Uterus Man klappt sein Visier herunter und springt leichtfüßig in seinen Raumgleiter, der bei genauerem Hinsehen ein überdimensionaler Beckenknochen ist. Der bizarre Superheld gleitet mit seinem Gefährt durch eine Galaxie aus Blutbahnen, kämpft gegen DNA-Stränge und XY-Chromosomen. Auf seinem roten Umhang prangen die zwei chinesischen Zeichen: zigong 子宫 für Gebärmutter. Wenn Uterus Man die Arme ausbreitet, formt er die Kontur der weiblichen Geschlechtsorgane. Die Stiefel an seinen Füßen bilden eine Vagina, aus der Ströme von Menstruationsblut fließen - wie ein Düsenantrieb zum Abheben. Blut, das er aus seinen Händen herausschießen lässt, setzt er auch als Waffe ein. Willkommen in der absurd-virtuellen Welt der chinesischen Videokünstlerin Lu Yang!
Die Abenteuer von Uterus Man sind zur Zeit in der Sonderausstellungshalle des Kulturforums Berlin als Teil der Gruppenausstellung "Micro Era. Medienkunst aus China" zu erleben. Das deutsch-chinesische Kuratorinnenteam hatte Lu Yang vorab aufgefordert, sich einen Sparringpartner für die Schau aussuchen. Sie wählte Zhang Peili, ihren ehemaligen Mentor und derzeit Professor für Neue Medien an der China Academy of Art in Hangzhou.
Zhang Peili als Wegbereiter der Videokunst
Beim Doppelinterview scheint der 62-jährige Zhang Peili in sich zu ruhen, spricht offen und klar. Obwohl Lu Yang schon längst nicht mehr Studentin ist, redet sie ihn mit "Lehrer Zhang" an. Sie nimmt sich zurück, tippt auf ihrem Laptop herum und überlässt meistens ihm das Reden.
Zhang Peili gilt als Wegbereiter für experimentelle Videokunst in China. Seine Videoarbeit "30 x 30" von 1988 soll die erste chinesische Videoarbeit überhaupt sein. Darin sieht man, wie ein Mann auf dem Boden hockend einen Spiegel der Größe 30 mal 30 Zentimeter in unzählige Stücke zerschlägt und danach mit viel Geduld wieder zusammenklebt. Diese Aktion wiederholt er wieder und wieder, lähmende 180 Minuten lang - die gängige Dauer einer Videokassette.
Weil Zhang Peili damals zu wenig Geld hatte, um jemanden als Schauspieler anzuheuern, war er selbst der Protagonist seines Films, wie in allen seinen frühen Videoarbeiten. Die geliehene Videokamera drückte er einem Freund in die Hand, bestimmte Position und Winkel, bat ihn auf den Aufnahmeknopf zu drücken und 180 Minuten stillzuhalten.
Zwischen Bruce Naumann und Daoismus
Herausgekommen ist eine Hommage an die Langeweile. Unweigerlich denkt man an die existenzialistischen Kurzstücke von Samuel Beckett und die Videoarbeiten von Bruce Naumann. Sicherlich sei Naumann ein Vorbild gewesen, stimmt Zhang zu. Doch haben ihn noch mehr daoistische und buddhistische Anschauungen geprägt. Der Ton ist bei seinem mittlerweile legendären Video "30 x 30" absichtlich ausgeschaltet. Das mantrahafte Tun von Zerbrechen und Reparieren beschwört eine Endlosschleife der Vergeblichkeit.
Seit dieser ersten Videoarbeit sind über 30 Jahre rasanter technischer und künstlerischer Entwicklung vergangen, die sich exemplarisch am Vergleich zwischen Lehrer und Studentin ablesen lässt. Während Zhang Peili in den 80er-Jahren nur einfachste Videotechnik wie Kamera und Röhrenbildschirm zur Verfügung hatte, kann sich Lu Yang ausgefeilter Computertechnik und modernster Algorithmen bedienen. Zhangs Zeichenpalette erschöpfte sich in der Variation von Bild-, Ton- und Formensprache. Und doch konnte er mit einfachsten Mitteln große Wirkung erzielen.
