Wellen fließen quer durchs Bild. Eine Schwarze Frau schüttet sich Wasser ins Gesicht. Ein Kind in einem roten Fußballtrikot hüpft langsam über ein Springseil. Vor und zurück, immer wieder. Im Hintergrund der Zeitlupenaufnahmen rauschen die Worte: "Ich werde trotzdem afrikanisch sein, auch wenn ihr mich gern deutsch haben wollt und werde trotzdem deutsch sein, auch wenn euch meine Schwärze nicht passt. Grenzenlos und unverschämt. Ein Gedicht gegen die Deutsche Sch-einheit." Besagten Vers schrieb die Schwarze Aktivistin May Ayim 1990. Dieser taucht nun als Audioschnipsel im Kunstfilm "Sunsum, in Spirit" der New Yorker Künstlerin Adama Delphine Fawundu in Braunschweig auf.
Der dortige Kunstverein zeigt diese Arbeit zusammen mit 15 weiteren Werken, die Bezug auf die Gedanken des afrodeutschen Philosophen Anton Wilhelm Amo (1703-1759) nehmen. 16 Künstler und Künstlerinnen aus elf Ländern und drei Kontinenten sind Teil dieser Schau. Aufgrund der Covid-19-Pandemie hat sich die Ausstellung "The Faculty of Sensing - Thinking With, Through, and by Anton Wilhelm Amo“ von den analogen Ausstellungsräumen der Villa Salve Hospes zunächst ins Digitale verlagert. Ab Freitag, 8. Mai, soll die Schau nach Angaben des Kunstvereins dann auch physisch zu sehen sein.
Schwarzer Aufklärer mit Kolonialvergangenheit
Eine solch ausgreifende Aufarbeitung Amos gab es bisher nicht. Im taufrischen 18. Jahrhundert wird der Philosoph vermutlich im Südwesten des heutigen Ghana geboren. Es ist die Zeit, in der Portugiesen, Niederländer und andere Europäer Westafrika erbarmungslos in Territorien zerteilen. Eine Periode, in der neben Gold, Reis und Salz auch der Mensch zum Rohstoff verkommt. Jener Sklavenhandel zwingt den vierjährigen Amo vom Golf von Guinea nach Europa. Im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel wächst er unter der Obhut des Herzogs Anton Ulrich auf. Zunächst als exotisches Mitbringsel geadelt, durchläuft Amo eine geistige Bilderbuch-Karriere – erst in Halle, dann in Wittenberg und Jena. Seine Themen: Psychologie, Medizin, Philosophie.
Ehe Amo 1747/48 wieder in die Heimat zurückkehrt und in den 1750ern dort stirbt, wird er in Europa nicht nur fürstliche Hände geschüttelt haben. So hallen vor allem sein Dissertationsprojekt über Körper und Seele sowie seine pragmatische Aburteilung des Sklavenhandels nach. Flankiert und doch angeschwiegen wird Amo in der Zeit der Aufklärung vom teils offen rassistischen Immanuel Kant. Die gegenwärtige Rezeption irritiert das. Wie schafft man Zugang zu einem, der selbst als Aufklärer gilt, dessen Lebenslauf aber geprägt ist von kolonialistischen Ressentiments?
Diaspora, Wasserbilder und Stacheldraht
Visuell nährt sich die afrikanische Diaspora dieser Frage in Braunschweig etwa mit den Wasserclips von Adama Delphine Fawundu. Die Verbindung oder Nicht-Verbindung von Leib und Seele. Andere Wege schlagen Schwarz-Weiß-Fotos von Friedhöfen und parkenden Autos ein. Sie gehen auf Spurensuche, durch die Orte, in denen Amo aufwuchs oder gelebt haben könnte. Die Künstlerin Kitso Lynn Lelliott versucht sich Amo hingegen über Projektionen von ghanaischer und deutscher Natur zuzuwenden. Dem gegenüber stehen Installationen, die ganze Räume mit Nato-Draht durchziehen und auf die strukturelle Gewalt und Ausgrenzung gegenüber Schwarzen Menschen verweisen. Andere Exponate fragen explizit: „Woher wissen wir, dass die Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel Amo wie einen Sohn behandelten? Haben die Herzöge und Amo jemals gemeinsam diniert?“ Die Künstlerin Anna Dasović hat in Bezug auf Amo einen ganzen Katalog solcher Fragen formuliert und diese innen an die Fenster der Kunstvereins-Villa Salve Hospes geschrieben.
Vieles, was in Braunschweig zu sehen ist, bleibt nur für einen Augenblick abstrakt. Auf den zweiten Blick gelingt der Dialog mit Amos Hinterlassenschaft. Ein Spagat zwischen Schwarzer Identität im 18. Jahrhundert und der Gegenwart.
Der Name Amo ist hierzulande im Vergleich zu Immanuel Kant oder David Hume noch immer ein unbekannter. Auch gegen jene Schräglage sträubt sich diese Ausstellung mit aller Vehemenz. Wir bekommen hier Laster und Hürden aber zugleich Errungenschaften und Visionen Schwarzer Kultur zu sehen. Im Kopf setzen sich aber vor allem die finsteren Menschheitsübel fest: Der Rassismus, der Exotismus und letztlich auch die Marginalisierung von Schwarzem Erfindertum. Die Positionierung einer neuen Generation Schwarzer Künstler und Denker ist das, was diese Ausstellung belebt.