Nach vier Wochen auf meiner einsamen Insel habe ich genug davon. Einsam, das ist meine Insel außerdem schon lange nicht mehr. Der Insel-Chef Tom Nook hatte mir nach wenigen Tagen aufgetragen, Mitbewohner zu organisieren. Also bin ich durch die Gegend geflogen und habe Leute eingeladen, mit mir auf "less" zu leben. Und um die muss ich mich seitdem täglich kümmern. Ich muss freundlich grüßen, emotional sein und Geschenke verteilen. "Animal Crossing: New Horizons" zu spielen, das ist auf die Dauer wirklich kein Spaß, weil permanent Aufgaben erledigt werden müssen, damit man irgendeine Belohnung bekommt. Ein großes Haus, ein kleines Geschenk, nette Worte von den Mitbewohnern.
Die Fischerei, die Gartenarbeit und der Obstanbau nerven und das ständige Rumgeräume im eigenen Haus sowieso. "Eigentlich ist diese Welt die Definition von Entspannung", war in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Mitte Mai zu lesen. Eigentlich. Und weiter stand dort: "In Animal Crossing, dem beliebtesten Computerspiel in der Corona-Zeit, spielt man in einer so genannten Lebenssimulation auf einer idyllischen Insel: Blauer Himmel, grüne Wiesen und sanfte Gitarrenklänge sorgen für ein Wohlfühlgefühl der Spieler. Man angelt Fische, pflückt Früchte und baut sich seine eigene, kleine Welt auf einer Insel auf. Stress, Druck, Hektik – all das gibt es hier nicht." Klar, es ist wie im richtigen Leben. Wer etwas erreichen will, muss ackern. Wer keine Ansprüche hat, Haus, Garten, Sozialleben … ja, was macht man da eigentlich in "Animal Crossing"? Schaut man etwa dem Avatar beim Sonnenbaden am Strand zu?
Das "Animal Crossing"-Ramsch-Museum
Mittlerweile ist mir egal, dass eine meiner großen Aufgaben ist, ein Museum zu befüllen. Mit Fossilien, Insekten, Fischen und natürlich Kunst. Die Kunst müsste ich eigentlich einem Fuchs abkaufen, der versucht aber, einem Fälschungen unterzujubeln. Nachdem ich einen Van Gogh erworben und in mein Wohnzimmer gehängt hatte, war ich zufrieden. Was will man auch mehr? Im Museum ist nur ausgestellt, was man Eugen an Fossilien, Insekten, Fischen und Kunst bringt, genauer gesagt: spendet. Er nimmt alles an. Da Eugen von mir keine Kunst bekommt, weil ich keine Kunst kaufe, gibt es in meinem Museum keine Kunst zu sehen.
Gerade ist der International Museum Day in "Animal Crossing" zu Ende gegangen. Ein Tag war es übrigens nicht, nein, ganze zwei Wochen lief das Event. Und Event ist vielleicht auch ein bisschen übertrieben, so aber wurde der International Museum Day angekündigt. Als Event. Zwischen dem 18. und 31. Mai also konnte man in das Museum auf der Insel gehen, das die Eule Eugen betreibt, und den International Museum Day zelebrieren. Auch das ist übertrieben. Gefeiert wurde nämlich nicht, sondern gerannt. Stempelkarten mussten gefüllt werden. Die Stationen, an denen es die Stempel gab, waren im ganzen Museum verteilt. Um Inhalte ging es nicht.
Immerhin habe ich so endlich einmal das ganze Museum gesehen. Die vollen Stempelkarten wiederum mussten bei Eugen abgegeben werden. Als Belohnung gab es pro Flügel im Museum eine Tafel. Schön sind die drei Tafeln nicht wirklich, weshalb ich sie direkt im Lager meines Hauses deponiert habe. Das hätte ich jeden Tag wiederholen können. Und täglich grüßt die Eule. Aber das habe ich lieber gelassen, schließlich ist der Platz in meinem Lager begrenzt, und die Rennerei war mir auch zu stressig. Wie im richtigen Leben werden selbst in der Simulation Besucher mit Events ins Museum gelockt, bei denen dann nicht einmal der Versuch unternommen wird, Inhalte zu vermitteln. Inhalte? Party, geht schon!
