Die Hexerei durchlebt eine politische und kulturelle Renaissance. Filme wie “The Love Witch” feiern die Hexe als Verkörperung entfesselter Weiblichkeit, Lana del Rey rief bereits 2017 zur Teilnahme an den weltweiten Hexenritualen zur Verfluchung Donald Trumps auf. Die italienische Historikerin Silvia Federici hat die Geschichte der Inquisition als einen für die Etablierung des Kapitalismus essentiellen Prozess der Aneignung weiblicher Fortpflanzungskraft und der Enteignung öffentlicher Güter und medizinischen Volkswissens kontextualisiert. Seither stehen Hexenbünde zudem für eine antikapitalistische Form von Gemeinschaftsbildung. Abseits von feministischen Lesarten sind Hexen aber immer noch Objekt von Misstrauen, Verachtung und Ausgrenzung.
In ihrer Serie “Tin Tin Tin” setzt sich Fotografin Virginia Lupu mit Hexerei jenseits von reißerischen und idealisiert glamourösen medialen Darstellungen auseinander. Die Fotografin dokumentiert das Leben marginalisierter Communities in ihrem Heimatland Rumänien und fotografierte bereits das queere Nachtleben Bukarests. Bewegt von ihrem eigenen Interesse an esoterischer Praxis begleitete sie den Alltag von Mihaela Minca, die zu einer der mächtigsten Hexendynastien des Landes gehört. In den abergläubischen rumänischen Fürstentümern waltete die Inquisition nicht so verheerend wie in anderen Regionen Europas, Hexerei ist hier bis heute weit verbreitet. Als Roma gehört Minca jedoch wie die meisten Hexen einer in Rumänien benachteiligten Bevölkerungsgruppe an, die ihren juristischen Status als Sklaven erst 1855 verlor.
Magie als Überlebenswerkzeug
Hexerei dient vielen der Roma als Überlebenswerkzeug – auch in finanzieller Hinsicht. Mincas Bündnis profitiert von einer neu aufgeflammten Okkultismus-Begeisterung und von den modernen Kommunikationswegen, die ihre Dienstleistungen weltweit verfügbar machen. Minca, ihre zwei Töchter und ihre Schwiegertochter brauen Elixiere für Personen in England und sagen Anrufern aus den USA die Zukunft voraus. Minca selbst pendelt mittlerweile zwischen dem Bukarester Vorort Mogosoaia und Los Angeles, wo eine sonnengetränkte Form des durchrationalisierten Selbstoptimierungs-Liberalismus einhergeht mit dem spirituellen Glauben an die Heilkraft von Kristallen und New Age-Schlangenöl.
Fotojournalisten holen Mihaela Mincas Familie häufig vor die Linse. In ihrer Serie konzentriert sich Lupu jedoch nicht auf prunkvoll arrangierte Hochzeiten oder auf Gadgets und Videotelefonate, sondern auf die gelebte Tradition und das subversive Potenzial der vollzogenen Rituale. Ihre analogen Bilder zeigen Mincas Familie beim Einkauf von Kräutern, beim Liebesritual zur Sommersonnenwende – und beim Anrühren eines Anti-Korruptions-Tranks. Eines der Bilder zeigt die Hexen vor dem Palast des Volkes beim Aussprechen eines Fluches. Dieser politische Akt fasziniert Lupu ebenso sehr wie das feministische Macht der Hexerei – auch wenn sie einräumt, dass die Hexen dieses selbst nicht immer erkennen.
Lupu will die Hexen darin unterstützen, ihre eigene Stimme zu erheben und das emanzipatorische Potenzial ihrer Arbeit zu nutzen. Deshalb veranstaltete sie im Sommer einen Workshop, bei dem Minca über ihre Erfahrungen als Hexe sprach, die Historikerin Valentina Iancu einen Vortrag über die Exotisierung von Hexen hielt und die Künstlerin selbst über queere Lesarten des Tarots referierte. Und deshalb schafft sie Bilder, die die zeitlose Schönheit der Hexerei in all ihrer alltäglichen Magie einfangen.