Experiment bei Instagram

Die Likes sind weg

Likes bei Instagram stehen in der Kritik, weil sie psychischen Druck erzeugen. Jetzt blendet das Unternehmen die Zahl der Herzchen testweise aus. Was bedeutet das für Künstler und die Kunstwelt?

Die Likes sind weg ... und jetzt weiß ich auch nicht. Sex ist toll, aber habt ihr mal Instagram ohne Likes gesehen? Es fühlt sich an wie das erste Mal. Man erwartet viel, ist voller Hoffnung, dann tut es ein bisschen weh und dann ist es vorbei. Ich dachte bisher, Likes seien mir egal, sehr sogar, bis mir jetzt weder meine Likes, noch die der anderen Nutzerinnen und Nutzer angezeigt werden. Mit einem Klick kann man sich die eigenen Zahlen natürlich noch anzeigen lassen. Trotzdem: Ich fühle mich wie Super Mario, der durch die Gegend rennt und springt, aber keine Herzen mehr einsammeln darf. Warum also überhaupt noch hüpfen?

Kurz zu den Fakten: Am 17. Juli hat Instagram bekanntgegeben, dass die Likes zufällig ausgewählten Nutzerinnen und Nutzern in sieben Ländern nicht mehr angezeigt werden, darunter Kanada, Irland, Australien, Japan und Italien. Die Begründung: "Wir wollen, dass sich eure Freunde auf eure Posts konzentrieren, nicht auf die Zahl der Likes."


Seit 14. November läuft der Test international. Die Begründung: Das Feedback sei bisher positiv. Und jetzt bin ich betroffen. Die Likes sind also weg, und ich habe erst einmal ein Album mit Fotos von alten Karren in Kairo gepostet. Das war am Sonntag, sonntags postet man ja gerne mal unter dem Hashtag #asundaycarpic alte Karren. Das mache ich sonst eigentlich nicht, weil der Verdacht im Raum steht, man würde das wegen der Likes machen. Die Likes sind weg, also steht der Verdacht nicht mehr im Raum.

Mittlerweile hat das Album knapp 1.100 Likes und 40 Kommentare. Seitdem habe ich nichts mehr gepostet. Oder doch, das Bild habe ich aber gelöscht, weil noch nie ein Beitrag von mir so wenige Likes bekommen hat. Ich war bei einem Opening in einer Ausstellung in einer Hamburger Galerie.

Die Künstlerin hat sich einen Hund auf ihren Oberarm tätowieren lassen, den Hund gibt es auch in einem ihrer Gemälde, also habe ich ihren Oberarm zusammen mit der Seite aus dem Katalog fotografiert, die das Gemälde zeigt. Das Ergebnis: 124 Likes. Ich konzentriere mich jetzt also plötzlich auf die Zahl der Likes, worauf sich meine Freunde konzentrieren, weiß ich nicht, jedenfalls nicht auf mein Foto von einem tätowierten Oberarm.

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#asundaycarpic

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"Social Photography kann das Leben ein bisschen zu einem Spiel machen, mit Likes und Herzen und Followern zum Sammeln", schreibt der Social Media Theoretiker Nathan Jurgenson in seinem Buch "The Social Photo: On Photography and Social Media". Fotografie, so seine These, mit der er nicht allein ist, wird auf Instagram zum Medium der Kommunikation. Menschen teilen Fotos nicht als Objekte, die für sich stehen sollen, sondern als Erfahrungen.

Wozu das geführt hat, ist bekannt: Influencerinnen und Influencer teilen perfekte Bilder vom perfekten Leben, alle anderen wollen das auch. Kevin Systrom, der Mitbegründer von Instagram, hat gerade in einem Interview erklärt, dass das nicht beabsichtigt war. "Anfänglich wurde instagram als Community von Fotografen und Designern konzipiert. Die Idee war es, diesen kreativen Menschen witzige und kreative Werkzeuge zu geben. Dann veränderte sich die Plattform sehr schnell, als immer mehr Personen sie verwendeten, um ihren Alltag zu dokumentieren. Die eine Entscheidung, die die ganze Sache zu einem potenziellen Problem machte, war, dass alles standardmäßig veröffentlicht wurde. Das bedeutete, dass wenn du dazu bereit warst, dein Leben mit anderen zu teilen, dir Personen folgen würden. Und je interessanter dein Leben ist, desto eifersüchtiger würden die anderen werden." 

