Im mehrfach ausgezeichneten Satirefilm "The Square" von 2017 werden die Abgründe der Kunstwelt persifliert: ihr kompromissloser Geltungsdrang, ihre privilegienblinde Egozentrik. Der Film des schwedischen Regisseurs Ruben Östlund verfolgt den Kurator Christian durch eine von einem kontroversen Werbeclip ausgelöste PR-Krise. Beworben wird in dem Video das titelgebende Kunstwerk, ein weißes Quadrat auf dem Boden eines öffentlichen Platzes, das allen Menschen als gleichberechtigter Zufluchtsort dienen soll. Die Arbeit "The Square" wird im Laufe des Films immer wieder der Künstlerin Lola Arias zugeschrieben – im offiziellen Trailer wird ihr Name bei einem Empfang verlesen, im Verlauf des Films fällt ihr Name mehrere Male und im Abspann taucht sie als Urheberin des Werks auf. Die Künstlerin selbst hat diese Zuschreibung nie autorisiert und ist mit ihr nicht einverstanden – nun geht sie gesetzlich dagegen vor.
Lola Arias, Sie verklagen den schwedischen Regisseur Ruben Östlund, weil er Sie in seiner Kunstwelt-Satire "The Square" als Autorin des titelgebenden Kunstwerks nennt. Wie kam es dazu?
Das Ganze begann 2015 oder 2016, als ich eine E-Mail von der Produktionsfirma Plattform erhielt, in der man mich fragte, ob ich Interesse daran hätte, eine Rolle in einem Film von Ruben Östlund zu spielen. Ich antwortete, dass ich als Künstlerin zwar manchmal auch selbst performe, aber dass ich keine ausgebildete Schauspielerin bin und nicht an Film-Vorsprechen teilnehme. Daraufhin erhielt ich die Antwort, dass man eine tatsächliche Künstlerin für die Rolle einer Künstlerin in dem Film wolle. Das fand ich interessant. Sie schickten mir das Script, in dem es eine Figur namens Natalia gab, die Künstlerin, von der das Werk "The Square" stammt. Nach einem ersten Skype-Gespräch schrieben sie mir, dass sie mich für die Rolle wollten. Ursprünglich sollte ich für den Dreh nach Stockholm reisen. Wir koordinierten unsere Termine und legten ein Datum fest.
Dieser Dreh fand allerdings nie statt.
Genau. Einen Monat später erhielt ich die Nachricht, dass sich Ruben nicht mehr ganz sicher sei. Ab dem Punkt wurde es seltsam. Er wolle noch einmal mit mir skypen, um auszuprobieren, wie die Szene mit mir als Schauspielerin am besten gedreht werden kann. Seine Assistentin meinte, es sei noch unklar, ob das Skype-Gespräch auch in den Film einfließen würden. Für das fünfstündige Gespräch würde ich so oder so bezahlt werden. In dem Gespräch unterhielten wir uns über eine Reihe von Themen, und zwischendurch gab es Momente, in denen Ruben mich interviewte. Das war komisch – normalerweise spielt man ja mit einem anderen Schauspieler, nicht mit dem Regisseur, und auch nicht via Skype. Ich war etwas verwirrt und unsicher, wann wir tatsächlich drehten und wann wir uns einfach unterhielten. Manchmal erklärte er mir etwas über den Film, dann fragte er plötzlich: "Woher kam die Idee für 'The Square'?" Er wollte, dass ich improvisiere, ich musste also mit meinen eigenen Worten ein Kunstwerk verteidigen, das nicht mein eigenes war.
Wie fühlten Sie sich dabei?
Ich fühlte mich nicht sehr wohl. Ich fragte mich: Was ist dieses Spiel, was ist meine Position? Im Anschluss an das Gespräch schickte ich eine Mail an Ruben und das Produktionsteam, dass ich ein ungutes Gefühl hatte und wissen wolle, was mit dem Material passieren würde. Der Produzent antwortete, Ruben brauche noch etwas Zeit, um darüber nachzudenken, man werde sich bei mir melden. Das war der letzte Kontakt, den ich mit ihnen hatte. Ich dachte mir: Okay, dann haben sie sich wohl gegen mich entschieden. Etwas unhöflich, mir nicht abzusagen, nachdem ich monatelang mit ihnen in Kontakt stand, aber gut.
Dann feierte der Film in Cannes Premiere.
