Was hat sie da gerade gesagt? Als die junge Politikerin Chlöe Swarbrick bei ihrer Rede zu einem Null-Emissions-Gesetzesentwurf durch Zwischenrufe unterbrochen wurde, antwortete sie mit einem Spruch, den das neuseeländische Parlament als "Ok, Berma" untertitelte. Mit seinem Übersetzungsfehler machte der parlamentarische Fernsehsender unbewusst die Schwierigkeiten generationenübergreifender Kommunikation sichtbar, die in den vergangenen Wochen einen neuen Höhepunkt erreicht haben. Denn was Swarbrick eigentlich sagte, war :"Ok Boomer."
Die beiden Wörter sind eine auf der Kurzvideoplattform Tik Tok entstandenes Meme, das sich gegen die Ignoranz der zwischen 1946 und 1964 geborenen Generation der Baby Boomer richtet. Ausgelöst wurde sie durch das Video eines älteren Mannes, der sich über die wahnhafte Weltanschauung der Millennials und der ihr nachfolgenden Generation Z echauffiert. "Sie haben das Peter Pan-Syndrom. Sie wollen niemals erwachsen werden", schimpft er. "Eines Tages werdet ihr merken, dass nichts umsonst ist, dass die Verhältnisse nicht gleich sind und dass eure utopische Gesellschaft einfach nicht nachhaltig ist." Eine Gen-Z-Userin fand auf die Tirade die wunderbar nonchalante Zwei-Wort-Antwort, die in hunderten Tiktoks wiederholt und auf tausende Hoodies gedruckt wurde. Und die es zuletzt bis ins neuseeländische Parlament schaffte.
Zum Ruhm verholfen haben dem Meme auch Jonathan Williams und Peter Kuli, die "Ok Boomer" eine eigene Hymne gaben. In bester Online-Humor-Manier sind Kulis Beats hoffnungslos übersteuert, der Chorus besteht aus den beiden Worten, die Williams wiederholt brüllend aneinanderreiht. "This goes out to the 65-year-old crowd on Soundcloud / Old Ladies suck" leitet Kuli den Song ein. Ist "Ok Boomer" also ageist, das heißt diskriminierend gegenüber Älteren? Nein, erklärt Williams in der "New York Times". Der Ausdruck richte sich vielmehr an all jene, die dem Wandel der Zeit verbittert gegenüber stehen.
Niemand muss Boomer sein
Das können 73-jährige US-Präsidenten sein, die gegen 16-jährige Klimaaktivistinnen sticheln, oder diejenigen Menschen über 65, die im Vergleich zu jüngeren demografischen Gruppen mit einer überwältigenden Mehrheit für den Brexit stimmten. Es sind aber eben auch altersunabhängig all jene Personen, die unreflektiert hetzerische Fake News auf Facebook teilen und zugleich andere für ihre Bikinifotos in den sozialen Netzwerken schelten – oder jene, die psychische Probleme junger Menschen damit erklären wollen, dass sie in ihrer Jugend mit zu vielen participation trophies ausgezeichnet wurden.
Jane Fonda, die sich mit 81 Jahren bei Klimademos verhaften lässt, ist ebenso wenig Boomer wie Celine Dion, die in den vergangenen Jahren mit spektakulären Looks von Iris van Herpen, Alexandre Vauthier und Y/Project zur Mode-Ikone geworden ist. Ein junger Boomer hingegen ist beispielsweise der 37-jährige Immobilienmillionär Tim Gurner, der 2017 in einem Interview anmerkte, Millennials könnten sich kein Eigenheim leisten, weil sie zu viel Geld für Avocadotoasts ausgeben.
Die Avocado-These wurde in den vergangenen Jahren überraschend häufig von Soziologen und Demographen herangezogen, um die Tatsache zu erklären, dass sich immer weniger junge Menschen eine eigene Wohnung oder gar ein Haus leisten können. Sie bringt die Boomer-Mentalität auf den Punkt: Der Grund für gesellschaftliche Probleme, gerade solche, die Millennials und Generation Z betreffen, wird auf der Individualebene gesucht.
Dabei ist es gerade in den USA eben nicht die unbändige Lust auf teures Frühstück, die Millennials in die Prekarität treibt. Horrende Universitätsgebühren, ein noch immer von der Immobilienkrise gebeutelter deregulierter Wohnungsmarkt und die Abwesenheit einer gesetzlichen Krankenversicherung erschweren den Generationen Y und Z das Erwachsenwerden, das der ältere Herr mit Schirmmütze in seinem Tik-Tok-Video so vehement von ihnen einfordert.