Und heute, sagt er, ist der Druck groß: "Ich glaube, dass der größte Druck aus dem Nachdenken darüber kommt, welche Teile meines Lebens ich teilen kann. Bin ich cool genug? Machen meine Freunde Dinge ohne mich?" Kurz: FOMO, die Angst ist groß, etwas zu verpassen.

Likes sind für viele eine Währung

Das ändert sich natürlich nicht dadurch, dass die Likes nicht mehr zu sehen sind, denn Geschichten aus einem interessanten und ereignisreichen Leben will man ja nach wie vor teilen können. So richtig etwas ändern wird sich erst, wenn sämtliche Zahlen ausgeblendet werden, also auch die Followerzahl.

Instagram ist sich natürlich des Problems bewusst, dass schon die ausgeblendeten Likes ein Problem für Menschen sind, die von ihrer Präsenz auf der Plattform leben. Am 14. November hieß es auch: "Wir sind uns außerdem darüber bewusst, dass like counts für viele creators sehr wichtig sind und wir werden versuchen, aktiv über Wege nachzudenken, wie creators Wert an ihre Partner übermitteln können."

 

Likes und Followerzahlen wurden ganz unvermeidlich zu einem Qualitätskriterium, wie der Preis eines Kunstwerks oder die Besucherzahl einer Ausstellung. Die Performance "Excellences and Perfections" von Amalia Ulman ist das erste Instagram-Meisterwerk, wie es oft heißt. In Texten über ihre Performance ist auch immer die Rede von ihrer Followerzahl. Die BBC beispielsweise titelte: "Die Instagram Künstlerin, die Tausende täuschte". Im Text selbst steht: "Beim letzten Post ihres Projekts am 19. September 2014 hatte Ulman 88.906 Follower gesammelt (ihr Account hat jetzt mehr als 110.000). Zu diesem Zeitpunkt punkt, gab sie bekannt, dass die ganze Sache nur eine Performance gewesen war, ein Kunstwerk, und keine Aufzeichnung eines realen Lebens."

Was selten erwähnt wird: Als Ulman sich in ihrer Performance von einem niedlichen Mädchen aus der Kleinstadt in eine sexy junge Frau verwandelte, inklusive Sugar Daddy, Nervenzusammenbruch und Heilung durch Yoga und Avocadotoast, lief fast parallel eine Intervention des niederländischen Konzeptkünstlers Constant Dullaart.

Der kaufte damals für 5.000 Dollar 2,5 Millionen Follower und verteilte sie auf Protagonistinnen in der Kunstwelt, damit alle mit 100.000 Followern nach den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie gleich wichtig waren. Von der Performance von Ulman wusste er nichts, aus ihren knapp 5.000 Followern wurden dank seiner Intervention 100.000.

Instagram-Account zu verkaufen

Andere Künstler derweil haben versucht, aus ihrem sozialen Kapital ein Preismodell für ihre Kunst zu machen. Petra Cortright beispielsweise entwickelte ein Preismodell für ihre YouTube-Videos, das auf der Anzahl der Views basierte. Heute ist dieses Preismodell für sie nicht mehr interessant, da die Anzahl der Views durch Bots manipuliert werden kann, sagte sie in einem Interview.

Der Instagram-Account @onaartist wurde auf der Scope Miami Beach 2018 für einen Dollar pro Follower zum Verkauf angeboten. Leah Schragers Alter Ego, ein IG-Model, deren Produkt ihr eigener Körper ist, hatte damals 2.6 Millionen Follower. Schrager hätte das Passwort und die Inhalte an den neuen Besitzer übergeben. Es fand sich kein Käufer.

Der Künstler Brad Troemel fragte sich im Jahr 2013, ob ein Post auf Tumblr auch gute Kunst ist, wenn die Notes ausbleiben. Heute müsste die Frage anders lauten: Ist ein Posting auf Instagram Kunst, wenn es keine Likes bekommt? Rhetorische Frage, denn für Troemel sind weder Likes, noch Follower das ausschlaggebende Kriterium.