Alles in Ordnung, Du bist genug
Im "Atlantic" war bereits Mitte April ein großes Think Piece über "Animal Crossing" erschienen. Ian Bogost hatte eine Erklärung für den Erfolg des Spiels, das auf den Markt kam, als die ganze Welt in Quarantäne war: "Mitten im sozialen und ökonomischen Chaos, während die meisten Menschen drinnen bleiben müssen und die Tage zu einer formlosen Masse verschmelzen, bietet Animal Crossing unerwartet Trost durch digitale Ersatz-Gewohnheiten - eine strukturierte, wenn auch fiktionale, Alternative zum normalen Leben."
In Foren und Facebook-Gruppen kann man nachlesen, wie viele Stunden Menschen damit zubringen, sich auf ihrer Insel einzurichten. Da ist von unter 100 bis über 400 Stunden Spielzeit die Rede, von ein bis acht Stunden und mehr täglich.
Wenn sich jemand über die vielen Aufgaben und die Eintönigkeit des Lebens auf der Insel beschwert, wirft immer jemand ein: Lass es doch sein! Und das ist auch das Argument von Bogost im "Atlantic". Man wird zu nichts gezwungen. Wenn man nicht ins Museum will, um Stempel zu sammeln, lässt man es sein. Wenn man Obst verkaufen will, geht man zu Nooks Neffen Schlepp und Nepp und verkauft Äpfel, Pfirsiche, Birnen, Kokosnüsse und Kirschen. Wie Eugen nehmen die beiden alles an.
Bogost schreibt: Nepp und Schlepp "werten jede Form von Aufwand, die der Spieler bereits ist zu betreiben, als brauchbare Arbeit. Alle drei Tage Kokosnüsse sammeln von den Palmbäumen? Das geht. Ins Ausland reisen, um Eisen für die Herstellung von Parkbänken zu gewinnen? (...) Jeder Aufwand ist valide, jede Errungenschaft eintauschbar gegen Kapital. Oder lieber gar keinem Job nachgehen und lieber den ganzen Tag auf Baumstümpfen sitzen und ein Tambourin schellen lassen? Das geht auch in Ordnung; es gibt keine Konsequenzen dafür, keine 'Glocken' zu ernten. Niemand interessiert sich für etwas in Animal Crossing. Du bist okay." Diese Alles-ist-gut-auch-wenn-Du-nichts-tust-Haltung soll Trost während einer globalen Pandemie spenden können, so Bogost.
Crashkurs für Kunst-Laien?
In Sachen Kunst ist übrigens nach den ersten Anläufen nicht mehr viel passiert, was sicherlich auch daran liegen mag, dass man doch sehr eingeschränkt ist in den Möglichkeiten. Vom Getty kam der "Animal Crossing Art Generator", über den man Werke aus der Sammlung aufhängen und in Muster für T-Shirts, Wände, Böden etc. umwandeln kann. Das Met ist schnell nachgezogen und hat die Sammlung mit 406.000 Werken verfügbar gemacht. "Was als Jux anfing, hat nun Künstlern und Museen gleichermaßen Zugang ermöglicht zu einem Publikum, das sie sonst nicht erreicht hätten. Menschen bekommen einen Crashkurs in bildender Kunst.
Trotz all seiner Grenzen ist 'Animal Crossing' ein neues virtuelles Gefilde künstlerischer Möglichkeiten", lautet das Fazit von "Art in America". Vielleicht ist die Präsenz in "Animal Crossing" doch zu random für Museen und Künstler. Die Kunst wird im Spiel nämlich zur Dekoration und auf das reduziert, was man sonst im Museumsshop noch schnell als Andenken mitnimmt: ein Poster fürs Wohnzimmer, ein T-Shirt für den Papa. Und Künstler müssten erst einmal hunderte Stunden spielen, um überhaupt etwas machen zu können. Alles ist gut, auch wenn Du nichts tust.