Bei einem meiner letzten Besuche in einer modernen Gemäldesammlung stieß ich auf ein suprematistisches Bild, offenbar von Kasimir Malewitsch. Zwischen den anderen Bildern im Raum wirkte es zunächst vollkommen stimmig. Doch als ich mich dem Bild näherte, wies die Bildoberfläche eine seltsame Materialität auf. Außerdem roch das Bild. An einer Stelle in der Mitte der gemalten dunklen Rechteckform entdeckte ich einen glänzenden Fleck, so, als habe jemand gerade mit einem feuchten Lappen darübergewischt. Ich blickte auf das Label und las „Kristina Buch. later, Goliath. And then started humming”. Was machte das Werk einer jungen Künstlerin in dieser Sammlung von Gemälden der Klassischen Moderne? War es hineingeschmuggelt worden?
Als ich leicht irritiert gerade den Saal verlassen wollte, trat eine junge Besucherin sehr nah an das Bild heran, ohne das eine Aufsicht eingriff. Die Person sah nicht gerade dazu befugt aus, eher normal, etwa 1,65 Meter groß, schlank, mittellange, blonde Haare, Jeans und Tanktop, tätowierter Oberarm. Ich traute meinen Augen nicht: Die Besucherin begann, das Bild zu liebkosen, es zu küssen und behutsam, zärtlich zu lecken. Erotisches Verlangen und religiöse Inbrunst mischten sich bei diesem unerhörten Vorgang.
Als ich sie ansprach, erklärte mir die Frau, sie wolle diesem Bild huldigen, das sich seit einigen Wochen in dieser Galerie befinde. Es sei für sie eine Form der Andacht. Kristina Buch beziehe sich mit dieser Arbeit auf die heroische Tradition der Malerei des Abstrakten Expressionismus und besonders auf deren spirituelle Dimension. Ihr Bild sei aus Zucker, und eigentlich sei es gar kein Bild, sondern Teil einer langandauernden Performance, an der sich jeder Besucher beteiligen könne, indem er oder sie ebenfalls an dem Bild lecke, bis es sich irgendwann aufgelöst haben werde.
Was für ein Ritual, das da in Gang gesetzt werden soll. Bedenkt man die besondere Form der Präsentation, die die Künstlerin gewählt hat, wird eine weitere Affinität zu religiösen Objekten sichtbar: heimlich, verbündlerisch, nur durch Mundpropaganda zu finden. Wie eine Pilgerstätte mit heiligen Gegenständen oder Götterbildern, die verehrt werden, indem man sie berührt oder küsst. Der Bezug zu Malewitsch ist hier völlig angemessen, denn auch dieser russische Suprematist war sich der spirituellen Kraft der Malerei bewusst und verstand sich ausdrücklich als Vollender der Tradition der Ikonenmalerei. Die besondere Materialität der Candy Paintings (neben dem kleinen, hier beschriebenen Bild gibt es noch ein weiteres, sehr großes Format, das an Barnett Newmans letztes Gemälde „Anna’s Light“ erinnert) steht also im Zentrum.
Doch Buchs Arbeit wird mit zunehmender Verehrung immer weniger werden, und das macht sie zu einer raffinierten Stellungnahme zum Ikonoklasmus. In der Kunst des 20. Jahrhunderts sind immer wieder Arbeiten veröffentlicht worden, in denen Zerstörung thematisiert wurde. – die symbolische Zerstörung der Tradition wie in der dadaistischen Gesten von Marcel Duchamps mit einem Schnurrbart übermalter Mona Lisa, die kontrollierte, physische Zerstörung eines Kunstwerks wie das „Erased De Kooning Drawing“ von Robert Rauschenberg bis hin zu den verschiedenen Möglichkeiten der Selbstzerstörung eines Werkes wie in der Auto Destructive Art eines Gustav Metzger. Aus den späten 80er-Jahren ließen sich die „Gnaw“-Skulpturen der amerikanischen Künstlerin Janine Antoni anführen, große Klötze aus Schokolade oder Fett, die von der Künstlerin angenagt wurden (aus den abgenagten Partikeln fertigte sie dann weitere Objekte an).
