Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado, der auf der Frankfurter Buchmesse mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt wird, glaubt vielleicht nicht an die Spezies Mensch, aber an die Kraft der Natur. "Umweltzerstörung kann rückgängig gemacht werden", sagte der 75-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Seit Jahrzehnten fotografiert er in dramatischer Schwarz-Weiß-Optik sowohl die Schönheit der Natur als auch deren Zerstörung und die Ausbeutung von Ressourcen. Mit seinem "Instituto Terra" hat er sich nun auch selbst dem Umweltschutz verschrieben. Hier spricht er über die Brände im Amazonas und die Rolle von Fotografie im globalen Klimaaktivismus.
Was fühlen Sie, wenn Sie die Brände in Ihrem Heimatland Brasilien sehen?
Ich fühle mich sehr schlecht. In den letzten 50 Jahren haben wir 19 Prozent des Amazonas-Regenwalds in Brasilien zerstört. Es ist ein Desaster. Die Brandrodungen geschehen vor allem an den Rändern des Amazonas, dort, wo die Farmen sind. Sie fressen sich in den Amazonas hinein wie Termiten. Wir müssen das stoppen.
Welche Rolle spielt Ihrer Ansicht nach Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro?
Es war seine Initiative, dass die Farmer beschlossen, den Regenwald zu bewirtschaften. Schon als er Kandidat war, sprach er vom Potenzial des Amazonas-Regenwalds, ohne Respekt vor den Gebieten der Ureinwohner. Der Amazons ist ein Regen-Wald, er ist feucht, er brennt nicht, wenn man ihn anzündet. Bevor er brennt, muss man ihn abholzen und austrocknen.
Was muss geschehen, um die Brandrodungen zu stoppen?
Die Welt muss großen Druck ausüben! Brasilien ist eine Demokratie, Bolsonaro kein Diktator. Wenn andere Staaten Druck ausüben, wird das einen Effekt haben. Der Hebel ist die Wirtschaft. Brasilien will seine landwirtschaftlichen Produkte exportieren - wenn die Farmer die nicht verkaufen können, wird Brasilien die Botschaft hören.
Welche Rolle kann Europa spielen?
Die Europäer sollten kein Handelsabkommen mit Brasilien abschließen, ohne Bedingungen zu stellen. Und die Bedingung muss sein: Respektiert den Amazonas-Regenwald, respektiert die Ureinwohner, respektiert die Umwelt. Vielleicht setzt das ein Umdenken in Gang.
Apropos Umdenken: In dem Dokumentarfilm über Sie ("Das Salz der Erde", 2014) sagen Sie: "Die Menschheit ist so grausam, wir haben es nicht verdient zu leben." Haben Sie Ihre Meinung seither geändert?
In dieser Phase ging es mir nicht gut. Ich hatte den Glauben an die Spezies Mensch verloren. Ich habe so schreckliche Dinge gesehen, so viel Brutalität, so viel Gewalt. Mein Geist und meine Seele waren krank. Aber je mehr das "Instituto Terra" wuchs, desto mehr hat sich das geändert. Heute bin viel hoffnungsvoller und glücklicher.
Sie haben vor fast 30 Jahren begonnen, die Farm Ihrer Eltern wieder aufzuforsten. Wie arbeitet das "Instituto Terra"?
Wir haben mehr als zwei Millionen Bäume gepflanzt. Wir sammeln Samen dort, wo es diese Bäume noch gibt, züchten sie nach, pflanzen und bewässern sie. Und die Tiere kehren zurück! Nicht, weil wir sie hingebracht haben, sie sind von selbst zurückgekommen. Wir haben jetzt 170 Vogelarten, Krokodile, Jaguare, Affen. Das hat mein Leben so viel glücklicher - und so viel wichtiger - gemacht.
Sie glauben also nicht unbedingt an den Menschen, aber an die Natur?
Ich habe entdeckt, dass es auf diesem Planeten nicht nur Menschen gibt. Zuvor habe ich nur Menschen fotografiert. Aber dann habe ich die Ameisen entdeckt, die Vögel, die Affen, die Krokodile. Sie alle sind so wichtig für den Planeten. Alle sind wichtig, nicht nur meine Spezies. Was auch immer mit uns passiert: Der Planet wird da sein. Seit ich das weiß, kann ich in Frieden leben.
Können wir die Zerstörung unserer Lebensgrundlage noch stoppen?
Wir müssen die Biodiversität wiederaufbauen. Wir können es. Wir müssen es. Im "Instituto Terra" zeigen wir, dass es geht. Das ist meine große Hoffnung heute: Dass wir verstehen, dass Umweltzerstörung rückgängig gemacht werden kann. Wir haben genug Ressourcen, genug Wissen, genug Technologie, um wiederaufzubauen, was wir zerstört haben. Wenn wir an einen point of no return glauben, verzweifeln wir. Wir müssen Hoffnung haben - und anpacken.
Was kann Fotografie dabei bewirken?
Alleine nichts. Ich kann ein Bild machen, das die Menschen mögen, vielleicht auch ein Bild, das sie bewegt. Aber das bewirkt nichts. Es muss Teil einer Bewegung werden, zusammen mit diesem Text, dem Willen von Regierungen, dem Engagement von Organisationen. Vielleicht kann ich etwas anstoßen.
Was ist Ihr nächstes Projekt als Fotograf?
In den vergangenen Jahren haben ich in Amazonien fotografiert. Die letzten Aufnahmen sind im Juni entstanden, jetzt sichten und editieren wir das Material. Wir bereiten ein Buch vor, das 2021 erscheinen soll, und eine Reihe von Ausstellungen in der ganzen Welt. Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wundervoll, wie vielfältig, wie schön die Natur und die Menschen dort sind - damit wir sie lieben lernen und Amazonien verteidigen können.