sie deshalb nicht erwarten können, sagt Kobeissi. "Und selbst, wenn das möglich wäre: Die Banken lassen Überweisungen ins Ausland kaum noch zu."
"Mir hat gefallen, dass sie so direkt war"
Dann kam die Corona-Pandemie und Kobeissi verlor auch noch ihre Einnahmen aus ihrem Nebenjob als Innenarchitektin – für wohlhabende Münchner hatte sie nebenher antike Möbel ausgesucht. Je näher der Juni rückte, desto prekärer wurde ihre finanzielle Lage. "Kunst wird auch aus der Not geboren", sagt Kobeissi. Aus dieser Not entstand ihr Werk "Kauf mir einen Aufenthaltstitel." Sie schickte die fertigen Stickereien an Freunde, Kollegen und die Presse.
Anfang Mai erschien ein Portrait über sie in der "Süddeutschen Zeitung" – keine zwei Stunden später habe ihr Telefon geklingelt, sagt Kobeissi. Es war Konzertveranstalter Scumeck Sabottka. "Er wollte mir seine Unterstützung anbieten", sagt sie.
Sabottka ist in der Konzertbranche unter anderem für die Organisation von Rammstein-Tourneen bekannt. Über Kobeissi habe er rein zufällig in der Zeitung gelesen, sagt er. "Mir hat gefallen, dass sie nicht gejammert hat, sondern sehr direkt war." Er sei an der Lage im Libanon interessiert und habe auch deshalb entschieden, ihr zu helfen. "Am Telefon habe ich ihm gesagt, dass er mir das Geld für das Sperrkonto überweisen könnte", sagt Kobeissi, "damit wäre mir sehr geholfen." Am übernächsten Tag sei das Geld dagewesen.
Inzwischen war Abir Kobeissi bei der Ausländerbehörde, um ihren Titel zu verlängern. Sie darf erstmal bleiben.