Es gibt Künstler, deren Werk ohne Rückgriff auf die Person nicht zu deuten sind. Im Fall des 1997 mit nur 44 Jahren verstorbenen Martin Kippenberger schwebt seine öffentliche Selbstinszenierung als zynischer, polemischer, widersprüchlicher, dem Alkohol verfallener Provokateur so mächtig über jeder künstlerischen Äußerung, dass diese beinahe zur Nebensächlichkeit verkommt.
So war das schon in den posthumen Solo-Schauen des New Yorker MoMA und der Londoner Tate Gallery. Und auch die aktuelle Retrospektive in der Bonner Bundeskunsthalle macht da keine Ausnahme. Kuratiert hat sie Susanne Kleine, frühere Mitarbeiterin der Galerie Max Hetzler, damals noch in Köln, nur einer Station in Kippenbergers Nomadenexistenz. Hier schloss er sich den Hetzler-Boys (Albert Oehlen, Markus Oehlen, Werner Büttner) an, einer Gruppe aggressiv auftretender Egomanen, die ihre Testosteron-gesättigte Männlichkeit zum Karriere-Vorteil erhoben.
"Kippy" als Prophet für Instagram
Da dem Sohn eines Dortmunder Bergwerkdirektors und einer Ärztin der rechte Gegner gerade noch für ein Spiel mit Nazi-Symbolen gut genug war, gerieten ihm Pazifisten, Sozialisten, Katholiken und der politisch korrekte Kunstbetrieb zur Zielscheibe. Selbst der Instagram-Generation, meint man, schien der junge "Kippy" prophetisch verbunden zu sein. Er, der eigentlich Schauspieler werden wollte und sich selbst als "Künstlerdarsteller" verstand, trieb die analoge Selbstvermarktung mit einer Berliner Plakat-Aktion auf die Spitze.
Als ihm das geerbte Kapital ausging, wurde der Konzeptkünstler doch noch brav, aber nach eigenen Regeln. Grafik, Skulptur, Installation, Fotografie – kaum eine Disziplin, die fortan nicht in seinem Repertoire auftauchte.
Vor allem die Verwandlung in einen Bild-Produzenten inszenierte er als Performance mit verteilten Rollen – allen voran die Assistenten als Hauptfiguren, die auch schon mal für die Ausführung der Hängeware zuständig waren.
Und so gibt es ein Wiedersehen mit dem ans Kreuz genagelten Frosch, der "Sympathischen Kommunistin", unvorteilhaften Selbstporträts als übergewichtiger Unterhosen-Träger oder bandagiertes Prügel-Opfer. Ebenfalls gezeigt wird die vom Plakatmaler Hans Siebert stellvertretend nach Kippenberger-Fotos gemalte Serie "Lieber Maler, male mir" oder ein Wald aus Skulpturen, die so bemüht punkig dilettantisch ausfallen, dass man sie sogleich in die Abteilung "Épater le bourgeois" (Schockt die Bürgerlichen) eintütet.
Erst zum Schmunzeln, dann verzweifelt, dann fad
Zu dem Angriff auf den guten Geschmack und jede Form der Hierarchisierung gehören selbstverständlich auch Kippenbergers Varianten der von Amerikanern wie Sherrie Levine oder Richard Prince meisterlich beherrschten Appropriation Art, etwa die "I-Love-Bilder", die sich auf Milton Glasers Logo "I Love NY" beziehen und dabei zeitgemäß jede Autorschaft verweigern.
Auch an dem spätpubertierendem Sprachspiel-Sound darf man sich satt sehen: Von "Ich bin Martin Kippenberger und ihr nicht" über "Krieg Böse" bis zu "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen". Das ist erst zum Schmunzeln, dann etwas verzweifelt nach Aufmerksamkeit bettelnd und in der x-ten Ausgabe schlicht zu routiniert und fad.
Nachhaltig spannend wird der zwanghafte Pointen-Ping-Pong erst, wenn im Spätwerk so etwas wie Verletzlichkeit und Melancholie hinter dem Schutzwall der Ironie durchschimmern, tragische Momente des Selbstüberdrusses, ohne die Kippenberger nur als ein überdosierter Zertrümmerungsvirtuose in Erinnerung geblieben wäre, eine süß-saure Mischung aus Fassbinder, Handke und von Stuckrad-Barre, oder, wenn man "böse" sein möchte, ein Vorbote des neuen Politiker-Typus à la Trump, eines respektlosen Rüpels, der in schrillsten Tönen seine "Überzeugungen" täglich selbst demontiert.