Ein argentinischer Journalist schrieb in einem Artikel darüber, dass die Künstlerin Lola Arias circa sechs mal als Autorin des titelgebenden Kunstwerks genannt wird, selbst aber nicht auftauche. Ich dachte mir: Was? Wir hatten kein einziges Mal darüber gesprochen, dass mein Name im Film vorkommen würde, im Script stand der Name Natalia. Bis zu dem Punkt, an dem ich den Film zum ersten Mal sah, war ich vor allen Dingen verwirrt. Danach war ich stocksauer. In den E-Mails wurde mir das Ganze als künstlerische Kollaboration verkauft, ich sollte gemeinsam mit Ruben Östlund eine Idee entwickeln, und plötzlich wurde ich stattdessen wie Dreck behandelt. Mein Name wurde aus dem Kontext gerissen und ich wurde zum Urheber eines im übrigen sehr schlechten Kunstwerks gemacht, das nicht mein eigenes ist.
Was stört Sie an dem Kunstwerk "The Square"?
Es ist ein ironischer Verschnitt sozial engagierter Kunst. "Lasst uns einen utopischen Ort schaffen, an dem wir Rechte und Pflichten teilen" – das ist eine sehr naive Idee, deren Autorin ich plötzlich war.
Wie wirkte sich das auf Ihren Ruf aus?
Kuratoren, Festival-Leiter, andere Künstler schrieben mir plötzlich: Wann hast du dieses Kunstwerk gemacht? Plötzlich tauchte es auf meiner Wikipedia-Seite unter meinen Werken auf. Es ist ein sehr komplexes Urheberrechts-Problem. Meine Arbeit wurde mir nicht gestohlen, stattdessen wurde mir eine zugeschrieben, die nicht von mir stammt.
Wie ging es dann weiter?
Ich schickte Ruben eine E-Mail: "Ich verstehe nicht, was passiert ist. Warum wird mein Name ohne meine Zustimmung verwendet?" Ich wollte ihm und dem Studio die Möglichkeit geben, sich zu entschuldigen und erklären und eine Unterhaltung einzuleiten. Seine Antwort war lediglich, es tue ihm leid zu hören, dass ich davon nichts wusste, und er habe gedacht, ich sei informiert worden. Keine Entschuldigung für seine eigene Handlung, keine Erklärung, keine Verantwortung. Dann wurde ich richtig wütend. Die ganze Situation machte für mich keinen Sinn, ich wollte sie primär verstehen. Aber dann dachte ich mir: "Was zur Hölle denkst du, wer du bist? Dass du mit anderen Künstlern einfach machen kannst, was du willst?” Ich redete mit anderen Künstlern und Freunden und fasste den Entschluss, etwas zu tun. Ich wandte mich an meinen Anwalt Jakob Braeuer, der Experte für Kunst- und Urheberrecht ist.
War ihm ein solcher Fall schon mal untergekommen?
Nein, deshalb war er sehr interessiert. Er hatte viele Fälle, in denen es um die kommerzielle Nutzung von Werken eines Kunstschaffenden ging, beispielsweise für Werbekampagnen, aber so etwas noch nie.
Haben Sie, seitdem Sie mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gingen, etwas von Herrn Östlund oder der Produktionsfirma gehört?
Nein, ich habe nichts mehr von ihnen gehört. Lediglich von Rubens Anwälten, die weiterhin auf seiner Kunstfreiheit beharren.
In einem Text, den Sie 2018 in der schwedischen Tageszeitung "Dagens Nyheter" veröffentlichten, schreiben Sie, dass Ihre eigentliche Rolle in dem Film nicht die der Künstlerin ist, sondern des kleinen Jungen, den der Protagonist Christian zu Unrecht beschuldigt, sein Handy geklaut zu haben. Können Sie das genauer erklären?
Ich empfand den gleichen Ärger wie dieses Kind. Es will einfach eine Entschuldigung, weil er einer Sache bezichtigt wurde, die er nicht getan hat. Mir ging es genauso: Ich habe dir meine Zeit und meine künstlerische Kraft zur Verfügung gestellt und du benutzt mich einfach und entschuldigst dich nicht einmal. Was für eine verdammt paternalistische Haltung hast du schwedischer Mann gegenüber mir, einer lateinamerikanischen Frau? Denkst du, du tust mir damit einen Gefallen? Ich brauche diese Art von Öffentlichkeit nicht. Ich fühlte mich beleidigt und in gewisser Weise missbraucht. Warum war ich so dumm, so offen und neugierig? Ich wollte, dass Ruben Östlund sich öffentlich entschuldigt.
Die spanische Zeitschrift "Fotogramas" hat ein Interview veröffentlicht, in dem Ruben Östlund Ihnen das Werk sogar erneut zuschrieb.
Da dachte ich mir: Was ist das für ein Spiel? Warum willst du diese Verwirrung stiften? Er hätte jeden Namen nehmen können. Warum meinen?
Es ist interessant, dass er sich gerade Sie herausgepickt hat. Keinen internationalen Superstar, sondern eine im dokumentarischen Theater verortete Künstlerin, deren Namen viele Kinobesucher im Film zum ersten Mal hören.
