Der österreichische Künstler Erwin Wurm hat die Gabe, altehrwürdige Orte mit seinen lakonisch-staubtrockenen Skulpturen zu brechen. Ein fettleibiges Auto oder eine riesige Gewürzgurke nimmt noch dem heiligsten Ort seine Schwere. Nun hat der Bildhauer das Fastentuch für den Wiener Stephansdom gestaltet, mit dem während der christlichen Fastenzeit von Aschermittwoch bis Ostern der Altar und dessen figürliche Darstellungen verhängt werden.
Wurms "Tuch" kommt jedoch in Form eines 80 Quadratmeter großen und 300 Kilo schweren zartlila Strickpullis daher, der nun im prächtigen gotischen Kirchenraum von der Decke hängt. Für den Künstler soll der Oversize-Pullover "wärmende Nächstenliebe" symbolisieren. Außerdem steht vor dem Dom-Eingang eine enorme Wärmflasche mit Füßen, die ebenfalls Wärme in der kargen Fastenzeit verbreiten soll. Titel der Skulptur: "Big Mutter".
Bei der Einweihung seiner sakralen Ausstellung sagte Erwin Wurm, dass er oft in den Stephansdom komme - nicht unbedingt zum Beten, sondern wegen der Architektur. Und Wurm wäre nicht Wurm, wenn sich sein Fastentuch-Pullover nicht auch doppeldeutig lesen ließe. Kleidung kann schließlich nicht nur wärmen, sondern auch - genau wie religiöse Dogmen - kratzen und viel zu eng sein.