Eine beachtliche Sammlung von Oldie-,Schlager- und Rock-CDs stapelt sich unter Schnapsgläsern. Aus der Wand ragt ein ausgestopfter Eichelhäher. Auf dem Wandteppich spielen Hunde Billard. Die Bilder des französisch-italienischen Fotografenduos Ama Split und Riky Kiwy fangen den eigenwilligen Charme von Berliner Raucherkneipen ein. Man meint beinahe, den vertrauten verrauchten Geruch in der Nase zu haben. Diese Kneipen sind ein ganz eigener Kosmos – und den gilt es zu entdecken. Zumindest fanden das die beiden Fotografen und widmen dem Thema einen ganzen Bildband. Wo könnte man eher auf hochdosiertes Raucherkneipenglück stoßen als in der deutschen Hauptstadt?
Das Rauchverbot hat in Berlin verhältnismäßig viele Ausnahmen und wird weniger konsequent umgesetzt als anderswo. Geraucht wird in vielen Bars. Split und Kiwy geht es allerdings nicht um die hippen Kneipen, in denen gefühlt niemand über 40 ist und kein Mensch mehr weiß, was denn bitte ein Futschi sein soll (Weinbrand mit Cola). Sie interessieren sich für die dunklen Spelunken mit Holztäfelung und vom Rauch vergilbten Spitzengardinen, deren Stammgäste zum Hertha-Spiel auf dem Röhrenfernseher ihre Molle trinken. Diese Kneipen verkörpern fast eine Art eigener Kultur - und die ist hierzulande ungefähr so typisch ist wie Gartenzwerge, die dort als Deko auch nicht weiter verwundern.
Kiwy und Split hat es für ihr Projekt in zehn solcher Trinkstuben in unterschiedlichen Ecken von Berlin verschlagen. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, Atmosphäre und Charme dieser Orte in ihren analogen Fotografien einzufangen. Den oft eigenwilligen Einrichtungsstil, kuriose Dekostücke und unterschiedliche Menschen kommen in ihrem Buch zusammen. "Es ist wie eine Zeitreise, als würde man in die 1980er-Jahre eintauchen", meint Ama Split.
Ein Archiv der Kneipenkultur
Bereits 2018 haben die beiden Fotografen einen gemeinsamen Fotoband veröffentlicht: In "Hundekopf" geht es um die Berliner Ringbahn. Die Bahnstrecke bildet einen Ring um die Berliner Innenstadt, Kiwy und Split haben an allen 27 Stationen Bilder gemacht.
Die Idee zu "Berliner Raucherkneipen" entstand größtenteils aus Verwunderung: In ihren Heimatländern sei diese Art von Kneipenkultur tot, erklärt die aus Frankreich stammende Ama Split. "Bevor das vielleicht auch hier passiert, wollten wir die Stimmung und all die ulkigen Details in den Kneipen zeigen, die tatsächlich vielen Besuchern entgehen". Dazu gehören auch einige Gesprächsausschnitte, die im Bildband zu lesen sind: In den familiären Betrieben kenne man sich untereinander, es wird gequatscht und vor allem viel gewitzelt.
Ama Split und Riky Kiwy zeigen gut konservierte Stuben der Nostalgie, wie sie fast ein jeder irgendwann mal betreten hat und die vielerorts immer dünner gesät sind: Gentrifizierung und der betont gesunde Lebenswandel vieler jüngerer Menschen machen den alteingesessenen Raucherlokalen zu schaffen. Zum Skat spielen in der Eckkneipe verabreden sich immer weniger Menschen. Noch aber gibt es diese sozialen Inseln, wo die Zeit stehen geblieben ist. Und noch wird dort fröhlich weiter geraucht und getrunken.