Ich glaube, seine Herangehensweise an Kunst ist einfach ignorant. Er kannte meine Arbeiten nicht, weder meinen Film "Theatre of War" noch meine Installationen und Stücke. Wahrscheinlich wollte er einfach eine Künstlerin, die irgendetwas mit sozial engagierter Kunst macht, die mit realen Menschen arbeitet. Wenn er sich intensiver mit mir auseinandergesetzt hätte, wäre seine Art meinen Namen zu nutzen intelligenter gewesen. Mich überrascht auch, dass dieses Kunstwerk “The Square” tatsächlich existiert und von ihm selbst stammt. Hat er dieses schlechte Kunstwerk nur geschaffen, um sich über die Kunstwelt lustig zu machen, oder hat er vielleicht wirklich daran geglaubt? Er hat es 2015 gemeinsam mit dem Produzenten Kalle Boman tatsächlich produziert und als Studie für den Film als Kunstwerk ausgestellt.
Konnten Sie die Kritik an der Kunstwelt, die Östlund im Film äußert, nachvollziehen?
Ich halte seine Kritik für sehr populistisch und unterkomplex. Man zeigt ein schönes Museum und in der nächsten Einstellung Obdachlose. Das ist sehr schwarz-weiß. Es ist einfach, sich über den Markt und das Geschäft mit der Kunst zu beschweren. Das Spannendste am ganzen Film ist tatsächlich diese Beziehung zwischen Christian und dem kleinen Jungen, über den wir eben geredet haben. Aber in dieser Situation hätte der Protagonist genauso gut Bankier sein können, es geht eher um die Klassenstrukturen.
Sie selbst arbeiten ebenfalls immer wieder mit realen Personen und Biografien.
Ich arbeite seit fast 20 Jahren so. Ich begann als Autorin, machte dann Theater, Videoinstallationen, einen Film. Zum Beispiel gab es diese Videoserie, in der präsidiale Fernseh-Reden aus der Zeit der Diktatur nachgespielt werden. Die Darsteller waren Argentinier, deren Leben auf verschiedene Weisen von der Diktatur beeinflusst wurden – ein Mitglied der Militärregierung, der Sohn einer Person, die aufgrund der Diktatur verschwand, ein Kriegsveteran. Für meine letzte Arbeit, "Futureland", arbeitete ich mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten zwischen 14 und 18 Jahren aus Afghanistan, dem Irak, Guinea und vielen weiteren Ländern. Sie sind Überlebenskünstler, die quasi die ganze Welt überquert haben, um hierher zu kommen. Gemeinsam mit einem Videokünstler und einem 3D-Designer habe ich den bürokratischen Prozess des Asylverfahrens in ein solches Science Fiction-Videospiel übersetzt, wie sie alle es in ihrer Freizeit gerne spielen. Das ganze Stück über interagieren sie mit digitalen Avataren wie Sozialarbeitern und Angestellten der Ausländerbehörde.
Welche Maßnahmen treffen Sie bei solchen Projekten, um die Ausbeutung von persönlichen Schicksalen zu vermeiden?
Die Menschen müssen das Gefühl haben, respektiert zu werden und Teil des Ganzen zu sein. Im Theater kann man anders als Film nichts zusammenschneiden, man kann den Leuten ihre Worte nicht wegnehmen. Wenn man mit ihnen an einem Stück basierend auf ihren Erfahrungen arbeitet, schreibt man ihre Geschichte in gewisser Weise um. Aber letzten Endes sind sie es, die auf der Bühne stehen. Wenn sie sich mit dem, was sie sagen, nicht wohlfühlen, funktioniert das Ganze nicht. Eine Beziehung mit den Menschen aufzubauen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen ist so ein wichtiger Teil des Ganzen. Manchmal dauert es ewig, weil man jedes einzelne Wort verhandeln muss. Es sind ihre Geschichten, aber es sind meine Arbeiten. Am Ende müssen wir uns beide repräsentiert fühlen, und das geht nur mit gegenseitigem Respekt und Verständnis. Ich lerne dabei viel, meine Arbeit wird durch die Ideen anderer transformiert.
Also eher eine Kollaboration ...
Ja, es ist eine Kollaboration. Deshalb kann ich nicht glauben, dass ausgerechnet mir so etwas passiert ist. Ich war so naiv und offen – vielleicht weil ich davon ausging, dass andere Menschen auch so arbeiten wie ich. Dass sie Dinge mit mir diskutieren, Versionen mit mir absprechen. Meiner Meinung nach ist es ein künstliches Dilemma, wenn der Anwalt sich auf Ruben Östlunds Kunstfreiheit beruft. Wenn man mit anderen Personen zusammenarbeitet, muss Kunstfreiheit immer mit der Verantwortung gegenüber anderen einhergehen.