Während viele Kunsthochschulen wieder geöffnet haben, kann an der Düsseldorfer Kunstakademie nach wie vor keine künstlerische Lehre stattfinden. Die Studierenden und Lehrkräfte fühlen sich alleingelassen – und fordern die Direktion zum Dialog auf
"Kunst ist nicht lehrbar", dieses Zitat des ehemaligen Direktors Norbert Kricke ist ein geflügeltes Wort an der Düsseldorfer Kunstakademie. Kunst soll hier nicht gelehrt, sondern gelebt werden, indem Entfaltungsräume für die Studierenden geschaffen werden. Markus Lüpertz bezog sich in seiner Antrittsrede auf das Zitat, Studieninteressierte begegnen ihm bereits in der Infobroschüre der Akademie – und nun verweisen auch die Mitglieder des Allgemeinen Studienausschusses darauf, um den Umgang der Akademie-Direktion mit der Covid-19-Pandemie zu kritisieren.
Von gelebter Kunst kann an der Akademie aktuell nicht die Rede sein. Ausgenommen von Kolloquien in Anwesenheit der Professoren in einem hierfür bestimmten Raum mit 19 Stühlen und einem einzigen Tisch ist den Studierenden der Zugang zur Akademie verwehrt. Eine praktische künstlerische Lehre ist aktuell unmöglich. Die Ateliers bleiben ausnahmslos geschlossen, lediglich die Werkstätten dürfen von Absolventinnen und Absolventen besucht werden. All das finden die Mitglieder des Studierendenausschusses Asta ebenso wie viele andere Studierende und Professoren der Akademie unverständlich. In einer universitätsinternen Petition fordern sie neben einer Erweiterung und Optimierung der digitalen Lehrangebote auch die kontrollierte und schrittweise Öffnung der Ateliers und Werkstätten.
In einer Erklärung an Monopol beteuert der Asta, dass sich die Studierenden der besonderen Gefahr der Covid-19-Pandemie dabei ebenso bewusst seien wie ihrer Verantwortung als Gruppe überwiegend junger Menschen, die das Virus mitunter unwissend weitergeben könnten. Es gebe jedoch viele konkrete Ansätze, um eine verantwortungsvolle Öffnung der Akademie zu gewährleisten. Denkbar sei neben Anwesenheitslisten beispielsweise eine Faustregel von 20 Quadratmetern pro Person, wie sie aktuell in einigen Museen zur Anwendung kommt. "Es ist absurd, dass sich bis zu 20 Personen in einem Raum versammeln, sich aber nicht so in der Akademie verteilen dürfen, dass sie einander wahrscheinlich nicht einmal begegnen würden."
Vorbilder gäbe es genug
Und nicht nur aufgrund des Infektionsrisikos sei das aktuelle Kolloquien-Modell unzureichend. Studierende aus dem Orientierungsbereich, die noch keiner Klasse angehören und Schüler von Professorinnen und Professoren, die sich im Ausland befinden, dürfen die Akademie demnach gar nicht betreten. Eine Studentin der Künstlerin Rita McBride, die aktuell in den USA feststeckt, fühlt sich bevormundet: "Wir haben schon immer selbst organisierte Kolloquien ohne Professoren abgehalten." Das gelte sowohl für ihre eigene Klasse, die sich im vergangenen Semester ohne Anwesenheit der Professorin organisierte, als auch für andere Klassen wie jene von Trisha Donnelly.
Umsetzbar wären die Forderungen des Asta allemal. In der letzten Verfügung des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales wird die praktische künstlerische Lehre ausdrücklich erlaubt. An der Kölner Kunsthochschule für Medien wurde der Betrieb bei Maskenpflicht und auseinandergerückten Tischen wieder aufgenommen, und auch bei den Kunstakademien in Hamburg, München, Dresden könnte sich die Düsseldorfer Kunstakademie Modelle der kontrollierten Öffnung abschauen.
All das würden die über 300 Studierenden und Lehrkräfte, die die Petition bereits unterschrieben haben, gern mit der Akademie-Direktion diskutieren. Die nächste Senatssitzung ist allerdings erst zum Semesterende angedacht. Der Asta fordert eine umgehende Sitzung, die man problemlos auch digital abhalten könne. Man müsse nicht nur eine Öffnung der Akademie diskutieren, sondern auch Modelle für verschiedene Zukunftsszenarien entwerfen. Unklar ist beispielsweise noch, in welchem Rahmen der auf Oktober verschobene Sommerrundgang stattfinden kann.
