"Sagt nicht, dass ich die Arte Povera erfunden habe. Es ist ein so weiter Begriff, der besagt gar nichts", hat Germano Celant mal gesagt – nicht ohne Koketterie. Doch natürlich wird sein Name ewig mit Italiens einflussreichster Kunstbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg verbunden sein. Im September 1967 verwendete der Kritiker und Kurator diesen Begriff zum ersten Mal, als er in seiner Heimatstadt Genua eine Ausstellung mit den Künstlern Alighiero Boetti, Luciano Fabro, Jannis Kounellis, Pino Pascali, Giulio Paolini und Emilio Prini zeigte. Im November des gleichen Jahres führte er das Konzept in einem Artikel in der italienischen Kunstzeitschrift "Flash Art" aus, den er kämpferisch "Arte Povera – Notitzen für eine Guerilla" nannte.
Während gleichzeitig die amerikanische Pop-Art die frisch geborene Konsumgesellschaft in poppigen Farben umarmen wollte, sollte ihr italienisches Gegenstück dem Konsumismus etwas entgegensetzen. Celants Schützlinge arbeiteten mit archaischen Materialien wie unbehauenem Stein, Holz oder Stoff und kombinierten diese mit Gegenwartsmarkern wie Neon (Mario Merz) oder Spiegeln (Michelangelo Pistoletto); sie nahmen Tendenzen von Minimalismus und Konzeptkunst auf und drehten sie weiter.
Celant beschrieb sie mit ihren Readymades und ihrer hintersinnigen Ironie sehr treffend als Erben Marcel Duchamps. Es war eine Zeit, in der ganz Italien beständig von der Revolution sprach, sogar ein geborener Dandy wie Celant konnte nicht anders. Das Politische der Arte Povera äußerte sich aber weniger in den Arbeiten selbst, die eher abstrakt blieben, als in der Tendenz zum Performativen: "Arte Povera e Azioni Poveri" hieß eine weitere berühmte Ausstellung von Celant 1968 im süditalienischen Amalfi, das die Künstler mit Straßentheater und anderen öffentlichen Aktionen zur Bühne machten.
"Wir werden eine ganze Generation verlieren"
International bekannt wurden die Arte-Povera-Künstler unter anderem durch Harald Szeemann, der sie in seiner berühmten Ausstellung "When Attitudes Become Form" in Bern und später in der Documenta 5 in Kassel zeigte – die seltsamen Iglus mit den Neonzahlen von Mario Merz beispielsweise ließen manche Kommentatoren damals ratlos zurück.
2013 kuratierte Germano Celant in der Fondazione Prada in Venedig eine Art Reenactment von Szeemanns "When Attitudes Become Form" – nur eine von vielen großartigen Ausstellungen, die er für die Prada-Stiftung organisierte, deren Chefkurator er seit 1993 war. 1997 leitete er die Biennale von Venedig, in den 1980er-Jahren und 1990er-Jahren hatte er unter anderem für das Guggenheim in New York oder das Centre Pompidou einflussreiche Ausstellungen organisiert – international war der immer schwarz gekleidete Herr unbestritten der wichtigste Botschafter der italienischen Gegenwartskunst. In frischer Erinnerung ist noch seine Retrospektive von Jannis Kounellis in der Fondazione Prada in Venedig vor einem Jahr, eine Hommage an den kurz vorher verstorbenen Freund von atemberaubender, dunkler Schönheit.
"Wir werden eine ganze Generation verlieren", hatte die Arte-Povera-Expertin Carolyn Christov-Bakargiev kürzlich gesagt, als sie nach den Auswirkungen des Coronavirus gefragt wurde. Der 86-jährige Michelangelo Pistoletto hat sich kürzlich von der Infektion mit dem Coronavirus erholt. Doch Germano Celant ist, wie verschiedene italienische Zeitungen melden, der Krankheit Covid-19 heute in einem Mailänder Krankenhaus erlegen. Er wurde 80 Jahre alt.