Die Nachricht kam am Dienstag spätnachmittags und schlug wie eine Bombe ein: Kultursenator Klaus Lederer (Linke) ordnete an, dass, um "die dynamische Verbreitung des Coronavirus zu hemmen", "in den staatlichen Theatern, Opern und Konzerthäusern die geplanten Veranstaltungen in den Großen Sälen ab 11. März vorerst bis zum Ende der Osterferien, also bis zum 19. April 2020, nicht mehr stattfinden. Ich empfehle auch den großen Privattheatern so zu verfahren."
Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass fast sechs Wochen lang in Berlin abends kulturell quasi tote Hose herrscht, dass nichts auf den landeseigenen Bühnen wie Deutsche Oper, Deutsches Theater, Komische Oper, Konzerthaus am Gendarmenmarkt, Maxim-Gorki-Theater, Staatsoper Unter den Linden inklusive Staatsballett, Theater an der Parkaue, Volksbühne und Friedrichstadtpalast stattfinden wird. Auch kleinere Spielstätten mit weniger als 500 Plätzen, wie das Deutsche Theater mit den Kammerspielen (200 Plätze) und der Box (80 Plätze) werden schließen, wie am Donnerstag bekannt wurde. Entscheidend dafür sind die jeweiligen Vorgaben des Robert-Koch-Instituts, auf deren Basis eigenverantwortlich entschieden werden soll, ob Veranstaltungen durchgeführt werden.
Alle Kultureinrichtungen müssen aber sehen, wie sie mit dieser neuen Situation umgehen. "Man kann keine langfristigen, detaillierten Pläne machen", so Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters und Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Besonders hart trifft es etwa die Schaubühne, die ihr Festival für neues Theater, F.I.N.D, "schweren Herzens" absagen musste, denn es "lebt von den Produktionen, die gezeigt werden, ebenso wie von den Begegnungen und dem Austausch zwischen dem Publikum und den Künstlern, den internationalen Gastspielgruppen untereinander, von der Möglichkeit, für zehn Tage in neue Theatererfahrungen einzutauchen."
Es herrscht große Enttäuschung
Die große Zahl von Gästen aus vielen Ländern der Welt und der enge FIND-Spielplan führen regelmäßig dazu, dass sich mehr als 1.000 Personen in der Schaubühne aufhalten. Hier ist kein Ersatz möglich, doch manch andere Produktion wird sich bestimmt zu einem späteren Zeitpunkt nachholen lassen. Ganz einfach wird diese Aufgabe für die Künstlerischen Betriebsbüros freilich nicht werden, denn Regisseurinnen und Regisseure, Sängerinnen und Sänger und Gäste aus anderen Branchen sind übers Jahr in allen möglichen Städten engagiert.
Wer wird dann etwa die Neuinszenierung von "Antikrist" von Rued Langgaard an der Deutschen Oper betreuen, wenn der viel beschäftigte Regisseur Ersan Mondtag längst an einem anderen Theater arbeitet? "Vorstellung abgesagt", steht jetzt lapidar auf der Homepage, und mehr kann man wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt auch nicht mitteilen. "Wir proben weiter", betonte Intendant Dietmar Schwarz in der Abendschau des RBB, aber unter den Künstlern herrsche "große Enttäuschung".
Eine technische Lösung versucht man im Hebbel am Ufer (HAU), wo man sich entschloss, die Veranstaltung "'El estado opresor es un macho violador' – Von Chile über Indien bis Deutschland – Geschichten von Frauen und Gewalt" ohne Publikum stattfinden zu lassen und einen Livestream eingerichtet hat.
So soll das Publikum zu Hause erreicht werden. Diese Möglichkeit wird vielleicht auch von anderen Bühnen aufgegriffen werden, nach dem Modell der "Digital Concert Hall", mit der die Berliner Philharmoniker ausgewählte Konzerte vermarkten. Daniel Barenboim etwa wollte einen Beethoven-Sinfonien-Zyklus in der Philharmonie aufführen, die jetzt allerdings geschlossen ist. Unklar ist derzeit, ob Streamings eingerichtet werden.
