Kunstfigur Hatsune Miku

Sing meinen Song

Eigentlich sollte die Manga-Figur Hatsune Miku nur eine Musik-Software promoten. Inzwischen ist das Mädchen mit den türkisen Zöpfen ein weltweit gefeierter Popstar - der immer nur so gut ist wie seine Fans

Na schön, die vielen Popsternchen am Musikhimmel, die da auf den Bühnen trällern, schreiben ihre Songs auch nicht zwangsläufig selbst. Irgendjemand kassiert verflucht viel Geld dafür, die Sternchen je nach Image- und Marketingstrategie marionettengleich durchzuproduzieren. Irgendjemand legt fest, wie so viele gefeierte Idole aussehen, wo sie aufkreuzen, welche Instagram-Fotos sie posten, was sie singen, sagen, essen, denken. An solche Inszenierungen haben wir uns längst gewöhnt. Aber das da?

Das da ist Hatsune Miku, kommt aus Japan, und ist ein ziemlich heller Popstern. Sexy Schuluniform wie einst Britney Spears, türkisfarbene Haare wie manchmal Billie Eilish. 1,58m groß, 42 Kilo schwer, 16 Jahre alt. Übrigens schon seit 2007 zarte 16 Jahre alt, denn was für die Industrie sehr praktisch ist: Hatsune Miku altert nicht.

Mittlerweile hat die Manga-Figur über 100.000 Lieder gesungen, etliche Werbeclips gedreht, ist durch die Welt getourt, hat in einer Oper gesungen, die Liveshows von Lady Gaga supportet und die Show von Talk-Legende David Letterman aufgemischt. Profan gesagt hat sie ihren Schöpfern sicherlich ein Heidengeld eingebracht. Hatsune Mikus Fans sind die Sorte kaufkräftige Zielgruppe, die vor allem am Merchandise-Stand ausrastet.


Hatsune Miku ist mehr als nur eine Kunstfigur. Oder weniger, je nach Blickwinkel. Hatsune Miku ist eine Computeranimation, erschaffen auf dem Zeichenbrett des Manga-Zeichners Kei Garou, um als Werbefigur eine Software zu promoten. Das Programm heißt "Vocaloid" und ist ein Sprachsynthesizer, der Gesang imitiert. Die Nutzer geben Text und Melodie vor und suchen sich dann einen von sechs Charakteren, beziehungsweise eine Stimmlage aus, um den erstellten Song zu präsentieren. Die beliebteste Stimmlage ist, na klar, kawaii, also süß oder niedlich, weil sich kawaii nun mal am besten verkaufen lässt.

Für den flüsternden, seufzenden Säuselsound ist Hatsune Miku zuständig. Ihre Lieder denkt sich die Fangemeinde aus, entsprechend schwankt das Talent. Nur den Gesang, den liefert das gezeichnete Schulmädchen immer strebsam und blitzsauber ab. Crypton Media Future, die Firma hinter der Software, gibt dann die neuen Songs frei und veröffentlicht die besten davon auf einem Label. An die 4000 Lieder sind es inzwischen.

Und die kann man am Montag, 20. Januar, auch in der Verti Music Hall in Berlin hören. Oder wenigstens eine Auswahl davon. Dann steht der internationale Superstar Hatsune Miku bei einem exklusiven Deutschlandkonzert auf der Bühne. In Form eines riesengroßen bunten Pixelhaufens, der im April auch das Coachella-Festival in Kalifornien erobern soll.

Die Fans feiern vor allem sich selbst

Auch an solche Bühnenshows haben wir uns längst gewöhnt. Die Bandmitglieder der Gorillaz sind allesamt Comicfiguren, die bei ihren Konzerten als Projektionen auftreten. Blur-Sänger Damon Albarn und Zeichner Jamie Hewlett haben die virtuelle Band gegründet, als Hatsune Miku gerade in die Schule kam. Wir haben Tupac dank einer ähnlichen Technik auf einem Musikfestival gesehen, 16 Jahre nach seinem Tod. Und den King of Pop in Las Vegas, da weilte er schon fünf Jahre nicht mehr unter uns.

Ein komplett ausgedachtes Hologramm zu bejubeln, mag trotzdem befremdlich wirken. Doch das Fan-Dasein funktioniert schließlich immer über Projektionen - und die greifen bei einem fiktiven Manga-Mädchen sogar noch besser als bei einem Menschen, der die Fiktion im ungünstigsten Fall wieder zerstören kann. Die Künstler Philippe Parreno und Pierre Huyghe haben mit dem Projekt "No Ghost, Just A Shell" und ihrer Manga-Figur AnnLee schon viele der Themen vorweg genommen, um die es auch bei Hatsune Miku geht: Kollektive Kreativität, geistiges Eigentum und die Emotionalisierung eines virtuellen Wesens. 

Vielleicht feiern die Fans gar nicht Hatsune Miku. Wahrscheinlich feiern sie vor allem sich selbst. Auf welchem Konzert können sie sonst hoffen, dass der nächste Song von ihnen selbst geschrieben ist?