Galerien-Rundgang

Hauptsache, die Augen bleiben frei

Endlich wieder Kunst außerhalb des Internets: In Berlin haben seit dieser Woche die Galerien geöffnet. Ein erster Post-Lockdown-Rundgang mit Maske

"Es geht wieder los!", rufe ich enthusiastisch, als ich in die Galerieräume komme. "Wie bitte?", fragt der blond gefärbte Mann hinter dem Schreibtisch. Meine Aussprache ist wohl etwas undeutlich mit dem neuen Baumwollmundschutz. Auch André Schlechtriem zieht sich seine Maske vors Gesicht. Dies ist mein erster Galerienrundgang nach dem Lockdown, und ich fühle mich fast so aufgekratzt wie Batman beim Einsteigen ins Batmobil - nur, dass auf meiner Maske Blümchen sind. 

Vor der Tür der Galerie Dittrich und Schlechtriem in der Berliner Linienstraße hat mich eine Fahne des Künstlers Simon Mullan begrüßt, mit der euphorische Behauptung: "Alles wird gut". Na ja, ganz so schnell wird’s wahrscheinlich nicht gehen. Aber immerhin: Endlich mal wieder ein Kunstwerk sehen und nicht immer nur ein digitales Abbild. Einmal in der Woche soll es bei Dittrich und Schlechtriem jetzt eine neue Pop-Up-Show mit Künstlern und Künstlerinnen der Galerie geben, immer Sonntags gibt es neue Infos.

Schlechtriem ist heilfroh, das Digitale ist für ihn kein Ersatz. Aber immerhin sei in den letzten Wochen Zeit gewesen, mal ganz in Ruhe mit Sammlern zu reden – vielleicht bleiben ja jetzt eher die Leute am Ball, die sich wirklich für Kunst interessieren, meint er optimistisch.

Passt die Realität jetzt besser zu Baselitz-Zeichnungen?

Einige Kilometer weiter im Westen öffnet auch Nicole Hackert von Contemporary Fine Arts mit Riesengrinsen wieder die Tür. Galerien sind Einzelhandel und dürfen deswegen seit Mittwoch in Deutschland wieder öffnen – zum Erstaunen von Kunstmenschen aus New York oder von anderswo: "Ich habe einige Mails und Nachrichten bekommen von Leuten, die es gar nicht fassen können, dass wir hier wieder unsere Ausstellung zeigen können", sagt Hackert. Passt die Realität der neuen Corona-Welt jetzt vielleicht noch besser zu ihren Zeichnungen von Baselitz, weil jetzt eh alles auf dem Kopf zu stehen scheint? Oder brauchen wir kein umgekehrtes Bild mehr, weil der Blick sowieso alles fremd findet?

In der oberen Etage von CFA bei der schönen Präsentation mit Faltskulpturen von Katja Strunz bleibe ich an einem Bild besonders lange hängen: Es ist eine aus Planetenbildern collagierte spitzwinklige Faltfigur, an den vier Ecken stehen die Worte "Sky“", "God", "Man" "Earth". Dieses Gleichgewicht fühlt sich fragiler an denn je.

Selten hat man so deutlich gespürt, dass Kunstwerke sich in der Begegnung mit dem Betrachter vollenden, wie im Kontext der aktuellen Situation. Bei Neugerriemschneider in der Linienstraße scheint es, als würde sich die Melancholie der dunklen, fast abstrakten Landschaftsmalerei von Andreas Eriksson noch verstärken. Und die Fotos aus den 1960er-Jahren von Sigmar Polke bei Max Hetzler in der Goethestraße werden plötzlich zum Vorboten einer Welt, in der alles toxisch erscheint.

Vielversprechende Werke mit Voodoo

Schon Polke nahm menschenleere Straßen in den Blick, auf die nur ein einsamer Schäferhund kackt. Und die vielen Fotos von ihm und seinen Künstlerfreunden, viele davon mit Doppelbelichtungen oder anderen chemischen Entwicklungstricks verfremdet, zersetzen sich gleichsam bereits selbst.

Bei Hetzler in der Bleibtreustraße schließlich tröstet der junge französische Künstler Jeremy Demester mit seinen leuchtenden Farben und bunten Figuren das Gemüt. Seine Werke sind mit Voodoo-Hilfe entstanden – vielleicht gerade eine vielversprechende Methode.

Die meisten Galeriemitarbeiter tragen (noch) keine Masken an diesen ersten Öffnungstagen, aber die Tische und Theken, hinter denen sie sitzen, garantieren den nötigen Abstand. An den ersten Tage kommen nur sehr vereinzelt Leute, bei Hetzler weist ein Schild darauf hin, dass nicht mehr als acht Personen gleichzeitig in die großen Räume dürfen. Johann König setzt die Regeln noch strenger um: Er hat ein Ticketsystem eingeführt, immer zwei Besucher sind pro halbstündigem Timeslot zugelassen – nach zwei Tagen waren die ersten Wochen schon komplett ausgebucht.  

Feenzauber ist nicht instagrammable

Natürlich komme ich zu spät zu meinem Slot und muss anrufen, damit man mir die Tür öffnet. Hinter der Blümchenmaske fühlt sich mein Atem immer feuchter an. "On a journey to myself" steht auf einem Spiegel von Jeppe Hein geschrieben – na ich weiß nicht, vielleicht bin ich jetzt auch genug zu mir selbst gereist. Von der Schau von Jorinde Voigt werde ich vor allem das Bild von den feinen Hängeskulpturen aus Goldketten im Treppenhaus mit nach Hause nehmen –  zu fein sogar für eine gute Kamera. Feenzauber ist nicht instagrammable.

So manches Foto der Ausstellung von Robert Mapplethorpe bei der Galerie Thomas Schulte wäre auch nicht für die sozialen Medien geeignet. Er zeigt die spektakulären frühen Portfolios mit Aufnahmen aus der Sado-Maso-Szene in einem intimen Kabinett, außerdem hat der Regisseur Robert Wilson eine sehr wirkmächtige Bildauswahl für den Hauptraum der Galerie kuratiert. Die Mapplethorpe-Ausstellung war im März die erste Eröffnung, zu der ich wegen der heraufziehenden Corona-Krise nicht mehr hingegangen bin. Jetzt sehe ich sie unter neuen Vorzeichen. Wilson hat die Bilder mit einem Zitat von Arthur Rimbaud kontextualisiert, Verzweiflung, Schönheit, Trauer. Das Pathos passt, denke ich. Draußen ziehe ich mir die Maske ab – endlich. Auf die Dauer ziemlich unbequem. Aber Hauptsache, die Augen bleiben frei.