Sebastian Kretzschmar und Jan Thomaneck, in der vergangenen Woche eröffnete Ihre Ausstellung "Botta e risposta" in der Villa Massimo in Rom, in der Sie derzeit als Stipendiaten sind. Für die Ausstellung haben Sie die Arbeit "How to Do Things With Words" aus dem Jahr 2016 noch einmal auf Italienisch produziert. Darin werden Absagen für Stipendien und Förderungen verlesen, die Sie in den vergangenen Jahren schriftlich bekommen haben, unter anderem von der Kulturstiftung des Freistaates Sachen, der Stadt Recklinghausen oder von der Jury des Marion-Ermer-Preises. Gab es eine ausschlaggebende Absage, einen Auslöser für diese Arbeit?
Das nicht. Die Absagen haben sich über die Jahre angesammelt. Wir empfanden die Formulierungen immer als sehr interessant. Oft wurde uns viel Erfolg gewünscht oder wir wurden ermutigt, uns nochmal zu bewerben oder weiter künstlerisch zu arbeiten. Aber Absage bleibt Absage. Eines der Kerninteressen in unserer künstlerischen Arbeit ist Sprache. Alle Arbeiten in der Ausstellung basieren darauf. Für die Audioarbeit haben wir 20 Absagen zusammengesucht und von einem Schauspieler einsprechen lassen. Die Häufung macht besonders deutlich, welche Sprache benutzt wird, um dieses Schlusswort des Bewerbungsdialogs zu formulieren. Mit dieser Arbeit spielen wir diesen Dialog ein Stück weit zu unseren eigenen Bedingungen zurück.
In der Arbeit ist auch eine Absage der Villa Massimo zu hören ...
Für dieses Stipendium hatten wir uns im Jahr 2012 schon einmal beworben. Jetzt hat es zum Glück geklappt, und wir sind als Repräsentanten Deutschlands in Rom. Es erschien uns sinnvoll, die erste Absage hier offenzulegen und diesen Aspekt des Alltags als Künstler zu thematisieren. Die Arbeit umfasst eine bestimmte Zeitperiode. Wir haben uns vor allem zum Ende des Studiums und nach unserem Diplom im Jahr 2006 um Arbeitsstipendien und Auslandsaufenthalte beworben. Ab einem gewissen Alter schließen sich Stipendien und Preise aus. In diesem Feld verliert man als bildender Künstler mit 35 Jahren den Jugendbonus.
Die magische Grenze bei derartigen Ausschreibungen liegt tatsächlich oft bei 35 Jahren. Wie wichtig sind Stipendien als Möglichkeit, sich als junge Künstler zu finanzieren, gerade auch in Relation zu anderen Einnahmequellen, etwa Verkäufen oder Lehrtätigkeiten?
Ökonomisch gesehen waren Stipendien für uns nur marginal bedeutsam, weil wir uns die Stipendien, die wir bekommen haben, immer geteilt haben. Am Anfang waren wir noch zu dritt, seit einigen Jahren arbeiten wir zu zweit. Für uns waren sie dennoch wichtig, vor allem im ideellen Sinne, denn ein Stipendium ist immer auch Bestätigung und Ermutigung dazu, weiterzumachen.
Bewerbungen machen viel Arbeit. Wie viel Zeit und Geld muss man durchschnittlich für eine Stipendiums-Bewerbung investieren?
Das ist sehr unterschiedlich. Zum Teil muss man eine konkrete Projektidee oder ein Arbeitsvorhaben ausarbeiten. Es werden zudem Ausstellungskataloge gefordert, oder man muss sein Portfolio ausdrucken. Das kostet. Bei internationalen Stipendien wird manchmal sogar eine Teilnahmegebühr aufgerufen. Vor allem kosten Bewerbungen Zeit, die nicht bezahlt wird. Das merkten wir auch bei Studierenden im Rahmen unserer Lehrtätigkeiten. Es ist angesichts der Massen, die sich um einzelne Stipendien bewerben, fast aussichtslos und viele überlegen sehr genau, ob der Aufwand lohnt.
Wenn man mehrere Wochen im Jahr mit Bewerbungen verbringt, wird das zum ökonomischen Faktor.
Absolut. Am Anfang hat man noch viel Energie und Motivation dafür. Bei uns wäre das zeitlich heute gar nicht mehr machbar.
Wie könnte das deutsche Stipendienwesen für die kommenden Generationen aus Ihrer Sicht verbessert werden?
Für uns war es immer wieder schwierig, sich als Künstlertrio, beziehungsweise jetzt als Duo zu bewerben. Es kam zum Beispiel vor, dass wir in eine andere Sparte als die bildende Kunst gepackt oder von Vornherein aus dem Verfahren ausgeschlossen wurden. Das könnte man vereinfachen und anpassen, zumal kollektive künstlerische Praxis zunimmt. Auch dafür, dass wir uns, wenn es denn geklappt hat, das Stipendium teilen mussten, könnte es eine Lösung geben. So wie inzwischen einige Stipendien spezielle Familiensituationen entsprechend finanziell berücksichtigen.
Wobei es doch nach wie vor schwer ist, Stipendien und Familie zu vereinen, schon allein aufgrund fehlender räumlicher Möglichkeiten. Insbesondere mit schulpflichtigen Kindern heißt das, dass die Partnerin oder der Partner für mehrere Monate mit den Kindern zu Hause bleibt und die Familienarbeit leisten muss.
Das ist tatsächlich oft so. Die Villa Massimo könnte in diesem Punkt Vorbild sein: Einer von uns hat Kinder, und es wäre undenkbar, zehn Monate von ihnen getrennt zu sein. Uns wurde ausdrücklich kommuniziert, dass Familien mitkommen können. Das ist räumlich möglich und wir wurden dabei unterstützt, einen Schulplatz zu finden. Das ist ein absolutes Privileg.