Der Künstler als joggender Super Mario

Klar, ein Viralhit sollte schon ab und an dabei sein. Für Troemel ist im Zeitalter der sozialen Medien ein guter Künstler, wer immer oben im Newsfeed ist, wer immerzu sendet und so zur Marke wird. Der Inhalt ist wichtig, genauso wichtig sind aber auch Geschwindigkeit und Kontinuität. Troemel stellt sich den Künstler als durch die sozialen Medien joggenden Super Mario vor.

Ein anderer Künstler, Darren Bader hatte letztes Jahr seinen Instagram-Account @mined_oud zum Verkauf angeboten. Seine Follower gaben in den Kommentaren Angebote von 2.50 Dollar bis 100 Dollar ab. Den Preis allerdings hatte er mit seinen Galerien unter Berücksichtigung von Arbeitsaufwand und Produktionskosten selbst festgelegt, Likes und Follower spielten dabei keine Rolle. Ein Käufer fand sich offenbar nicht. Auf das Thema Likes kam Bader dann später zu sprechen:

 

Das Ergebnis: 445 Likes. Und damit ist das Posting folglich ein furchtbares Kunstwerk. Bader hätte auf die Frage von Troemel, ob ein Posting Kunst ist, wenn es keine Likes bekommt, mit Ja geantwortet. Je mehr Likes, desto schlechter die Kunst, so Bader. Er bedient damit ein gängiges Vorurteil. Was gut geht auf der Plattform Instagram, kann nicht gut sein, weil es sich zwangsläufig um leicht konsumierbaren Content handeln muss. Stichwort: instagrammable. Und instagrammable sind Pop-up Museen wie das Museum of Selfie oder das Museum of Ice Cream, die vom Publikum gestürmt werden, weil sie Selfies auf einem Plüscheinhorn machen wollen.

Instagram schadet der psychischen Gesundheit

Johannes Paßmann hat seine Dissertation über "Die soziale Logik des Likes" geschrieben. Er bestätigt auf Nachfrage, dass Likes als Maßstab für Prestige fungieren. "Und sei es dafür", schreibt er mir, "dass etwas als schlecht gilt, weil es viele Likes hat." Warum Instagram sich für diesen Test entschieden hat, dafür hat er eine Erklärung: "Instagram gewinnt einen moralischen Vorteil. Das Unternehmen signalisiert ein Bewusstsein für das Wohl seiner User. Es zeigt sich als sensibel für die gesellschaftlichen Prozesse, die mit Instagram und anderen Plattformen in Gang gekommen sind."

Instagram schadet der psychischen Gesundheit. Das hat im Jahr 2017 eine Studie der britischen Royal Society for Public Health (RSPH) herausgefunden. Befragt zu den fünf großen sozialen Netzwerken Twitter, Facebook, YouTube, Snapchat und Instagram wurden 1.500 Jugendliche und Erwachsene zwischen 14 und 24 Jahren im Vereinigten Königreich. Sie sollten Auskunft darüber geben, wie sich ihr Nutzungsverhalten beispielsweise auf ihren Schlaf auswirkt. Instagram schnitt schlecht ab, es wirkt sich negativ auf das Körperbild, den Schlaf und die Angst, etwas zu verpassen, aus. Das führt zu Angst und Depressionen, zu Neid und Missgunst.

Quantifizierung als Erfolgsprinzip

Spekulieren möchte Paßmann nicht, wie sich das Nutzerverhalten verändern wird, wenn die Likes tatsächlich abgeschafft werden. Eine vorsichtige Prognose gibt er dennoch ab: "Die Maßstäbe werden verschoben: Was bisher galt, gilt nicht mehr. Ob sich das dann auf andere quantitative Maßstäbe auswirkt, das kann sein. Ich vermute Ja, weil Quantifizierung für Social Media einfach ein unheimliches Erfolgsprinzip ist."

Künstlerinnen und Künstler derweil atmen vielleicht erleichtert auf. Wenn keine Likes mehr sichtbar sind, kann auch ein Posting nicht als schlechte Kunst abgetan werden, das viele Likes hat.