Wie kann mit dem Platzmangel an der Akademie umgegangen werden, der dadurch entstehen wird, dass die Regelstudienzeit verlängert wurde und zahlreiche Studierende nun ihren Abschluss verschieben? Wie mit einer möglichen neuen Infektionswelle im Herbst? Und wie kann die Akademie, an der es nach wie vor kein W-Lan gibt, eine zeitgemäße Infrastruktur für digitale Kommunikation und Lehre schaffen? Professor Gregor Schneider, der die Petition ebenfalls unterzeichnet hat, bewertet das bislang ausweichende Kommunikationsverhalten der Direktion mit deutlichen Worten: “Wenn sie mich fragen, hat die Verwaltung der Kunstakademie Barrikaden errichtet, um sich vor Studierenden und vor den Künsten zu schützen und nicht gegen das Virus.”
Eine Institution fällt aus der Zeit
Für den Düsseldorfer Asta beinhaltet eine bessere Kommunikation auch die bilinguale Vermittlung essentieller Informationen rund um den hochschulpolitischen Umgang mit der Pandemie. Dass diese bisher nur in deutsch verbreitet werden, erklärt die Direktion damit, dass der Nachweis deutscher Sprachkenntnisse auf B2-Niveau zu den Zulassungsvoraussetzungen der Akademie zähle. Trotzdem reichen offenbar die Sprachkenntnisse vieler internationaler Studierenden nicht aus. “Es ist eine paradoxe Situation: Die Professorinnen und Professoren erhalten von der Akademie bilinguale Informationen, die Studierenden dagegen nicht”, erzählt eine englischsprachige Tutorin. Sie findet, dass mangelnde Deutschkenntnisse kein Ausschlusskriterium sein sollten. Das Mitglied des Asta-Vorstands sieht das ähnlich: “Wir verstehen uns als eine weltoffene, internationale Akademie, für die ausländische Künstler wie Nam June Paik schon immer einflussreich waren. Da sollte eine bilinguale Kommunikation möglich sein.”
Die Herausgeber der Studierendenzeitung “Wormhole” schrieben bereits im Februar in ihrem Editorial: "Neue Dimensionen scheinen notwendig, da unsere Schule, dieser legendäre und traditionelle Ort, riesig und imposant, geschätzt und verhasst, aber mit Sicherheit romantisiert, immer weiter aus Raum und Zeit zu fallen scheint.” Dabei bezogen sie sich unter anderem auf die Vorwürfe sexuellen Missbrauchs durch einen Professoren, die vergangenes Jahr durch einen "Spiegel"-Artikel publik gemacht wurden. Zwar war der Kanzler Karl-Heinz Pelzinka zum Zeitpunkt, an dem die Übergriffe stattgefunden haben sollen, noch nicht im Amt. Der Anti-Diskriminierungs-Aktionstag, den er als Reaktion auf die Vorwürfe initiierte, wurde jedoch von vielen Studierenden kritisiert – zum einen aufgrund von Workshops, die dem Ernst der Thematik offenbar nicht gerecht wurden, zum anderen, weil er eine Woche vor dem Winterrundgang und damit genau in dem Zeitraum stattfand, der für die Studierenden die meiste Arbeit bedeutet. Aber auch über diesen Fall hinaus, heißt es in "Wormhole" weiter, vermisse man Kommunikation über und transparente Reaktionen auf “Aggressionen, bis hin zu systematischer Diskriminierung und sozialen Gefügen, die sich hinter 'Freiheit', 'Traditionen' und 'guten Absichten' verstecken.”
Es gibt Redebedarf, das geht aus den Gesprächen mit Studierenden ebenso deutlich hervor wie aus dem Text der “Wormhole”-Herausgeber. Dass Krisen Chancen mit sich bringen, ist in den vergangenen Monaten ebenfalls zum geflügelten Wort geworden. Das gilt auch für die traditionsreiche Akademie, der die Studierenden vorwerfen, angesichts einer reichen Geschichte wichtige Entwicklungsschritte zu verpassen. In der aktuellen Situation, die für viele eine existenzielle Bedrohung darstellt, fühlen sie sich mit ihren Problemen alleingelassen. Sie plädieren an die Direktion, die Türen zu öffnen und die Chance für einen demokratischen Dialog zu ergreifen.