Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Hermann Hesses Worte gelten wohl auch für Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, die als Doppelspitze die Berlinale-Leitung von Dieter Kosslick übernommen haben. Was Alfred Bauer angeht, der das Festival vom Gründungsjahr 1951 bis 1976 leitete, muss man wohl von "faulem Zauber" sprechen. Denn "Die Zeit" hat nun enthüllt, dass Bauer (1911-1986) ein hochrangiger Funktionär der NS-Filmbürokratie war.
Der Jurist und Kunstwissenschaftler war laut "Zeit"-Recherchen in der von Joseph Goebbels 1942 eingerichteten Reichsfilmintendanz tätig und überwachte die personelle Seite der NS-Spielfilmproduktion. Bisher wusste man nur, dass Bauer in der Reichsfilmkammer tätig war. Nach dem Krieg hatte der Berlinale-Chef behauptet, er sei 1943 aus der NSDAP ausgetreten und bereits 1938 aus der SA – für beide Aussagen ließen sich laut "Zeit" aber keine Belege finden. Gegenüber den Entnazifizierungsbehörden stritt Bauer ab, dass er für die Reichsfilmintendanz arbeitete, später stilisierte er sich als "inneren Widerständler und widerwilligen SA-Mann", schreibt "Zeit"-Redakteurin Katja Nicodemus.
Die Berlinale zieht nun Konsequenzen. Der Alfred-Bauer-Preis, ab 1987 vergebener Silberner Bär, den Nora Fingscheidt, Agnieszka Holland, Lav Diaz oder Andres Veiel bekommen haben, wird von nun an nicht mehr verliehen. Und auch eine Publikation wird verschoben, die eigentlich während des Festivals vorgestellt werden sollte – ein offenbar lückenhaftes Buch des Filmhistorikers Rolf Aurich zu Alfred Bauer und den Berlinale-Anfängen. So zitiert Aurich zwar aus einem Dokument der GAU-Leitung Mainfranken, aber nicht jenen verräterischen Satz über Bauer: "Er war ein eifriger SA-Mann."