Im Garten ist eine Jurte gelandet. Ohne mongolische Besatzung, dafür stapeln sich im Inneren Mitbringsel aus Brüsseler Antiquitätenläden, ein ausgestopfter Löwe, eine indische Gottheit. Ein gusseisernes Teleskop, das der Hausherr, passend auch zu seinen schneeweißen Locken, in Biwakkleidung präsentiert. "Das ist eine Designerlampe, den Weltraum hat sie noch nie gesehen", sagt Panamarenko und geht nach draußen. Auf dem acht Hektar großen Grundstück flattern zwischen Eseln und Katzen Gänse und Schwäne herum und tropische Papageien. Es ist noch
nicht lange her, da gab es außerdem mit Sonnenenergie angetriebene Elektrohühner. Inzwischen sind sie aber alle verkauft.
Dass Henri Van Herwegen alias Panamarenko Einblick in sein Refugium gewährt, ist selten. Die Farm liegt am Ortsrand von Brakel in Ostflandern, hierher hat es ihn wegen seiner 34 Jahre jüngeren Frau Eveline verschlagen, die er 2003 heiratete. Sein ganzes vorheriges Leben verbrachte der Künstler mit der Mutter in einem Migrantenviertel von Antwerpen, wo er 1940 auch geboren wurde. Die Mutter starb, in seinem berüchtigten Atelier am Sint-Jansplein hatten längst seine Vögel die Kontrolle übernommen, dort mochte Eveline nicht bleiben.
Seit fünf Jahren ist Panamarenko nun in Rente. "Ich mache den ganzen Tag nichts", behauptet er. Die Gesetze der Schwerkraft und der Wunsch nach einem Nobelpreis treiben ihn weiterhin um. Wenn es um die Geheimnisse der Quantenphysik geht, um schwarze Löcher oder die Transformation von Materie in Licht, sprudelt es nur so aus ihm heraus. Sein bedächtiger Blick wird dann lebhaft, jede Geste raumgreifend.
"Panama“, der in russischen Buchstaben verfasste Gitterschriftzug an der grünen Eingangstür, verweist auf seine Vergangenheit, als ihn die Tüfteleien im Griff hatten und die Sehnsucht, mittels Magnetkraft "in der Milchstraße herumzureisen“, erfüllt werden sollte. Die Garage, in der ein alter Cadillac steht, setzt noch eins drauf. "Flugzeug" steht auf dem Tor, es erinnert an eines seiner bekanntesten Werke.
Seine Arbeit hatte von Anfang an einen Knacks
Oft wird Panamarenko als Objektkünstler bezeichnet, aber er ist auch Ingenieur, Kunstfigur, Poet. Seine Arbeit hatte von Anfang an einen Knacks, das Fliegen musste ja nicht mehr erfunden werden. Aber Panamarenko trotzt der Physik auf seine Art, mit nicht immer stimmigen Berechnungen, die direkt ins Reich der Chimären führen.
Als der Sohn eines Elektrikers und einer Schuhverkäuferin mit gerade mal 20 Jahren die Königliche Akademie der Schönen Künste von Antwerpen verlässt, versucht er sich an Happenings im Stadtraum und funktioniert sein Leben zur Dauerperformance um. Er trägt Uniformen von Fluglinien, stattet sich mit Spielzeugpistolen aus und einem russisch klingenden Pseudonym. Als Quelle gibt er wahlweise die Abkürzung von "Pan American Airlines Company" oder den Nachnamen eines sowjetischen Generals an, den er im Radio gehört habe.
Eine Ersatzidentität ist ihm nicht genug. Parallel zur Pilotenmarotte kultiviert er eine zweite Figur und verunsichert am Steuer eines Cadillacs als amerikanischer "Multimillionär" die Polizei. In dieser Zeit entstehen Werke, die sich noch an der Pop-Art orientieren, wie "Molly Peters", eine Frauenpuppe aus Styropor, hinter der sich die Masseurin von James Bond verbirgt. Überhaupt das Universum von Q. Ian Flemings Erfinder genialischer Spionagegeräte scheint einen nachhaltigen Eindruck auf die Kunstauffassung des jungen Panamarenko hinterlassen zu haben.
Die erste Ausstellung seiner "poetischen Objekte" findet 1966 in der sagenhaften Antwerpener Galerie Wide White Space von Anny de Decker und Beuys-Schüler Bernd Lohaus statt. Zwei Jahre später führt Joseph Beuys dort persönlich seine Performance "Eurasienstab" auf, der mit den Filmaufnahmen beauftragte Regisseur heißt Marcel Broodthears. Auf einen Schlag begegnet Parennamarenko zwei Künstlern, die ihn prägen. "Ich mag die Arbeiten von Broodthaers und Beuys sehr, aber auch die von Bruce Nauman. Ich schätze Künstler, die Objekten einen
poetischen Anschein geben, eine Atmosphäre. Broodthaers hatte es mit Muscheln vorgemacht, ich benutzte Motoren."