Das Ende des Brunch-Eskapismus
Und auch wenn die Lage hier nicht annähernd so dramatisch ist wie in den USA, kämpfen auch deutsche Millennials und Zoomer in den Großstädten um bezahlbaren Wohnraum und sehen sich zudem mit einem Arbeitsmarkt konfrontiert, der eine akademische Laufbahn und berufliche Vorerfahrung zwar voraussetzt, aber häufig nicht angemessen entlohnt. Angesichts all dessen lassen sich die Avocadotoasts sowohl als eine Art Bewältigungs-Mechanismus verstehen, als eine Relokation von Statussymbolen auf erreichbare und erlebnisorientierte Produkte. Wie eben beispielsweise Sauerteigbrotsandwiches. "Brunch ist das Opium des Volkes", schreibt Brigid Delaney im "Guardian".
Die Millennials haben lange mitgemacht, haben sich an ihrem Third Wave Coffee festgeklammert und sich eingeredet, dass der Aufstieg von der unbezahlten Praktikantin zum Girl Boss kurz bevor steht. Doch mehr und mehr beginnen junge Menschen, an den maroden Säulen des neoliberalen Gerüsts zu rütteln, das die Boomer vor vielen Jahrzehnten errichteten. Laut einer Harvard-Studie von 2016 lehnen mittlerweile 51 Prozent der Amerikaner zwischen 18 und 29 den Kapitalismus ab.
Ungebetene Predigten über die Welt
Nicht nachhaltig ist in ihren Augen der Glaube an einen deregulierten Markt, veraltete Famiienmodelle, isoliert agierende identitätsstiftende Nationalstaaten und unbegrenztes wirtschaftliches Wachstum. Das liegt nicht nur an den gerade aufgeführten Problemen, sondern auch an einem Sachverhalt, der bislang noch gar nicht zur Sprache bekommen ist: dem Klimawandel.
Vor kurzem saß mir in der U-Bahn ein Mann gegenüber, der mit Greta Thunbergs Reden-Sammelband "Ich will, dass ihr in Panik geratet!" vor der Nase herum wedelte. Obwohl ich Kopfhörer trug, begann er damit, mir vorzubeten, dass Greta von der Regierung gesteuert werde und der Klimawandel eine Lüge sei. Außerdem seien die jungen Menschen ohnehin eigentlich gar nicht so nachhaltig, wie sie immer tun.
Meine zwei Hände reichen nicht aus, um aufzuzählen, wie oft ich in den vergangenen Monaten von wildfremden Personen komplett ungefragt in derartige Gespräche verwickelt wurde, und kein einziges Mal hatte ich das Gefühl, mein Gegenüber sei im geringsten daran interessiert, was ich auf seine Argumente erwiderte.
"Ok Boomer" stellt die Systemfrage
Einer ähnlichen Ignoranz begegnete Chlöe Swarbrick auf parlamentarische Ebene, als sie bei ihrer Rede durch einen Zwischenruf über ihr Alter unterbrochen wurde. In einer SMS an die neuseeländische Webseite "Stuff" erklärt sie den Ausdruck als "eine simple Zusammenfassung kollektiver Erschöpfung."
Das Eingestehen jener Erschöpfung ist ein kathartischer Moment, in dem wir jungen Menschen einvernehmlich beschließen, unsere mentalen Ressourcen nicht länger für derartige Dialoge zu verschwenden und uns kollektiv aus einer Debatte zurückziehen, in der Fakten keine Rolle mehr spielen. Wenn ihr euch weigert, systemische Schwachstellen anzuerkennen und unsere Probleme ernstzunehmen, dann hören wir euch einfach nicht mehr zu.
Rebellion gegen die Elterngeneration hat es immer schon gegeben. Was "Ok Boomer" so interessant macht, ist, dass es eben nicht die Eltern adressiert – denn das wäre für die meisten Z-er nicht die Boomer, sondern die Generation X. Stattdessen richtet sich das verbale Augenrollen gegen eine Weltanschauung, die in der liberalen Wirtschaftsordnung Reagans und Thatchers in der Jugendzeit der Boomer erste Wurzeln schlug und die heute unsere auf zahlreichen Ebenen unsere Zukunft bedroht.
Vielleicht ist "Ok Boomer" damit ein erstes Anklingen der Systemfrage, die "Fridays for Future" bislang noch nicht zu Genüge gestellt hat. Auch wenn mittlerweile selbst die AfD "Ok Boomer" getweetet und dem Meme damit den endgültigen Todesstoß versetzt hat, bleibt die performative Blasiertheit des Ausdrucks ein Ermächtigungsakt, der Hoffnung in die Generation Z stiftet. Memes sollen nicht politisch sein? Ok Boomer.