Wurde auch die monatliche Stipendiensumme von 2.500 Euro Bargeld verdoppelt oder an die Familiensituation angepasst?
Nein. Wir teilen uns das Atelier und auch das Geld. Aber jeder hat sein eigenes Zimmer bekommen.
Seit September 2019 sind Sie in Rom, haben das renommierteste deutsche Stipendium für Künstler mit "außergewöhnlichen Qualifikationen und großem Talent" bekommen. Wie sieht Ihr Alltag in der Villa Massimo aus? Kommt man da an, bezieht das Atelier und wartet auf Inspiration?
In gewissem Sinne ja! Die letzten zwei Jahre waren intensiv, und wir haben uns in Rom erst mal Zeit genommen, durchzuatmen. Wir mussten uns auch erst einmal umstellen, haben hier Wohnung und Atelier in einem. Und in Rom möchte man natürlich auch viel sehen. Wir sind komplett raus aus unserem Alltag. Wir arbeiten seit vielen Jahren zusammen und haben unseren festen Arbeitsablauf mit Atelier auf dem Spinnereigelände in Leipzig. Wir sind durchaus kalvinistisch veranlagt, gehen in Leipzig früh ins Atelier und bleiben bis abends dort. Das Stipendium in Rom ist für uns ein Moment der Kontemplation. Wir schauen auf das, was wir bisher gemacht haben und überlegen, wo es hingehen kann. Das ist eine besondere Situation, die wir auch genießen.
Das klingt nach einem Künstler-Kloster. Sie haben aber auch gearbeitet, für die Ausstellung neue Werke produziert.
Rom ist ein Eldorado an Typografie und Inschriften, zwei Themen, mit denen wir uns schon länger beschäftigen. "U and I" ist in Rom entstanden. Normalerweise erinnern die in Marmor gravierten Inschriften an die Lebensdaten und Taten einflussreicher Personen. In unserem Fall sind es jedoch sehr zeitgenössische Aussagen, die wir im Sinne von Akronymen in Gipskarton realisiert haben, also in einem zeitgenössischen, günstigen Material. Wir haben eine ältere Neon- Arbeit "We Are On Fire", aus 2014, noch einmal neu inszeniert und dafür die komplette Decke des Ausstellungsraumes in Anlehnung an eine Freskomalerei eingebunden. Neu ist die Arbeit "No Reason, No Need, No Urgency", Textildrucke auf Handtüchern. Das ist ebenso eine Metapher des Entblößens. Wir beide gehen an Grenzen, auch in der Zusammenarbeit. Das hat was Körperliches und ist zugleich eine bildliche Metapher, die vielschichtig lesbar ist.
Auch im Sinne des Ausstellungstitels? „Botta e risposta“ heißt auf Deutsch so viel wie "Schlagabtausch".
Wir beide arbeiten logischerweise im ständigen Austausch und haben die Bedingungen des Dialoges zum Ausgangspunkt für die Ausstellung genommen. Es geht ums Sagen und Erwidern. Einer gibt etwas vor, der andere antwortet. So entstehen unsere Arbeiten. Alle Arbeiten in der Ausstellung weisen diese Dialogstruktur auf. Das war für uns das verbindende Element, im Sinne eines Schlagabtauschs. Das ist ebenso als Klammer zu verstehen wie die Audioarbeit zu den Absagen, die wir in Deutsch und neu produziert in Italienisch zeigen.
Ist eine solche Ausstellung der Stipendiaten Pflicht oder ein Wunsch von Ihnen?
Die Ausstellung ist kein Muss. Schon seit letztem Jahr gab es die Überlegung, die Galerie der Villa auch für Ausstellungen der Stipendiaten stärker zu nutzen. Julia Draganović ist seit letztem Jahr Direktorin der Villa Massimo und hat uns bildende Künstler gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, die Galerie zu bespielen. Alle haben dem zugestimmt und jetzt gibt es bis Juni einen Ausstellungszyklus der vier bildenden Künstlerinnen und Künstler, die gerade hier sind. Wir haben den Auftakt gemacht. Für die Autorin, den Autor und die Komponisten gibt es ebenfalls entsprechende Aufführungen, Lesungen und Konzerte. Das ist das erste Mal, dass sich die Stipendiaten außerhalb des Sommerfestes und des Open Studios in dieser Form präsentieren können.
Wie geht es nach Rom für Sie weiter?
Wir sind noch bis Ende Juni hier. Dann gehen wir erst einmal zurück nach Leipzig. Es wird uns sicher schwer fallen, in den Alltag zurück zu finden. Wir sind optimistisch, dass uns das gelingt, denn wir nehmen von hier sehr viel Kraft und Inspiration mit.
Ihren Erfahrungen nach zu urteilen, sind Stipendien trotz aller Nachteile sinnvoll und wichtig. Fehlt es in Deutschland an einer Lobby für Künstler, die sich dafür eingesetzt, dass Stipendien sich individuellen Bedürfnissen besser anpassen?
Das ist natürlich auch immer eine Frage des Budgets, was Stiftungen zur Verfügung stellen können. Künstlerverbände könnten das Thema sicher stärker auf die Agenda setzen. Auch jeder Einzelne kann in seinen Erfahrungsberichten, die nach Stipendien oft verfasst werden müssen, solche Bedürfnisse formulieren und Änderungswünsche adressieren. Es geht darum, immer wieder auf die Problematik aufmerksam zu machen, so wie wir es bestenfalls mit der künstlerischen Audioarbeit und nun mit diesem Interview getan haben.