Durchbruch zur Documenta 5
Von Beuys übernimmt er den Mut zur privaten Mythologie. Der bedankt sich mit einer Einladung in die Düsseldorfer Kunstakademie. "Seine Studenten waren gar nicht begeistert", sagt Panamarenko. "Die dachten sich: 'Warum muss uns ausgerechnet ein Belgier die Show mit seinem Flugzeugungetüm stehlen?'" Das Ungetüm ähnelte einem aufgeblähten Insekt mit Pedalantrieb.
Im Jahr 1972 kommt mit einer Einladung durch Harald Szeemann der internationale Durchbruch. Bei der Documenta 5 zeigt Panamarenko seinen "Aeromodeller". An den Weitertransport des PVC-Luftschiffs mit einem Lastwagen nach Berlin, zur Ausstellung in der Nationalgalerie, kann er sich noch gut entsinnen. "Die Grenzsoldaten der DDR kontrollierten den Ballon gar nicht, sie hielten ihn sofort für Kunst. Aber Farbutensilien und Zeichnungen haben sie trotzdem beschlagnahmt."
Beflügelt von den Erfolgen, taucht er immer tiefer in die Erforschung des Raums ein. Er publiziert Texte über den "Mechanismus der Gravität" oder den "Insektenflug, aus dem Rumpf des Insekts gesehen". Mit seinen dichterischen Analysen nimmt er eine Position ein, die sich gängigen kunstgeschichtlichen Zuordnungen entzieht. Nach Leonardo da Vinci mit seinen Fluggeräten war es vor allem der sowjetische Maschinenkünstler Wladimir Tatlin, der den Vogelflug studierte. Während sein "Ornithopter" (1930) mehrere Tage lang im Schwebemodus bleiben konnte, baute er mit seinem Anzug "Letatlin" gleich den ganzen menschlichen Körper durch Prothesen zur Flugmaschine um.
Panamarenkos Experimentierfreude ist ähnlich grenzenlos, seine Konstruktionen sind aber nicht bloß Hilfsgeräte, sondern wirkliche Maschinen. Entwickelt, um zu funktionieren. Dass sie ihr Ziel meist nicht erreichen, liegt an Panamarenkos Hang zur Ironie. Fast scheint es, als fürchtete er das Nichts, nachdem der Traum Realität geworden und der Übergang in die Zukunft geglückt ist. An der Schnittstelle zwischen Phantasma und Funktion schaut er mit seinen Entwürfen lieber rückwärts und gibt ihnen Namen wie "Meganeudon" oder "Archaeopterix".
Distanz zur Kunstwelt
Auf Panamarenkos Konto gehen Hängematten mit Propellerantrieb, magnetische Schuhe für Ausflüge an Zimmerdecken, Gummiautos mit Düsenantrieb oder völlig nutzlose Vehikel wie das "K2". Dem fliegenden Auto fehlen sowohl Flügel als auch Räder, ein Neutrum, das sich der Evolution der Maschinen widersetzt. Kurios auch der "Rugzakvlucht", ein Rucksack mit Motor, bewundernswert plastisch der "Papaver" aus rotem Zellophan, ein aerodynamisches Ufo, das einer Mohnblume gleicht.
In seinem Ruhestand will der 71-Jährige nur ungern gestört werden. Selbst die Fernreisen, die er mit seiner Frau zu absolvieren hat, sind ihm eher lästig. Gerade war Kuba an der Reihe: ein Land, sagt er, das nicht nur so rückständig wie Belgien aussehe, sondern außerdem eine Diktatur zu ertragen habe. Zum Kunstbetrieb ist Panamarenko längst auf Distanz gegangen. Zu viel Geld und Opportunismus. "Die Kunstwelt war für mich immer schwer verdaulich. Und das bleibt auch so."
Und was hält er von den jüngeren Kollegen, die sich neuerdings an der Symbiose zwischen Kunst und Technik versuchen? Von einem Olafur Eliasson, der gemeinsam mit dem dänischen Erfinder Frederik Ottesen ein Solarflugzeug plant? Da leuchten Panamarenkos Augen, und er erzählt vom unerfüllten Wunschprojekt: einem Raumschiff, das ihn mit Lichtgeschwindigkeit ins All bringt. Wenn da nur nicht das Problem mit der Rückkehr in die Jurte wäre.