2,1 Millionen Euro Umsatz fallen weg
Live übertragen wird allerdings ein Konzert der Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle mit den Vocalsolisten Stuttgart, das kostenlos weltweit zu sehen sein wird. Sind die Maßnahmen sinnvoll, große Veranstaltungen in Innenräumen erstmal abzusagen? Kann man sich nicht morgens in der S-Bahn eher anstecken als abends in der Philharmonie?
"Das wird man erst hinterher wissen", sagt Bernd Schmidt, Intendant und Geschäftsführer des Friedrichstadtpalastes, in den etwa 1.900 Personen passen. Das kleine Call-Center des Hauses mit zehn Mitarbeitern pro Schicht muss nun die bereits verkauften Karten zurückerstatten, immerhin 40.000 Tickets, das nennt er "eine Herkules-Aufgabe". Eine ebensolche wird es sein, die rund 2,1 Millionen Euro Umsatz wieder einzunehmen, die damit wegfallen.
Betroffen sind von der Flaute im Kulturbetrieb neben den Institutionen wegen der Einnahmeausfälle natürlich zum Beispiel auch die Medien, die mit Rezensionen, Porträts, Interviews neue Produktionen begleiten. Bestritten werden diese Beiträge von vielen freien Journalistinnen und Journalisten, für deren Auftragsverluste niemand aufkommen wird.
Ein Stadtmagazin wie der "tip", der sein Angebot auf Kultur und Ausgehen konzentriert, kann trotz der Einschränkungen im öffentlichen Leben nicht mit weißen Seiten erscheinen, ebensowenig wie es die Feuilletons in den anderen Printmedien tun werden. Und eine Sendung wie "aspekte" kann nicht dauern nur über Corona berichten.
Zeit für kooperativen Kulturförderalismus
So zeigt sich der Deutsche Kulturrat über die Situation freiberuflicher Künstlerinnen und Künstler und anderer Selbstständiger aus dem Kultur- und Medienbereich besorgt, die sich meist unter prekären Umständen und ohne Rücklagen durchschlagen. Geschäftsführer Olaf Zimmermann forderte deshalb Staatsminister Bernd Sibler und Kulturstaatsministerin Monika Grütters auf: "Jetzt können Bund und Länder beweisen, dass sie es mit dem kooperativen Kulturföderalismus ernst meinen. Ein gemeinsamer Notfallfonds von Bund und Ländern könnte rasch und unbürokratisch betroffenen Künstlerinnen und Künstlern aus der Not helfen." Inzwischen hat Grütters Hilfe angekündigt.
Abgesehen davon werden alle Medien überdies unter dem Rückgang von Anzeigen zu leiden haben, denn wer will jetzt für neue Filme, Restaurants, Konzertreisen werben? Steht also mit dem Berliner Kulturleben das deutsche Kulturleben insgesamt still?
Der Regisseur Christopher Rüping (Jahrgang 1985) schrieb dazu auf Twitter: "Es ist übrigens das erste Mal in meinem Leben oder zumindest das erste Mal, seit ich denken kann, dass die Theater für mehrere Wochen schließen. Die Vorstellung all der schweigenden Bühnen, der leeren Zuschauersessel, der kalten Scheinwerfer ist Dystopie pur."
Ulrich Khuon wiederum, der sich als "grundsätzlicher Optimist" bezeichnet, meinte im Kulturmagazin "Fazit": "Wir können nicht wissen, was morgen oder übermorgen ist“ – obwohl wir das gern vergessen. Doch "wenn die realen Orte des Zusammenkommens ausfallen", also die Kultureinrichtungen, die Kinos und gewiss auch die Stadien, "tut das der Gesellschaft nicht gut."