Zwanghafte Peinigung ins Unerträgliche gesteigert
Beispielsweise experimentierte er mit Mehr-Kanal-Installationen, um Bilder und damit auch die Zeit zu vervielfachen. Bei "Uncertain Pleasure I" etwa sieht man auf zwölf Röhrenmonitoren eine Hand jeweils ein anderes Körperteil kratzen, die Schulter, den Nacken, den Oberschenkel oder den Unterarm. Kein Ton ist zu hören, doch meint man die Kratzgeräusche im Kopf deutlich zu vernehmen. Die gekratzte Hautstelle rötet sich zunehmend. Die zwanghafte Peinigung ist durch die zwölffache Wiederholung ins Unerträgliche gesteigert und überträgt sich unweigerlich auf den Betrachter, der nicht wegschauen kann.
Zhang geht in jeder Videoarbeit von einer realen Situation aus, die er abfilmt. Die frühe Videokunst war also ein Kommentar auf die physisch erfahrbare Welt. Ganz anders bei Lu Yang. Sie erschafft in ihrem Computer virtuelle Wesen und kreiert eigene Wirklichkeiten. Sie zelebriert die grenzenlosen Möglichkeiten der neuen Medientechnologie. Ihre Bildwelten sind pompös, laut, bunt, schrill, grell und zuckend. Sie bedient sich an allem, was ihr die Unterhaltungskultur so bietet: Mangas, Animes, Computerspiele, 3-D-Animationen, Virtual Reality, Augmented Reality.
Dem mischt sie eine hinduistisch-buddhistische Bildästhetik bei und verpackt alles zusammen in pseudo-wissenschaftliche Bildgebungsverfahren. Diese verwirrende Rezeptur bringt dämonische Gottheiten in knallbunten Farben hervor, die zu Techno-Musik tanzen, komplizierte vielarmige Monster halten Aufziehschlüssel und Hirnapparate in den Händen, ein Außerirdischer mit übergroßem freigelegtem Gehirn à la "Mars Attack" becirct eine Schülerin in Schuluniform.
Eine moderne Form von Exorzismus
So abstrus und unzusammenhängend alles wirkt, sind doch zwei Kontinuitäten zu entdecken: In ihren Videoarbeiten taucht zum einen immer wieder ein Avatar mit dem Gesicht der Künstlerin auf. Geschlechtslos, ohne Haare und Kleidung bildet er eine Rohform für jegliche Figuren. Zum anderen taucht überall die so genannte "Deep-Brain-Stimulation"-Krone auf, die in einem Strahlenkranz von feinen langen Nadeln den Kopf umschließt. Damit will Lu Yang Dämonen will sie durch elektromagnetische Gehirnstimulationen Dämonen aus den Köpfen verjagen, sie betreibt sozusagen eine neomoderne Form von Exorzismus.
Der Betrachter durchläuft ihre Installationen wie ein Videospiel, von Level zu Level, erlebt, wie sein Avatar stirbt, sich symbolisch in einen Sarg legt, verbrannt und anschließend gereinigt aus dem Feuer in anderer Gestalt wiedergeboren wird. Am Ende des Parcours dann hat der Betrachter die Möglichkeit, die passive Rolle zu verlassen, live in das Videogame einzugreifen, seinen Avatar zu kontrollieren, und damit völlig einzutauchen in die virtuelle Welt. Zum Schluss taumelt der Spieler trunken ins Sonnenlicht, nicht mehr wissend was real und was fiktiv ist.
Der Medienpionier Zhang Peili spricht voller Anerkennung über seine ehemalige Schülerin Lu Yang. Er bewundere ihr Wissen über neue Medientechnologien, sagt er. Während des Interviews lädt sie die Uber-App auf sein Smartphone.