Kristina Buchs Arbeit geht einen wichtigen Schritt weiter, indem sie nicht selbst als Künstlerin ihr Objekt zerstört, sondern dies Dritten überlässt und so den Erfolg ihrer Arbeit in die Hände des Publikums legt – ein ausgesprochen riskantes und entsprechend mutiges Vorgehen. Unmittelbar stellt diese Arbeit auch unsere gewohnten Formen des Umgangs mit Kunstwerken in Museen und Galerien auf die Probe, indem sie dazu ermuntert, sich dabei einen Teil buchstäblich einzuverleiben.
Kay Heymer ist Leiter Moderne Kunst am Düsseldorfer Museum Kunstpalast
Als ich leicht irritiert gerade den Saal verlassen wollte, trat eine junge Besucherin sehr nah an das Bild heran, ohne das eine Aufsicht eingriff. Die Person sah nicht gerade dazu befugt aus, eher normal, etwa 1,65 Meter groß, schlank, mittellange, blonde Haare, Jeans und Tanktop, tätowierter Oberarm. Ich traute meinen Augen nicht: Die Besucherin begann, das Bild zu liebkosen, es zu küssen und behutsam, zärtlich zu lecken. Erotisches Verlangen und religiöse Inbrunst mischten sich bei diesem unerhörten Vorgang.
Als ich sie ansprach, erklärte mir die Frau, sie wolle diesem Bild huldigen, das sich seit einigen Wochen in dieser Galerie befinde. Es sei für sie eine Form der Andacht. Kristina Buch beziehe sich mit dieser Arbeit auf die heroische Tradition der Malerei des Abstrakten Expressionismus und besonders auf deren spirituelle Dimension. Ihr Bild sei aus Zucker, und eigentlich sei es gar kein Bild, sondern Teil einer langandauernden Performance, an der sich jeder Besucher beteiligen könne, indem er oder sie ebenfalls an dem Bild lecke, bis es sich irgendwann aufgelöst haben werde.
Was für ein Ritual, das da in Gang gesetzt werden soll. Bedenkt man die besondere Form der Präsentation, die die Künstlerin gewählt hat, wird eine weitere Affinität zu religiösen Objekten sichtbar: heimlich, verbündlerisch, nur durch Mundpropaganda zu finden. Wie eine Pilgerstätte mit heiligen Gegenständen oder Götterbildern, die verehrt werden, indem man sie berührt oder küsst. Der Bezug zu Malewitsch ist hier völlig angemessen, denn auch dieser russische Suprematist war sich der spirituellen Kraft der Malerei bewusst und verstand sich ausdrücklich als Vollender der Tradition der Ikonenmalerei. Die besondere Materialität der Candy Paintings (neben dem kleinen, hier beschriebenen Bild gibt es noch ein weiteres, sehr großes Format, das an Barnett Newmans letztes Gemälde „Anna’s Light“ erinnert) steht also im Zentrum.
Doch Buchs Arbeit wird mit zunehmender Verehrung immer weniger werden, und das macht sie zu einer raffinierten Stellungnahme zum Ikonoklasmus. In der Kunst des 20. Jahrhunderts sind immer wieder Arbeiten veröffentlicht worden, in denen Zerstörung thematisiert wurde. – die symbolische Zerstörung der Tradition wie in der dadaistischen Gesten von Marcel Duchamps mit einem Schnurrbart übermalter Mona Lisa, die kontrollierte, physische Zerstörung eines Kunstwerks wie das „Erased De Kooning Drawing“ von Robert Rauschenberg bis hin zu den verschiedenen Möglichkeiten der Selbstzerstörung eines Werkes wie in der Auto Destructive Art eines Gustav Metzger. Aus den späten 80er-Jahren ließen sich die „Gnaw“-Skulpturen der amerikanischen Künstlerin Janine Antoni anführen, große Klötze aus Schokolade oder Fett, die von der Künstlerin angenagt wurden (aus den abgenagten Partikeln fertigte sie dann weitere Objekte an).
Kristina Buchs Arbeit geht einen wichtigen Schritt weiter, indem sie nicht selbst als Künstlerin ihr Objekt zerstört, sondern dies Dritten überlässt und so den Erfolg ihrer Arbeit in die Hände des Publikums legt – ein ausgesprochen riskantes und entsprechend mutiges Vorgehen. Unmittelbar stellt diese Arbeit auch unsere gewohnten Formen des Umgangs mit Kunstwerken in Museen und Galerien auf die Probe, indem sie dazu ermuntert, sich dabei einen Teil buchstäblich einzuverleiben.
Kay Heymer ist Leiter Moderne Kunst am Düsseldorfer Museum Kunstpalast