Auf der Liste der meistgegoogelten Wo-Fragen 2019 in Deutschland liegt die Erkundigung "Wo befindet sich Greta zurzeit?" (Platz 1 ist übrigens "31.10. Feiertag wo?"). Die Antworten auf die Greta-Frage sind vielfältig, schließlich ist die schwedische Klimaaktivistin ziemlich herumgekommen. Auf Klimagipfeln, auf langen Zugfahrten, auf einem Segelboot auf dem Atlantik. Eine mögliche Antwort lautet aber auch: Auf dem Cover des "Time Magazine". Dort war die 16-Jährige in diesem Jahr gleich zweimal zu finden. Im Mai als "Anführerin einer neuen Generation" und seit gestern als "Person of the Year".
Die beiden Titelfotos sind so unterschiedlich, dass man daran die Geschichte eines Jahres erzählen kann, in dem so viel Greta passiert ist, dass es sich wie eine jahrzehntelange Karriere im Schnelldurchlauf anfühlt. Im August 2018 setzte sich die damals 15-Jährige zum ersten Mal streikend vor ihre Schule, dann vors Parlament, und im Frühjahr diesen Jahres landete sie nach gefühlt täglichen öffentlichen Auftritten zum ersten Mal auf dem "Time"-Cover. Auf dem Foto von Hellen van Meene ist eine kleine Königin zu sehen. Greta trägt ein üppiges bodenlanges Kleid, das eher nach Königsfamilie als nach Straßenaktivismus aussieht und für eine 16-jährige "Leaderin" überraschend altmodisch aussieht. Greta schaut entschlossen leicht von unten nach oben in die Kamera, hinter ihr öffnet sich ein mächtiger Säulengang. Das Bild erinnert an ein Alte-Meister-Gemälde, ein typisches Herrscherinnenporträt.
Das Bild ist symptomatisch für die - man muss es im ewigen Jahr 2019 so sagen - frühe Phase des Greta-Ruhms. Fotografinnen und Fotografen inszenierten die Aktivistin mit Insignien der Macht - als potente Aufrüttlerin, die die Massen begeistert. Das "GQ"-Magazin zeigte sie sogar als seltsam dandyeske Uncle-Sam-Variation mit ausgestrecktem Zeigefinger. "Hört! Mir! Zu!", sagt dieses Cover. Ein Bild mit Ausrufezeichen. Diese Ästhetik lässt sich auch auf die Wahrnehmung der "Fridays For Future"-Bewegung übertragen. Da war auf einmal diese Menge von jungen Menschen, die Veränderung verlangte. Es waren sicher auch die visuellen Inszenierungen von jugendlichem (oft weiblichem) Selbstbewusstsein, die viele an Greta und ihren Anhängerinnen so provozierte.
Eine neue Heldin klimaneutralen Typs
Ein Höhepunkt dieser Narration einer neuen Heldin klimaneutralen Typs war Greta Thunbergs In-See-stechen auf ihrem Weg über den Atlantik nach Amerika. Eine Kapitänin vor der Eroberung eines neuen Kontinents. Zum Ende des Jahres ist Greta Thunberg zurück in Europa und die Inszenierung ist eine ganz andere. Eine globale Politik, die den Protest stoisch aussitzt und sich nur sehr widerwillig in Millimeterschritten bewegt, hat den stürmischen Durchmarsch der Aktivisten und auch deren Euphorie erheblich gebremst. Gruppen wie "Extinction Rebellion" bringen mit ihren düsteren Performance-Aktionen einen kalten Hauch Apokalypse in die oft ausgelassenen "Fridays For Future"-Auftritte.
Bei ihrer Rede beim Klimagipfel in Madrid wirkte Greta Thunberg irgendwie matt und einen Hauch resigniert. Keinen medienwirksamen Slogan wolle sie diesmal prägen, kein "How dare you?", kein "Our house is on fire!". Denn all das lenke ab vom Thema Klimawandel und der dringenden Notwendigkeit zu handeln. Es bündele zu viel Aufmerksamkeit auf ihre Person.
Ein "Time"-Cover ist natürlich ein Epizentrum des Personenkults, aber dieses Titelfoto steht im krassen Gegensatz zum Königinnenauftritt im Mai. Die russische Fotografin Evgenia Arbugaeva hat Greta Thunberg an der Küste Portugals fotografiert. Sie steht vor schäumender Gischt auf einem Felsen vor pastelligem Sonnenuntergang. Ihr Blick ist diesmal nicht forsch in die Kamera gerichtet, sondern geht nachdenklich in die Ferne, aufs Meer, zu einem Horizont, den der Betrachter nicht sieht. In die Zukunft, ja, aber in welche?
Das Gegenteil von Power und Youth
"Die Kraft der Jugend" steht neben Greta Thunbergs Namen auf dem Cover. Aber das Foto erzählt gerade nicht von Power und praller Youth, sondern strahlt eher Nachdenklichkeit und auch eine gewisse Müdigkeit aus. Die in den Hoodie-Ärmeln versteckten Hände sind eine Unsicherheitsgeste, die vorher auf keinem Titelbild zu sehen war. Das blasse Rosa ihrer Kapuzenjacke gleicht der Farbe des Abendhimmels. Die Person des Jahres verschmilzt eher mit dem Hintergrund als dass sie ihn dominiert.
Das Foto, das natürlich sehr bewusst zur Illustration der "Times"-Auszeichnung gewählt wurde, kann man als Menschwerdung einer Ikone interpretieren. Vom Schulkind zur Heiligen und wieder zurück zu etwas mehr Bodenhaftung - alles innerhalb von gut einem Jahr. Ein Ruhm-Zyklus im Zeitraffer sozusagen. Vielleicht kann man das aus dem Greta-Hype von 2019 lernen. Das mit der einzelnen Erlöserfigur, die die ganze Arbeit macht, hat noch nie so gut funktioniert. Klimapolitik macht niemand allein. Vielleicht kann man dann auch Klima-Erlöserinnen wieder etwas mehr Menschlichkeit erlauben.